Südafrikas erstes Team für den America's Cup:Alle Mann an Bord

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Sie werden nicht siegen, aber doch gewinnen: Wie sich die gemischte Crew der "Shosholoza" auf das härteste Segelrennen der Welt vorbereitet.

Von Michael Bitala

Kapstadt, im Mai -Schon der erste Blick aufs Meer verspricht nichts Gutes. Bis zu drei, vier Meter hoch türmen sich die Wellen, es regnet, es ist kalt, dicke, schwarze Wolken jagen in niedriger Höhe dahin, und selbst die Möwen hocken wie festgenagelt auf dem Landungssteg und versuchen erst gar nicht hinauszufliegen - so sehr bläst der Sturm über sie hinweg.

Marcello Burricks aber interessiert sich nicht fürs Wetter. Er rennt übers Boot, zieht an den Schoten, überprüft das Heck, den Bug, das Steuer, dann wieder die Schoten, das Heck, die Segel. Sein Gesicht ist wie versteinert, er schenkt den anderen 14 Crewmitgliedern keinen Blick.

In ein paar Minuten soll die Segeltour beginnen, und spricht man ihn an, zischt er nur: "Später." Dann rennt er wieder auf und ab, zupft hier, zieht da und spricht kein Wort.

20 Jahre alt ist der Mann gerade geworden, und dass es das Leben nicht immer gut mit ihm gemeint hat, sieht man schon an seinem nackten Oberkörper. Narben von Messerstichen sind dort zu sehen, verewigte Spuren der Vergangenheit.

Und natürlich weiß Marcello Burricks, dass er auch an diesem Morgen wieder befragt werden soll. Warum hatte er schon mit acht Jahren seine erste Messerstecherei? Warum schlug er mit 14 Jahren seinen Lehrer nieder? Wie kam er als jüngstes Mitglied in dieses Segelteam? Und wie geht er damit um, heute einer der größten Helden Südafrikas zu sein?

Marcello Burricks aber hat offensichtlich keine Lust, Antworten zu geben - er läuft weiter hin und her, während die meisten anderen der Mannschaft kurz vor dem Ablegen entspannt auf dem Boot stehen und trotz Sturm und Regen plaudern.

Da rennt er also, der Held Südafrikas. Dass ihm diese Rolle nicht gefällt, wird Marcello Burricks später, nach dieser fünfstündigen Trainingsfahrt, erzählen. Und wer könnte ihm das übel nehmen? Natürlich ist er ein Held, einer, der das geschafft hat, was niemand mit so einer Vergangenheit bisher geschafft hat.

Aber rechtfertigt das solche Interviews, in denen er sein Leben bis ins letzte Detail preisgeben soll? Milchkaffeebraun ist seine Haut, "farbig", wie es in Südafrika heißt. Und deshalb ist er nun ein Star, ein Vorzeige-Segler, der nicht nur vielen farbigen und schwarzen Jugendlichen in seiner Heimat, sondern der ganzen Welt als Beleg dafür dienen soll, wie erfolgreich sich das einstige Rassistenland verwandelt hat.

Vom Gangster zum Segelstar

Marcello Burricks wuchs in einem Township in Kapstadt auf, war Mitglied einer kriminellen Bande und hat nun Karriere gemacht in einem Sport, der bislang ausschließlich den reichen Weißen vorbehalten war.

Das ist seine Geschichte, vom Gangster zum Segelstar - aber er redet nicht gerne darüber.

Es gibt aber noch eine andere Geschichte, eine, die mit Marcello Burricks' Aufstieg zwar untrennbar verbunden, aber mindestens genauso überraschend ist. Und über sie reden alle Mitglieder des Segelteams leidenschaftlich gerne.

Sie handelt von Salvatore Sarno und seinem Traum, eine südafrikanische Mannschaft am America's Cup 2007 teilnehmen zu lassen, am härtesten Segelrennen der Welt, an der Formel Eins auf dem Wasser.

Schon dafür wurde der Südafrika-Chef der zweitgrößten Container-Reederei der Welt, der Mediterranean Shipping Company, für ziemlich verrückt erklärt, gab es doch noch nie ein afrikanisches Team in der 153-jährigen Geschichte des Cups.

