SZ-Serie: Der Glanz von einst (6):"Er war für uns ein Gott"

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Dreimal stiegen die Handballer von TuSpo Nürnberg in die Bundesliga auf und jedes Mal sofort wieder ab. In Erinnerung bleibt vor allem die Mannschaft von Trainer Velimir Kljaic in der Saison 1987/88.

Von Ralf Tögel

An das Ende kann sich Mathias Bracher noch ganz genau erinnern. Ein Unentschieden bei der SG Wallau-Massenheim hätte gereicht, der letzte Wurf des Spiels schlug Sekundenbruchteile nach der Schlusssirene im Tor der Hessen ein: TuSpo Nürnberg hatte 22:23 verloren. Nun lag es am bayerischen Konkurrenten TSV Milbertshofen, der hatte vor dem letzten Spieltag zwar das klar bessere Torverhältnis - aber auch zwei Punkte Rückstand. Und die Münchner hatten ihr Saisonfinale beim äußerst heimstarken TSV Bayer Dormagen zu bestreiten, Milbertshofen hatte zudem bis dahin kein einziges Auswärtsspiel gewinnen können. Was sollte also passieren? "Ich will mich jetzt nicht um Kopf und Kragen reden", sagt Bracher mit dem Abstand von mittlerweile 28 Jahren, "aber das war schon sehr dubios damals."

Es gab in der Tat ein paar Auffälligkeiten: Milbertshofen schaffte ausgerechnet in Dormagen, das bis dahin nur zweimal zu Hause verloren hatte, mit 21:19 seinen einzigen Auswärtssieg. Dormagens überragender Torschütze Vladimir Vukoje, einer der während der Saison fast immer im zweistelligen Bereich getroffen hatte "erzielte kein einziges Tor", erinnert sich Bracher. Einen Siebenmeter ballerte er gar "einen Meter über das Tor". Bei Milbertshofen spielte Vukojes Busenfreund Zdravko Miljak, beide standen jahrelang in der jugoslawischen Nationalmannschaft Seite an Seite. Miljak sollte in der folgenden Saison bei den Münchnern ins Traineramt wechseln - offen war nur noch, ob als Erst- oder Zweitligatrainer. Schon zur Halbzeit hatten die Milbertshofener die Pause hinausgezögert, waren so stets im Bilde, was sich gerade in Wallau tat. "Die hatten auch das Fernsehen dabei, übermittelten uns dann in Blickpunkt Sport 'schöne Grüße nach Nürnberg', das hat uns schon wahnsinnig geärgert", erinnert sich Bracher, "wir waren am Boden." Noch heute hat Bracher die Bilder im Kopf, wie Milbertshofens Nationalspieler Erhard Wunderlich "durch die Abwehr spaziert ist", selbiger war nicht gerade als flinker Läufer bekannt. Bracher war Kapitän der Mittelfranken, heute kann der 54-Jährige natürlich über die Begebenheiten lachen. Aber es war eine Niederlage mit weitreichenden Folgen, die etwas ganz Besonderes beendeten sollte.

Duell der Kapitäne: Nürnbergs Mathias Bracher (vorne) wird von Schwabings Spielführer und Nationalspieler Andreas Dörhöfer gebremst. (Foto: imago)

Denn Nürnbergs damaliger Trainer war Velimir Kljaic, "er war für uns ein Gott". Der Jugoslawe hatte die Mannschaft übernommen, nachdem sie sich ganz im Stil der Fußball-Kollegen vom Club den Ruf eines Fahrstuhlteams zu erwerben schienen. 1981 war TuSpo erstmals ins Handball-Oberhaus aufgestiegen, nach nur einer Saison ging es wieder runter. Und sofort wieder rauf, aber wieder blieb die Erstklassigkeit die kürzestmögliche, dann kam Kljaic. Der Verein musste diese Misserfolge verdauen, Spieler gingen, die Nürnberger besannen sich auf ihre eigentliche Stärke: die Jugendarbeit. Und Kljaic baute sich in drei Jahren mit nahezu ausschließlich Eigengewächsen einen Erstliga-Aufsteiger. Heutzutage ist das nicht mehr denkbar, sagt Bracher, "wir kannten uns alle aus der Jugend, das war eine gewachsene Mannschaft". Zudem ließen die Statuten nur einen Ausländer zu, das war der Mix, aus dem Kljaic das Team formte. "Er war ein Taktikfuchs, brachte uns völlig neue Dinge bei", erinnert sich Bracher, und Kljaic lehrte die jungen Spieler, die Abwehr mit gesunder Härte zu spielen. "Wir haben zum Beispiel in Unterzahl eine offensive 4:1-Deckung gespielt, das hat damals niemand gemacht."

