Taekwondo:40 Nationen in der Südstadt

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Der Nürnberger Verein Taekwondo Özer versucht, Vorurteile zwischen Islam und Judentum zu überwinden. Dazu gehört auch die Teilnahme an einem Weltranglistenturnier in Israel.

Von Anne Armbrecht

"Warum hasst uns die Welt so?" Es war eine israelische Mutter, die fragte. Mitten in die Idylle hinein, zwischen Frühlingstemperaturen und Vogelgezwitscher in der Sporthalle. Mitten im fairen Wettkampf, im Miteinander der Taekwondokämpfer. Die Frage beschäftigt Alfred Castano auch jetzt noch. Er hat keine wirkliche Antwort darauf. Zumindest keine, die zufrieden stellt. Nur die, dass sie eben jedes Jahr beim Turnier in Israel starten. Und den Austausch suchen.

Mehrere Olympiateilnehmer und Weltmeister weist der Klub auf

Alfred Castano, 56, ist der Vorsitzende von Taekwondo Özer. Der Verein in der Nürnberger Südstadt ist mit etwa 100 Mitgliedern ein recht kleiner, aber sehr erfolgreicher Verein. Im Flur stehen weit mehr Pokale, als der Verein Mitglieder hat. Er hat schon mehrere Olympiateilnehmer und auch Weltmeister hervorgebracht. Auch Bundestrainer und Namensgeber Özer Gülec arbeitet hier. Der Großteil der Sportler ist muslimischen Glaubens. Vorurteile gegenüber Juden gehören zu den Sorgen des Alltags. Bei Taekwondo Özer wollen sie die Ressentiments bekämpfen. Die Nürnberger sind mit gleich mehreren israelischen Vereinen befreundet. Vieles gelingt ihnen. Aber manches Mal geraten sie auch an ihre Grenzen.

Alfred Castano hat den Austausch mit den Israelis vor ziemlich genau zehn Jahren begonnen. Er war bei Wettkämpfen, wie das so ist, immer mal wieder ins Gespräch gekommen. Irgendwann stand die Idee: Lasst uns doch mal gemeinsam was machen. Taekwondo Özer gehört weltweit zu den Spitzenvereinen. Im Fokus stand für die Israelis erst einmal das sportliche Lernen. Die Völkerverständigung kam später dazu.

Antisemitismus ist ein wieder wachsendes Problem in Europa. Auch in Deutschland gab es zuletzt wieder vermehrt Übergriffe auf Juden. Drohungen und Beleidigungen gehörten zum Alltag, sagt Alfred Castano. Auch im Sport merkt er das. "Oft sind es muslimische Jugendliche, die so erzogen werden: Juden kommen sowieso in die Hölle. Juden sind die Bösen." Bei näherem Nachfragen wüssten die meisten aber kaum etwas über das Judentum. Oder Israel - geschweige denn über die Menschen. Sie versuchen das jetzt zu forcieren. Die Vorurteile aus der Welt zu schaffen. Im wahrsten Wortsinn mit Hand und Fuß.

Am vergangenen Wochenende war Taekwondo Özer wieder bei den Israel Open in Ramla. Die Nürnberger mögen das Turnier. Es ist nicht perfekt. Anders, als das auch im Taekwondo immer häufiger wird. Alfred Castano drückt es positiv aus. "Wenn es Probleme gibt, finden sie meistens eine Lösung. Es ist unkompliziert." In diesem Jahr regnete es durchweg durchs Hallendach. Castaño und ein paar andere waren permanent mit dem Wischmopp hinterher. Regelmäßig flogen auch Schwalben und störten tschilpend die Wettkämpfe. "Sie hatten wohl ein Nest in der Halle", meint Castano und lacht. "Trotzdem ist es ein Weltranglistenturnier." Auch die Nürnberger Olympiateilnehmer Tahir und Rabia Gülec waren schon dabei.

"Wenn ich gegen einen von denen gelost werde, trete ich nicht an."

