Süd- und Nordkorea:"Berlin ist sehr symbolisch für Koreaner"

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Das Eröffnungsspiel wird zum sportpolitischen Spektakel. Die deutsche Mannschaft trifft auf ein Vereinigungsteam aus Süd- und Nordkorea. Botschafter Jong Bum-goo erklärt, warum für sein Land gut sein könnte, was im Spitzensport oft von Skepsis begleitet wird.

Interview Von Klaus Hoeltzenbein

SZ: Herr Botschafter, waren Sie vor einem Jahr bei den Olympischen Winterspielen? In Pyeongchang gab es ja das erste offizielle koreanische Vereinigungsteam, das Eishockey-Team der Frauen.

Jong Bum-goo: Obwohl ich bei den Spielen war, habe ich das Eishockey-Team nicht direkt gesehen. Aber schon die Teilnahme dieser Eishockey-Mannschaft verlieh den Winterspielen weit über die Sportart hinaus ein friedliches, einheitliches Image. Beeindruckend für mich war schon die Eröffnungsfeier: Beim Einmarsch der Sportler kamen viele aus der deutschen Mannschaft mit zwei Fahnen, in einer Hand die deutsche, in der anderen die Fahne, die die gesamte koreanische Halbinsel darstellt. Allein durch diese Geste hatte sich die deutsche Mannschaft große Sympathie beim koreanischen Publikum erworben. Das war beeindruckend und symbolisch.

Symbolisch, weil der Norden dran beteiligt war, was der Süden organisiert hatte?

Ja, mit der Formierung des Einheitsteams gab es kein großes Problem. Nur unter den Südkoreanern gab es damals ein bisschen Widerstand dagegen.

Warum?

Es gab ja einen objektiven Unterschied in der Kampfkraft, und dass man beide Teams zusammenführte, sei unfair gegenüber den südkoreanischen Spielerinnen, hieß es.

Gibt es einen solchen Widerstand jetzt auch? Es besteht ja doch ein Leistungsgefälle: Auch im Männer-Handball spielt Südkorea auf einem weit höheren Niveau als Nordkorea.

Von der objektiven Kampfkraft her gibt es eine Diskrepanz. Aber ich glaube, die Koreaner sehen nicht nur den Sport. Wie es auch auf der Homepage der Internationalen Handballföderation steht: "More than sport, history in the making". Ich glaube, fast alle Koreaner stimmen dem zu.

Aber die Skeptiker, die es in Korea gab, sagen auch jetzt: Die Mannschaft Südkoreas, die sich sportlich qualifiziert hat, kann nicht so spielen, wie sie eigentlich spielen könnte, weil sie vier Spieler aus Nordkorea zu integrieren hat.

Die Debatten damals in Pyeongchang drehten sich mehr um den Prozess, weniger um das Ergebnis. Es sei alles hinter den Kulissen in einer kurzen Zeit zu schnell vorangetrieben worden.

Im Leistungssport ist es meist so, dass Mannschaften systematisch über Jahre entwickelt werden. Das erste Testspiel des kurzfristig nominierten Korea-Teams ging am Wochenende gegen den VfL Potsdam, einen Drittligisten, verloren.

Ich habe die Mannschaft hier in Berlin im Training besucht, und muss sagen: Ich kann kaum unterscheiden, welcher Spieler aus dem Süden und welcher aus dem Norden ist. Anfangs waren sie sich fremd, distanziert, aber jetzt? Sie sprechen alle dieselbe Sprache. Aber eine Gegenfrage: Gibt es Sport überhaupt völlig unabhängig von der Politik? Gibt es den puren Sport?

Natürlich nicht, trotzdem wird von Sport-Funktionären immer wieder die Devise zitiert: "Dont't mix sport with politics".

