SZ:Vom Sprinter zum Langstreckenläufer

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Michael Gernandt, langjähriger und jung gebliebener Sport-Chef, wird 80 Jahre alt. Der frühere Leichtathlet leitete 22 Jahre das Ressort und arbeitete 42 Jahre für die Süddeutsche Zeitung.

Von Ludger Schulze

Jugendliches Aussehen schmückt den Menschen und gereicht ihm, sollte man meinen, in allen Lebenslagen zum Vorteil. Irrtum. Für unseren Jubilar wäre seine nahezu George-Clooney-hafte Erscheinung - superschlank, volles Haar, meist braun gebrannt - schier zum Verhängnis geworden. Als die Verleger der Süddeutschen Zeitung 1981 einen neuen Sportchef suchten, hegten sie Zweifel, ob Michael Gernandt der richtige Mann wäre für einen so verantwortungsvollen Posten. Viel zu jung, sieht aus wie 25, murrten sie. Die Herren überwanden ihre anfängliche Skepsis, möglicherweise nach einem Blick in die Personalakte.

Denn dort stand schwarz auf weiß, dass der Kandidat bereits 41 Jahre zählte und seit 20 Jahren Redaktionsmitglied war. Diese Entscheidung jedenfalls dürfte zu ihren klügsten gehört haben, denn der neue Chef sollte das Blatt prägen wie nur wenige andere. Michael Gernandt blieb fast 22 Jahre lang Sport-Ressortleiter, und bis heute ist kein Kollege aufzutreiben, der diese Zeit nicht als großartiges, respektvolles Miteinander empfunden hätte.

Gernandt war ein Vorgesetzter, wie ihn sich moderne Betriebspsychologen erträumen: aufgeschlossen, teambezogen, großzügig, einfühlsam, ermutigend, diskussionsfreudig, frei von Eitelkeit. Nichts befehlen, stets überzeugen, lautete seine Führungsdevise. Die Sportredaktion, ursprünglich Schlusslicht der internen Hierarchie, wurde zum Aushängeschild der Süddeutschen - und zum magnetischen Anziehungspunkt für außergewöhnliche Talente.

Ihr Handwerk erlernten bei Gernandt unzählige Gewinner von Journalistenpreisen, renommierte Autoren wie der Schriftsteller Axel Hacke, Seite-Drei-Reporter Holger Gertz oder Auslandskorrespondenten wie Christian Zaschke (New York). In der ZDF-Kultursendung "Aspekte" wurde Gernandts Sportteil als "das wahre Feuilleton der SZ" bezeichnet.

Als Journalist war Gernandt ein Langstreckenläufer - 42 SZ-Jahre sind stark rekordverdächtig. Ursprünglich aber war er Sprinter. Als deutscher Junioren-Meister und -Europarekordhalter (10,4 Sek.) über 100 Meter gehörte er dem Olympiakader von 1960 an und hatte beste Aussichten auf einen Platz in der Staffel, die in Rom Gold gewinnen sollte. Aber, verfluchtes Pech, kurz vor den Spielen zog er sich einen Muskelbündelriss zu.

Das Sprinten ist inzwischen nicht mehr so seine Sache, obwohl man das dem drahtig-eleganten Kerl auf den ersten Blick noch zutrauen würde. Michael Gernandt, der immer schon über den Tellerrand hinausblickte, widmet sich heute anderen Interessen: neuzeitliche Geschichte mit Schwerpunkt Nationalsozialismus, klassische Musik und Kino - und bisweilen bringt er, wenn gefordert, auch noch seine Meinung zu Papier. An erster Stelle der Interessensskala freilich stehen seine Enkel, die allesamt sportlich erstklassig unterwegs sind. Zwei sind sogar spitzenmäßige Hockeyjunioren, die dem Opa großes Vergnügen bereiten.

Gernandt sieht immer noch verblüffend viel jünger aus, als er tatsächlich ist. Es wäre also kein Wunder, wenn am 17. Januar Zweifel aufkämen, ob er an diesem Tag tatsächlich 80 Jahre alt wird. Ist aber so. Deshalb die herzlichsten Glückwünsche einem vorbildlichen Kollegen und: ad multos annos!

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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