Immer wieder gibt es auch gemeinsame Lehrgänge. Mal in der Nürnberger Südstadt, in einem Hinterhaus zwischen Wäscheleinen und Weinreben. Mal in Jerusalem und Ramla, Haifa und Raʿanana oder Bat Yam. Taekwondo Özer pflegt die Kontakte. "Es gehört einfach zum Sport, dass man mit Menschen zusammenkommt." Bei den Nürnbergern trainieren Sportler aus über 40 Nationen. Sie kommen aus Ägypten, Albanien, Kasachstan und dem Iran, wie Alfred Castano aus Spanien, vor allem aus der Türkei. Und natürlich Deutschland, auch wenn das die Minderheit ist. Die Kinder sind meistens hier geboren. Manche der Eltern sprechen die Sprache auch nach Jahren und Jahrzehnten nur zögerlich. "Multikulturell ist bei uns normal", sagt Alfred Castano. Es geht nicht um Religion oder Herkunft. Was zählt, sind das Miteinander und die Leistung. "Es geht uns um den Sport. Wer sich für die gleiche Sache begeistert, versteht sich jenseits der Politik", ist Castano überzeugt. Einer seiner muslimischen Trainer sei beim Austausch "total überrascht" gewesen, dass sich in Jerusalem viele Araber frei bewegten und Geschäfte machten. "An der Klagemauer hat er sogar eine Gruppe von Israelis um ein gemeinsames Foto gebeten."

Ärger gibt es trotzdem auch bei ihnen. Zum Beispiel, als vergangenes Jahr beim Austausch der Gastgeschenke ein Foto mit israelischen Trikots geknipst wurde. "Das gab auf Facebook einige dumme Bemerkungen", erzählt Castano. "Schäm dich" und unschönere Sachen. Den Jugendlichen hätten die Kommentare der Freunde natürlich verstört. Beim erstem Besuch der Israelis in Franken drohten Eltern mit Protesten. Sie wollten die Zufahrt zum Vereinshaus blockieren. Castano und die anderen hatten das Konsulat schon vorgewarnt. "Wir hätten notfalls auch die Polizei eingeschaltet. Zum Glück war das nicht nötig."

Annäherung in der Auseinandersetzung - das gelingt auch im Sport nicht immer. Die Vorurteile stecken in den Köpfen. Und richtig schwierig wird es, wenn auch noch Politik ins Spiel kommt. Das passiert nicht nur im Kleinen im Verein, sondern auch im Großen, auf Wettkämpfen. Auch Taekwondo wurde schon zur politischen Bühne. Für Aufsehen sorgte 2010 bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur der Fall des kampflosen Goldgewinners Gili Haimovitz. Sein iranischer Kontrahent Mohammad Soleimani war im Finale nicht angetreten. "Offiziell war er verletzt. Aber es war ein offenes Geheimnis, dass er nicht antreten durfte. Es war ihm nicht erlaubt, unter der israelischen Fahne zu stehen."

Solche Dinge haben sie ähnlich auch schon bei Taekwondo Özer erlebt. Einmal zumindest, sagt Alfred Castano. "Da sagte einer unserer Jungs: Wenn ich gegen einen von denen gelost werde, trete ich doch nicht an." Sie hätten ihm ordentlich die Leviten gelesen. Er habe verstanden und sei in den Wettkampf gegangen. Aber es ist eben oft noch die Grundhaltung: Israel, das ist kein normales Land. "Ein nicht geringer Teil meint, die Israelis sind an allem Bösen Schuld. Sie stören in der arabischen Welt den Frieden, seitdem sie dorthin gekommen sind, und so weiter", sagt Castaño. Er zuckt etwas ratlos mit den Schultern. "Politik halt."

Bei Taekwondo Özer trainieren vor allem Muslime, aber auch verschiedene Christen und eine Jesidin. Juden sind bislang nicht dabei. Aber der Verein bemüht sich, neben dem Austausch mit den Israelis, auch um die Jüdische Gemeinde der Stadt. "Ein gegenseitiger Besuch ist bislang leider nicht zustande gekommen", sagt Castano. "Wir haben mit dem Sport so viel um die Ohren, dass wir es nicht forcieren konnten. Aber wir sind gerne weiter offen dafür."

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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