Ja, aber wann und wo gab es solchen Sport? Waren das die ersten Olympischen Spiele in Griechenland? Waren die frei von der Politik? Ich bin da eher skeptisch. Das hier ist jetzt die Realität, wir arbeiten auf einer realen Basis. Es gibt verschiedene Formen der Politik, die auf den Sport einwirken, einige positiv, andere negativ. Der negativste Fall waren vielleicht die Olympischen Spiele in Berlin 1936. Grundsätzlich: Durch Sport muss man Frieden und Freundschaft unter Völkern und Nachbarn befördern. Und wenn der Sport das kann, dann ist es keine rein sportliche Veranstaltung. Es ist auch ein wenig politisch gefärbt.

Trainingspause: Koreas kurzfristig vereinigte Handballer lernten sich vor WM-Start im Berliner Horst-Korber-Sportzentrum besser kennen. (Foto: Annegret Hilse/imago)

Der Sport wird instrumentalisiert.

Aber auch von der deutschen Seite her mit gutem Willen. Und ich als koreanischer Botschafter erkenne viele wichtige Werte in diesem Spiel. Erstens: Wir wollen hier mal den Freunden zeigen, wie stark es sich für beide Teile Koreas auswirken kann, wenn es vereinigt ist. Und zweitens: Dass die Koreaner nach der siebzigjährigen Teilung noch so gut kooperieren und harmonieren können.

Es ist demnach so, dass es das Vereinigungsteam nicht geben würde, würde die WM nicht in Berlin gestartet?

Wenn es nicht in Berlin stattfinden würde, wäre die Aufmerksamkeit des koreanischen Publikums eher niedriger, ja. Eine Einheits-Mannschaft in Berlin: fantastisch. Fällt der Name Berlin, denken die meisten Koreaner gleich an die Mauer. Berlin ist ein sehr, sehr symbolischer Ort für die Koreaner, eine Stadt, die geteilt war, aber seit dem Mauerfall vereint ist.

Im Fall von Korea spielt die internationale Sportpolitik jetzt also die Rolle eines Steigbügelhalters?

Natürlich weiß ich, dass da die Sportpolitik eine Rolle gespielt hat, und das finde ich sehr positiv. Wissen Sie, wer zum Eröffnungsspiel kommt? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, er hat sich schon als Außenminister immer für Koreas friedliche Koexistenz eingesetzt; Horst Seehofer, der Innenminister, wird erwartet, und Gerhard Schröder, der angekündigt ist, hat ohnehin viel Interesse an Korea (lacht; Schröders Ehefrau ist Koreanerin). Auf der Haupttribüne in Pyeongchang saßen, ich erinnere mich: das koreanische Präsidenten-Ehepaar, daneben Mike Pence, der amerikanische Vizepräsident, daneben Shinzō Abe, Japans Premier, dahinter die nordkoreanische Delegation, daneben das Ehepaar Steinmeier. Und dann kam die deutsche Mannschaft mit zwei Fahnen. Sehr symbolisch.

Der Sport bricht für diese Symbolpolitik seine Regeln. Er erlaubt Mixed-Teams, also koreanische Spezial-Konstruktionen. Das machen die Funktionäre natürlich aus sehr viel Eigennutz. Das IOC spekuliert, das ist bekannt, schon seit Jahren auf den Friedensnobelpreis.

Thomas Bach, meinen Sie? Kann sein, ja. Genau weiß ich es nicht, aber der IOC-Präsident hat sich schon in Pyeongchang sehr eingesetzt, dieses Mal auch. Aber ob Thomas Bach diesen Nobelpreis in seinem Kopf hat, das weiß ich nicht.

Schauen die Koreaner auch noch zu, wenn in den fünf Spielen der WM-Vorrunde alles verloren werden sollte? Ihre Landsleute gelten ja, was die Industrieproduktion, was Weltfirmen wie Samsung betrifft, als sehr leistungsorientiert.

Aber wir sind auch cool. Und ich stimme nicht unbedingt zu, dass dieses vereinigte Team schwächer als eine rein südkoreanische Mannschaft spielt. Mal sehen. Wie gesagt, es ist sehr politisch. Der nord-südkoreanische Dialog hat sich zwar in den letzten Jahren rapide entwickelt. Aber in dieser Situation möchten wir alle greifbaren Möglichkeiten suchen, um die Spannungen zu lockern. Und dazu müssen wir die Sympathien unserer Nachbarn und der internationalen Gemeinschaft gewinnen.

