Stuttgarter 3:1-Sieg:Jenseits der Extreme

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Der VfB gewinnt in Köln, weil er unter Trainer Jürgen Kramny die Fehler der Hinrunde abgestellt hat - und in der zweiten Halbzeit seine spielerischen Qualitäten zur Geltung bringen kann.

Von Philipp Selldorf, Köln

Die VfB-Minuten sind die Minuten, die die VfB-Fans am meisten fürchten. Die Neigung, in den letzten Spielminuten ein Spiel zu verlieren, das man in den vorigen 80 bis 85 Minuten eigentlich schon gewonnen hatte, hat sich der VfB in Stuttgart in jahrelang geübter Praxis so sehr zueigen gemacht, dass sie in den Traditionsschatz des Vereins eingegangen ist. Und auch am Samstag in Köln-Müngersdorf haben die Stuttgarter an ihrem seltsamen Brauch festgehalten, "drei richtig gute Torchancen" für den FC zählte Jürgen Kramny im Laufe der VfB-Minuten, während der Hinrunde hätte das locker für eine tragische Auswärtsniederlage gereicht.

Aber der VfB unter der Regie von Jürgen Kramny ist ein anderer VfB als der VfB unter der Regie seines extremistischen Vorgängers Alexander Zorniger, und deshalb beklagten nicht die Stuttgarter ihr Schicksal, sondern die Kölner, die mit der Erfahrung einer 1:3-Niederlage nach Hause gingen. Der Kölner Trainer Peter Stöger bemerkte zwar missgelaunt, dass es sich "um eine unnötige Niederlage" gehandelt habe, er bemerkte aber auch, es sei "nicht so, dass die Stuttgarter nicht verdient gewonnen hätten".

Stuttgarter Aufbäumen: Christian Gentner (rechts), der Torschütze zum wichtigen 3:1, im Zweikampf mit Kölns Leonardo Bittencourt. (Foto: Sascha Steinbach/Bongarts/Getty)

Zunächst hat der VfB keine Antworten auf die Kölner Offensive

Stögers Anerkennung war berechtigt. Diese spannende, tempo- und actionreiche Partie hatten die Stuttgarter mit vereinten Kräften vereinnahmt, obwohl sie zunächst wie die designierten Verlierer ausgesehen hatten. Köln startete besser und ging nach einem von Modeste verwandelten Foulelfmeter, den Innenverteidiger Niedermeier durch gewohnt ungestümen Einsatz hervorrief, folgerichtig in Führung (16. Minute). Der VfB wusste darauf keine Antwort, bot nicht den leidenschaftlichen Abstiegskampf, der dem Tabellenstand angemessen war.

Mehrfach näherte sich der FC dem 2:0 an, "wenn wir's in dieser Phase durchgezogen hätten, dann hätten wir das Spiel gewonnen", behauptete Torwart Horn später und lag damit vermutlich richtig. Erst ein fahrlässiger Fehlpass des Kölner Rechtsverteidigers Olkowski änderte das Geschehen. Kostic, Werner und Didavi, das potentiell magische VfB-Trio, nutzte den Fauxpas zum 1:1 (36.).

Das Debüt von Kevin Großkreutz erfüllt die Erwartungen

Die beachtlichen spielerischen Qualitäten, die in der Mannschaft stecken, brachte der VfB erst in der zweiten Halbzeit zur Geltung. Nach Werners Kopfballtor (52.) erlagen die Stuttgarter nicht der Versuchung, mit geballter Abwehrarbeit die Führung zu sichern. Sie setzten den Kölnern mit variabler Gegenwehr zu, mal hoch in der gegnerischen Hälfte, mal zurückgezogen am eigenen Strafraum, und ergriffen selbst immer wieder die Initiative zum Angriff. Didavi und Rupp steuerten aus dem Mittelfeld geschickt die Offensive, ein gewisser Kevin Großkreutz unterstützte mit energischen Flügelläufen den Vorwärtsdrang.

Großkreutz debütierte beim VfB genau so, wie sich Sportchef Dutt und Trainer Kramny das vorgestellt hatten. "Seine Mentalität, das ist genau der Punkt, weshalb wir Kevin aufs Feld gebracht haben", sagte Kramny. Am 3:1 durch Gentner (83.) hatte Großkreutz seinen Anteil, indem er entscheidend zur Balleroberung beitrug. Noch größeren Anteil hatte Lukas Rupp, der dem Schützen eine brillante Vorlage lieferte.

Für die Stuttgarter war dieser Auswärtserfolg nach den Worten von Verteidiger Schwaab "brutal wichtig" im seiner Ansicht nach unvermindert anhaltenden Abstiegskampf. Auch Trainer Kramny stellte fest: "In der Tabelle stehen wir immer noch unten drin." Die Zeichen häufen sich jedoch, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhalten wird.

© SZ vom 24.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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