Für noch mehr Aufsehen aber sorgte seine Idee, dafür nicht nur weiße Profi-Segler zu engagieren, sondern auch ein paar farbige und schwarze Jugendliche wie Marcello Burricks. Auch das hat es beim America's Cup noch nie gegeben, dem Rennen der superreichen, weißen Segelelite.

Aber Sarno bestand darauf. Die Mannschaft müsse das Land repräsentieren, und in Südafrika leben nun mal schwarze, farbige und weiße Menschen.

Unterstützt wurde er dabei von Ian Ainslie, dem bekanntesten Segler des Landes. Da dieser eine Schule in Kapstadt betreibt, in der schwarze und farbige Jugendliche aus Townships kostenlos im Segeln ausgebildet werden, lag es nahe, von dort Crewmitglieder zu holen: Manche konnten noch nicht einmal richtig schwimmen, als sie von Ainslie und Sarno angeheuert wurden.

Und als das Boot dann gekauft und auf den Namen Shosholoza getauft worden war - was frei übersetzt "Ärmel hochkrempeln" oder "mutig nach vorne schauen" bedeutet -, da stellte sich Sarno vor das Team und sagte: "Ihr werdet nicht reich werden, weil wir kein Geld haben, aber eines Tages wird Präsident Thabo Mbeki in eure Augen blicken, euch die Hände schütteln und sagen: ,Südafrika ist stolz auf euch'."

Das ist zwar bislang noch nicht passiert, aber das ganze Land jubelt über Sarno, die Mannschaft und die Verwirklichung dieses Traums. Die Shosholoza ist dabei, wenn 2007 das Finale des 32. America's Cup im spanischen Valencia stattfindet.

Wie groß diese Sensation wirklich ist, zeigt sich schon an einer anderen Bewerbung. Bis Ende April war unklar, ob 2007 auch ein deutsches Team zum ersten Mal in der Cup-Geschichte antreten wird. Erst ganz zum Schluss, als die Anmeldefrist fast abgelaufen war, fanden die Männer der Fresh Seventeen doch noch einen Sponsor. Als "Meilenstein in der deutschen Segelgeschichte" wird das nun gefeiert.

Die Shosholoza hingegen wird seit Monaten von einem Tochterunternehmen der deutschen Telekom, T-Systems, unterstützt, und zwar mit 17 Millionen Euro, das ist der höchste Sponsor-Betrag, der bislang von einem ausländischen Unternehmen in Südafrika gezahlt wurde.

Dass T-Systems damit nicht uneigennützig handelt, ist auch klar. Schon jetzt hat die Shosholoza die Sympathien vieler Sportjournalisten in den USA und Europa, und auch das Publikum beim America's Cup wird das ungewöhnliche Team vermutlich mehr mögen als die Profis aus den USA, Italien oder auch aus Deutschland.

Als das Boot endlich ablegt, als es endlich hinaus geht aufs offene Meer, ist zum ersten Mal ein Lächeln in Marcello Burricks' Gesicht zu sehen. So als ob er gerade eine stille, aber enorme Freude erleben würde. Dabei schaukelt die Shosholoza wie ein Papierschiffchen in einem durchgeschüttelten Wasserglas.

13 Grad kalte Wellen schwappen ins Boot, und der Wind bläst einen fast über Bord. In diesem Moment will man gar nicht daran denken, was der Mannschaft vor ein paar Wochen passiert ist.

Da rammte sie während einer Trainingsfahrt einen Wal. Dabei wurde nicht nur das Schiff beschädigt, sondern mehrere Crewmitglieder fielen ins Wasser und verletzten sich. Skipper Geoff Meek kann bis heute sein Knie nicht richtig bewegen, andere zogen sich tiefe Schnittwunden und Prellungen zu.

Und außer Walen gibt es hier auch ziemlich viele Haie.