Das Spiel ist demnach ein Puzzlestück im komplexen politischen Prozess?

Ja, schon. Ich hoffe, dass diese Spiele helfen, politisch mindestens zwei Ziele zu erreichen. Trotz immer noch bestehender Spannungen auf der koreanischen Halbinsel können die beiden Teile Koreas durch friedliche Kooperationen eine Harmonie und nachhaltige Koexistenz erringen. Und zweitens: Nordkorea ist für die westliche Welt viel zu verteufelt. Ich verstehe ja: Durch die Nuklearisierungs-Polemik und vor allem durch die diktatorische Herrschaft in Nordkorea ist das Land für weite Teile der zivilisierten Welt sehr rückständig und wird wie ein Teufelsland dargestellt. Aber da wohnen auch viele normale Menschen. Durch die richtige Verständigung kann der Frieden Stück für Stück voran kommen.

Wo steht dieser Prozess?

Ach, es braucht Zeit, aber wir befinden uns jetzt auf einem neuen Weg. Im letzten Jahr haben wir uns auf innerkoreanischen Gipfeln schon drei Mal getroffen. Das gab es vorher nicht. Und obwohl wir einen solchen Sprung gemacht haben, gibt es weiter so viele Barrikaden und Barrieren. Vor allem die USA: Ohne die Veränderung der bisherigen Lage wollen die Amerikaner keinen Schritt voran treten. Wir müssen also nicht nur die amerikanischen Verbündeten überreden, sondern versuchen, auch die koreanischen Brüder auf den richtigen Weg zu führen.

Wagen Sie eine Prognose?

Das hängt vor allem davon ab, wie sich die Trump-Administration gegenüber Nordkorea verhält. Die Nordkoreaner wollen noch mehr Zugeständnisse von den Amerikanern, was die Sanktionen betrifft. Wenn wir seit Jahresbeginn die Grüße von Kim Jong-un analysieren, so versucht er auf jeden Fall, die wirtschaftliche Lage zu verbessern in seinem System. Dafür braucht er die Aufhebung von Sanktionen, und er ist bereit, wenn die USA Konzessionen machen würden, noch entschlossenere Schritte zur Denuklearisierung zu gehen. Er hat Neujahr erklärt, er will keine Nuklearwaffen mehr produzieren, diese Programmatik ist erstmals in seinen Äußerungen. Früher gab es solche Botschaften nicht.

Zurück zum Sport: Im Sport verliert niemand gerne, auch Nordkoreas Diktator nicht. Die Handball-Mannschaft wird von Südkorea dominiert. Kim Jong-un hätte ja auch eine andere Sportart wählen können, in der die Nordkoreaner besser aussehen, Fußball zum Beispiel. Warum hat er sich auf dieses Projekt eingelassen?

Er ist viel offener, als wir es uns vorher vorgestellt hatten. Haben Sie sein Neujahrs-Grußwort gelesen?

In Auszügen.

Er bemüht sich, zu zeigen, dass er und sein System sich verändert haben. Er versucht, den neuen Weg zu gehen, und er gibt uns solche Botschaften. Sie haben recht, wenn sein Vater, Kim Jong-il, an der Macht geblieben wäre, könnte er sich dann so entscheiden? Aber dieser junge Machthaber möchte offenbar einen anderen Weg als sein Vorgänger. Für ihn ist vor allem die Aktion wichtig: dass wir ein Team sein können, egal, welche Leistungsfähigkeit die Mannschaft zeigen kann. Ich glaube, das ist seine Message nach außen.

Der Sport aber, so ist es nun einmal, liebt die Gewinner, nicht die Verlierer.

Ach, Kim Jong-un ist kein Sportler oder Sport-Politiker. Er ist Herrscher eines Systems. Er will sagen: Wir sind bereit. Wir sind offen. Er hat ein großes Bild vor Augen, und dies hier ist ein Puzzle-Stück. Wir legen hier in Berlin ein Stück ins Bild. Aber wo dieses Stück am Ende genau eingelegt wird, das kann ich noch nicht sehen.

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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