Doch ein Trainer von dieser Klasse war in der zweiten Liga nicht zu halten, Kljaic ging ausgerechnet zu Wallau-Massenheim und begründete dort die Blütezeit der Hessen, mit je zwei Meisterschaften und Pokalsiegen und dem Gewinn des IHF-Pokals.

Nach dem Abstieg und dem Weggang des beliebten Trainers wurden die TuSpo-Handballer mit seinen Nachfolgern nicht mehr glücklich. Erst versuchte sich der Tscheche Jiří Vícha, ein Jahr später der Serbe Milan Lazarević am Wiederaufstieg, es blieb bei guten Mittelfeldplätzen. Und es taten sich Gräben zwischen Spielern und Trainer auf, "vielleicht war die Mannschaft auch zu kritisch, wir waren ja älter", sagt Bracher heute. Jedenfalls gingen dem damaligen Vereinsvorsitzenden Arno Hamburger die ständigen Querelen gehörig auf die Nerven. Unter Hamburger als Vereinsvorsitzenden war der Aufstieg der Handballer erst gelungen, Hamburger war Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde und Stadtrat in Nürnberg - und damit bestens vernetzt. Jedenfalls war es für ihn nie ein Problem, einen Erstligaetat auf die Beine zu stellen. Auch im Jahr 1990 nicht, wären da nicht die andauernden Probleme zwischen Team und Coach gewesen. Jedenfalls hatte Hamburger bald genug - und gab kurzerhand die Lizenz zurück. Und von diesem Moment an war hochklassiger Handball in Nürnberg Geschichte war. "Er war ein toller Mensch", sagt Bracher heute noch über den 2013 verstorbenen Funktionär und Politiker. "Aber er war auch ein Patriarch", erinnert sich Bracher, er könne bis heute nicht nachvollziehen, dass "man das alles so einfach weggeschenkt hat. Die Mannschaft zerstreute sich in alle Winde, Bracher selbst spielte noch ein paar Jahre zweite Liga unter anderem in Erlangen, wo er heute die A-Jugend des Bundesligisten trainiert.

Der HC Erlangen hat nun zusammen mit Coburg die fränkische Tradition in der ersten Handball-Bundesliga wiederbelebt, pikanterweise spielten die Erlanger seit zwei Jahren in der Arena zu Nürnberg. Ob dem alten Tusporaner, wie sich die Nürnberger Handballer seinerzeit nannten, da das Herz blute? "Unsinn, ich finde das super, die bekommen die Halle mit 8000 Leuten voll." Bracher hofft, dass der mittelfränkische Nachbar den Sport in der Region nachhaltig wiederbelebt. Er findet diese Entwicklung "cool", mit damals sei das ohnehin nicht zu vergleichen - in der aktuellen HC-Mannschaft spiele genau ein Erlanger, Spitzenhandball auf diesem Niveau habe längst völlig andere Dimensionen erreicht. Ein bisschen Wehmut klingt aber doch mit, wenn sich der 54-Jährige an die alten Zeiten erinnert, noch heute treffen sich die alten TuSpo-Recken einmal im Jahr zu einem Weihnachtsessen. "Das hat Tradition", erzählt Bracher.

Und TuSpo? Nach der Lizenzrückgabe dümpelte die Mannschaft ein paar Jahre in den untersten Klassen vor sich hin, ehe sie 1999 für drei Jahre völlig von der Bildfläche verschwand. Mittlerweile gibt es wieder TuSpo-Handballer, sie erinnern in einem Punkt sogar an die großen Zeiten in den Achtzigern: Es ist eine Fahrstuhlmannschaft, die ständig zwischen Bezirks- und Bezirksoberliga hin und herspringt.

Den TSV Milbertshofen im Übrigen hat das selbe Schicksal ereilt, er ist ein paar Jahre später in der Versenkung verschwunden. Aktuell sind die Münchner in der Bezirksoberliga Tabellenletzter.

© SZ vom 05.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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