Es gibt Menschen, die beim Thema Segeln ins Schwärmen geraten. Von Glück reden sie und von der Demut vor diesen Urgewalten Wind und Wasser. Weit mehr Menschen aber wird dabei schlecht und schwindlig, vor allem an so einem Tag wie heute, vor allem auf so einer Hochgeschwindigkeitsyacht wie der Shosholoza.

25 Meter ist sie lang und gertenschlank, ihre Segel sind riesig und ihr Mast ragt 39 Meter in die Höhe. Selbst der 26-jährige Moctar Fall wird heute noch seekrank, weil er erst im November vorigen Jahres diesen Sport gelernt hat.

Das Team wollte den muskelbepackten Schwarzen, weil es noch einen so genannten Grinder brauchte. Das sind die kräftigsten Männer auf dem Boot, die stundenlang nur damit beschäftigt sind, an einer schweren Kurbel, dem Coffee Grinder, zu drehen, um das gewaltige Vorsegel dicht zu holen.

Marcello Burricks hingegen liebt die Wellen, er genießt es, wenn das Boot übers Wasser hüpft wie ein dahingeworfener, flacher Stein. Sein Großvater war Walfänger, sein Vater Fischer, und die winzige Blechhütte, in der er aufgewachsen ist, liegt fünf Gehminuten vom Meer entfernt.

Der weiße Sandstrand aber ist das einzige, was in diesem Township idyllisch wirkt. So wie die meisten anderen Townships in Südafrika wird es von Banden terrorisiert, von "Gangs", die gewaltsam ihre Reviere, ihre Waffen- und Drogengeschäfte verteidigen. "Du wirst automatisch Mitglied in einer solchen Gruppe", sagt Burricks, "anders kommst du gar nicht durch."

Da er aber auch noch ein "Hitzkopf" war, einer, der sofort wütend wurde, wenn Stärkere Schwächere verprügelt haben, geriet er schon bald in Schlägereien und Messerstechereien. "Mein einziger Vorteil waren meine schnellen Fäuste, damit konnte ich jeden besiegen."

Dennoch ist er keineswegs stolz auf diese Vergangenheit. Einer seiner Freunde hat mit 14 Jahren einen Menschen ermordet, kam ins Gefängnis und ist heute drogenabhängig. Er hingegen nimmt am begehrtesten Segelrennen der Welt teil und hat sogar schon dem spanischen König Juan Carlos die Hand geschüttelt.

Dieser hat das Team besucht, als es für eine Vorbereitungsregatta in Valencia war. "Es klingt vielleicht komisch", sagt Burricks, "aber dass ich mein Leben durch das Segeln so verändern konnte, ist für mich immer noch unglaublich."

Der Durchbruch kam für ihn - ebenso wie für Golden Mgedeza und Solomon Dipeere, die in Townships in der Nähe von Johannesburg aufgewachsen sind -- durch Ian Ainslies Segelschule "für unterprivilegierte Jugendliche". Dort zeigte sich ihr herausragendes Talent, und deshalb werden alle drei auch sauer, wenn weiße Südafrikaner behaupten, sie wären nur deshalb Mitglieder der Shosholoza geworden, weil Sarno und Ainslie politisch korrekt sein wollten.

"Das ist absoluter Unsinn", sagt Burricks, "wer die erforderliche Leistung nicht bringt, hat keine Chance, aufgenommen zu werden. Das hat nichts mit Hautfarbe zu tun." Eine Feststellung, die jeder im Team bestätigt.

Welch enorme Kraftanstrengung beim Segeln um den America's Cup erforderlich ist, mag sich für Zuschauer nicht so leicht erschließen, für sie sieht das Rennen eher gelassen aus. Die Boote müssen nur so schnell wie möglich von A nach B und wieder zurück segeln, mal mit dem Wind, mal gegen den Wind.

Sitzt man oder besser gesagt hängt man auf der Shosholoza, hat die Langeweile keine Chance. Oft krängt das Schiff so stark, dass die Genua, das große Vorsegel, ins Wasser taucht, und dabei rast das Boot mit fast 30 Knoten, also mehr als 50 Stundenkilometer, durch die Wellen.

