Südamerikas Aufschwung:Köln feiert Haniel, Köln feiert Erwin

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Brasilien spielt eine beachtliche WM - und hilft damit auch den Deutschen. Auch Argentinien und Chile machen Fortschritte.

Von Joachim Mölter, Köln

Im Mannschaftssport ist es durchaus üblich, einem Rivalen ein kleines Dankeschön zukommen zu lassen, wenn der indirekt auf irgendeine Art behilflich gewesen ist, im Kampf um die Meisterschaft zum Beispiel oder gegen den Abstieg. In unteren Ligen wird solchen Rivalen in der Regel bei nächster Gelegenheit ein Kasten Bier in die Umkleidekabine gestellt. Wenn sich die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) an diesen Gepflogenheiten orientiert, müsste sie nach dieser Weltmeisterschaft eine Brauerei nach Brasilien verschiffen.

So viel Hilfe bei einem Turnier haben die deutschen Handballer noch nie von anderer Seite bekommen wie diesmal. Die Brasilianer sorgten erst mal dafür, dass die Deutschen mit einem besseren Torverhältnis als Weltmeister Frankreich aus der Vor- in die Hauptrunde weiterkamen; sie unterlagen dem Titelverteidiger im Auftaktspiel bloß 22:24 und ergaben sich tags darauf, sichtlich ermattet, dem WM-Gastgeber beim 21:34. Dieser Torvorteil kann noch über den Halbfinaleinzug entscheiden; im direkten Duell haben sich Deutschland und Frankreich ja unentschieden getrennt (25:25). Dass die deutschen Handballer überhaupt punktgleich mit den Franzosen (je 3:1) nach Köln gereist sind, haben ebenfalls die Sportsfreunde aus Brasilien bewerkstelligt: In der Vorrunde hatten die Russen den Deutschen ein 22:22 abgetrotzt - diesen Punktverlust haben die Brasilianer getilgt, indem sie später Russland aus dem Rennen geworfen haben und selber weitergekommen sind. Das belastet das deutsche Punktekonto nicht, im Gegenteil: Der Sieg gegen Brasilien erhöht sogar die Gutschrift.

Der Coup schlechthin gelang den Brasilianern freilich am Sonntagabend, als sie vor mehr als 15 000 Zuschauern in der Kölner Arena 29:26 (17:13) gegen Kroatien gewannen, einen der Medaillenkandidaten, der in München alle seine fünf Vorrundenspiele gewonnen hatte, darunter gegen Europameister Spanien (23:19). "Wir hatten uns nicht vorstellen können, dass wir sie besiegen könnten", gab Brasiliens Cheftrainer Washington Nunes da Silva sichtlich bewegt zu. Der mit neun Toren überragende Haniel Langaro fand: "Das war ein historischer Sieg gegen eine so große Handball-Nation."

Berauscht von sich selbst: Auch José Toledo (rechts) trat beim Sieg der Brasilianer gegen Kroatien als Mehrfach-Torschütze in Erscheinung. (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Nebenbei haben sie damit der deutschen Mannschaft den Weg ins angestrebte Halbfinale weiter geebnet: Der reichte schon der hart erkämpfte Sieg gegen Kroatien am Montagabend. Im Spiel gegen Spanien am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) geht es im Fernduell gegen Frankreich nur noch darum, wer Gruppenerster wird.

Nun haben die brasilianischen Handballer aber nicht bloß gewonnen, um den Deutschen damit einen Gefallen nach dem anderen zu tun. "Wir wollen zeigen, dass der brasilianische Handball besser und besser wird", sagte Langaro. Für die brasilianischen Männer war bereits der Einzug in die Hauptrunde der zwölf besten Teams der größte Erfolg ihrer Geschichte gewesen (die Frauen waren sogar schon mal Weltmeisterinnen, 2013).

Nicht nur Brasilien macht Fortschritte im Umgang mit dem Handball, die Entwicklung ist in ganz Südamerika zu beobachten. Chile hat bei diesem Turnier als 16. ebenfalls sein bislang bestes WM-Resultat erreicht. Bei Panamerikameister Argentinien verhinderte wohl der Ausfall von Spielmacher Diego Simonet eine bessere Platzierung als Rang 17. Damit fehlte dem Team eindeutig Qualität: Der 30-Jährige wurde vor acht Monaten in Köln zum besten Spieler des Champions-League-Finales gekürt, nachdem er dem Außenseiter Montpellier zum Triumph verholfen hatte.

Dem Weltverband IHF kann der Aufschwung eines ganzen Kontinents nur recht sein, er kämpft ja um seine olympische Daseinsberechtigung: Das Olympia-Komitee IOC möchte weltweit verbreitete Sportarten, und im Handball machen nach wie vor nur europäische Teams die Weltmeisterschaften unter sich aus. Selbst Südamerikas jüngste Fortschritte werden ja von Europa bestimmt: Argentinien und Chile haben spanische Trainer, Manuel Cadenas, 63, bzw. Mateo Garralda, 50; und in Brasilien legte bis zu Olympia 2016 in Rio ebenfalls ein Spanier die Basis, Jordi Ribera, 55. Der coacht inzwischen wieder die Auswahl seiner Heimat und leitete Spanien am Montagabend gegen Brasilien zu einem überlegenen 36:24 (19:13)-Erfolg. Die besten Spieler Südamerikas sind derweil durchweg in Europa aktiv, vor allem in Spanien und Frankreich; auch das prägt die Spielweise der Teams.

Die überwiegend deutschen Zuschauer in Köln feierten nicht nur die Brasilianer für deren freundliche Unterstützung des deutschen Teams, sondern vor allem einen Chilenen: Erwin Feuchtmann, 28, Jüngster eines Brüdertrios, das die Geschicke des Handballs in dem schmalen Land seit Jahren prägt. Die Feuchtmann-Brüder haben deutsche Wurzeln, sie haben alle mal hier gespielt, Erwin Feuchtmann sogar in der Bundesliga, für Lemgo und Gummersbach. "Meine Erfahrung war nicht so gut", sagte er über diese Zeit, "ich habe nicht zeigen können, was ich kann."

Umso erstaunter war er, dass nun 13 000 Menschen jede Aktion von ihm feierten. Am Sonntag, bei Chiles 30:32 im Spiel um Platz 15 gegen Mazedonien, forderte das Publikum erfolgreich eine Belohnung für Feuchtmanns nimmermüden Einsatz. Der neunmalige Torschütze durfte die Auszeichnung als "Spieler des Spiels" mit in die Kabine nehmen.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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