Und während man sich irgendwo festklammert, um nicht hin- und hergeschleudert zu werden, muss man bei Wende und Halse höllisch auf die Schoten der Segel achten; auf diesen Kevlarleinen lastet eine gewaltige Kraft.

Eine winzige Unachtsamkeit, und schon passiert ein Unglück.

Dem 25-jährigen Grinder Sieraj Jacobs wurde vor ein paar Wochen von einer Schot die Fingerkuppe abgerissen, seitdem hat er die Shosholoza nicht mehr betreten.

Und auch beim heutigen Training geht nicht alles gut. Nach drei Stunden ist Vorschiff-Mann Golden Mgedeza für einen kurzen Moment unkonzentriert und verliert bei einer Halse die Kontrolle über den herumschwingenden Spinnakerbaum - schon liegt Marcello Burricks auf dem Deck und droht durch den Schlag auf den Rücken fast zu ersticken.

"Unglaublicher Teamgeist"

Dass die Shosholoza den America's Cup gewinnt, glaubt natürlich niemand, auch wenn das alle Mitglieder der Mannschaft gerne scherzhaft behaupten. Das Viertelfinale würden sie gerne erreichen, auch wenn ihr Etat von insgesamt 20 Millionen Euro gerade mal ein Fünftel dessen ist, was den meisten Konkurrenten zur Verfügung steht.

In mehreren Rennen haben sie schon Achtungserfolge erzielt, vierte, fünfte Plätze, obwohl alle Mitbewerber hoffnungslos überlegen zu sein schienen.

Skipper Geoff Meek weiß auch den Grund, warum das Shosholoza-Team bis 2007 weit über seine Möglichkeiten hinauswachsen könnte, er hat schon mal am America's Cup teilgenommen, für eine britische Mannschaft. "Dort war alles so glatt, so perfekt, fast schon langweilig, da gab es nicht diesen unglaublichen Teamgeist und diese Euphorie wie auf der Shosholoza. Damit könnten wir ziemlich weit kommen."

Es geht zurück in den Hafen von Kapstadt. Marcello Burricks hat sich vom Schlag auf den Rücken einigermaßen erholt, er ist auch nicht sauer auf Golden Mgedeza, selbst wenn er sich nun mit dieser schweren Prellung für ein paar Tage nicht richtig bewegen kann. Aber so ein Missgeschick, sagt er, könne jedem passieren.

Außerdem war es vorerst das letzte Training in Südafrika, nun reist die gesamte Mannschaft nach Valencia, wo am 19. Mai, also an diesem Donnerstag, die neue Shosholoza vom Stapel gelassen wird. Es ist die erste Yacht, die offiziell für den America's Cup vorgestellt wird. Anschließend bleiben die 25 Männer für ein halbes Jahr in Europa, um zu trainieren und an Wettkämpfen teilzunehmen.

Mit einem riesigen Kran wird die alte Shosholoza aus dem Wasser gehoben und auf dem Teamgelände aufgebockt. Fast ein bisschen wehmütig erscheint da Marcello Burricks, wie er die soeben ausgemusterte Yacht so betrachtet und ausnahmsweise mal für längere Zeit ruhig dasteht. "Es war ein gutes Boot", sagt er, "ich freue mich aber schon auf die neue Shosholoza, die wird noch schneller und noch besser sein als die alte."

Noch mehr freue er sich aber, es den Konkurrenten beim America's Cup zu zeigen. Und je länger er redet, desto freundlicher wirkt er, lacht und scherzt und lässt sich auf all die vielen Fragen ein. "Ihr Journalisten", sagt er, "wollt' eh immer nur die eine Antwort: Wie das so ist mit meiner Hautfarbe und meiner Herkunft, vom Segeln wollt ihr gar nicht so viel wissen."

Aber ein bisschen Verständnis habe er dafür. "Die Apartheid ist erst vor elf Jahren zu Ende gegangen", sagt Burricks. "Erst wenn ihr mich nicht mehr nach meiner Hautfarbe fragt, wenn das endlich kein Thema mehr ist, weiß ich, dass Südafrika ein normales Land geworden ist."

© SZ vom 18.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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