Start der Eiskunstlauf-Saison:Mit blauen Flecken

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Mit Leichtigkeit schwere Übungen: Die Paarläufer Bruno Massot und Aljona Savchenko starten in die Grand-Prix-Saison. (Foto: Joosep Martinson/Getty)

Die deutschen Paarläufer Aljona Savchenko und Bruno Massot feilen schon jetzt an der Olympiatauglichkeit ihrer Kür - und gehen dabei auch volles Risiko ein.

Von Barbara Klimke, München

Zum erstaunlichen Werdegang von Alexander König gehört, dass er nicht nur ein Meistertrainer, ein ehemaliger Eiskunstläufer, Autor und Maler ist. Er hat sich nebenbei auch zum Mediator schulen lassen, was ihn, rein theoretisch, befähigt, im Tarifstreit zu vermitteln oder schwere Beziehungskrisen zu managen. Nicht, dass er derzeit oft gefragt wäre als Schlichter: Allem Anschein nach sind Aljona Savchenko und Bruno Massot, die er am Wochenende zum Grand Prix nach Kanada begleitet, ein sehr harmonisches Paar. Königs mäßigender Einfluss ist allerdings mitunter vonnöten, wenn es darum geht, Savchenkos Eifer zu bremsen: Zum Beispiel weil sie fest entschlossen ist, sich leichtsinnig aus größter Höhe auf das spiegelblanke Eis zu stürzen.

So geschehen kürzlich in Oberstdorf, als Aljona Savchenko bei der Uraufführung der neuen Kür auf Ganze ging. "Sie wollte ans Maximum", sagt König: "Sie wollte exakt wissen, wo sie beim ersten Wettkampf leistungsmäßig stehen." Das bedeutete in diesem Fall, dem Publikum den Dreifach-Wurfaxel vorzuführen, eine der kompliziertesten Luftnummern, die die Risikodisziplin Paarlauf zu bieten hat. Eine Rotation weniger hätte so früh in der Saison auch gereicht, wenn man zwischen Himmel und Erde um die eigene Achse spindelt, fand Trainer König. Und listete das Gefahrenpotenzial auf. Flugzeit: eine Sekunde. Wurfhöhe: 1,2 Meter über den Armen des Partners; Fluglänge: 5 Meter. "Das ist kein Element, bei dem man auf der Hüfte oder dem Knie landen möchte." Savchenko und Massot wollten es trotzdem probieren. Und weil Aljona Savchenko, 33, als fünfmalige Weltmeisterin die beste deutsche Paarläuferin der Geschichte ist, weil "die Sportler immer ein Mitspracherecht bei mir haben", wie der auf Ausgleich bedachte Alexander König sagt, einigte sich das Trio darauf, die Verantwortung für dieses Wagnis gemeinsam zu tragen.

Es ist dann ausgegangen wie befürchtet. Missglückter Dreifach-Wurfaxel in Kurzkür und Kür, Folgefehler beim Toeloop, insgesamt drei Stürze, die das Gesamtbild trübten. "Das ist natürlich nicht so toll für ein Paar, das WM-Zweiter ist", bilanziert König nun, mit dem Abstand von vier Wochen: "Es war nah am Desaster."

Andererseits ist Savchenkos Kalkül damals aufgegangen. Das Wurf-Roulette bei der Oberstdorfer Nebelhorn-Trophy - samt harter Landung - brachte tatsächlich einen schmerzhaft spürbaren Erkenntnisgewinn über die aktuellen Defizite. Danach wurde analysiert, justiert, trainiert, um das Risiko weiterer Bruchlandungen am Freitag und Samstag bei Skate Canada möglichst zu minimierten. Denn auch wenn das beste deutsche Duo seinen Startplatz bei Olympia bereits sicher hat, ist der Grand Prix in Saskatchewan alles andere als ein Textwettbewerb für experimentierfreudige Kufenkünstler. Eingeladen wird nur die Elite, und Savchenko/ Massot müssen sich unter anderen an den Weltmeistern des vergangenen Jahres, den Kanadiern Meagan Duhamel/Eric Radford, messen, die in der Eishalle von Regina ein enthusiastisches Publikum hinter sich wissen. Wie bei der Konkurrenz, so ist auch in Königs Trainingsgruppe die gesamte Jahresplanung auf den Olympiaauftritt in Südkorea ausgerichtet. Und von nun an wird sich kaum ein Mitbewerber mehr schwere Patzer leisten können. Denn Eiskunstlauf ist ein Sport des schönen Scheins - daraus folgt, dass oft schon der erste Auftritt einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Das gilt, in abgeschwächter Form, auch für den Rest der deutschen Delegation in Saskatchewan. Ebenfalls eingeladen sind die Eistänzer Kavita Lorenz und Joti Polizoakis aus Oberstdorf, die eine vergleichsweise kurze Anreise haben, da sie seit einiger Zeit überwiegend in Detroit bei Marina Zueva trainieren. Das Duo hat kürzlich den letzten deutschen Quotenplatz des Weltverbands für die Winterspiele gesichert, was zu Erleichterung bei der Deutschen Eislauf Union führte, weil der Verband damit in allen Disziplinen bei Olympia antreten kann. Um tatsächlich olympische Kringel in das Eis kratzen zu dürfen, müssen Kavita Lorenz und Joti Polizoakis, die zweimaligen deutschen Meister, allerdings noch die Verbandsnorm erfüllen. Und das heißt: Punktesammeln bei vier Wettbewerben, um sich letztlich bis zu den deutschen Meisterschaften im Dezember an der nationalen Konkurrenz vorbeizuschieben.

Ähnliches wird sich Paul Fentz aus Berlin vorgenommen haben, der nachnominiert wurde, um "im exklusiven Zirkel des Grand Prix", wie DEU Sportdirektor Udo Dönsdorf sagt, vorzutanzen. Fentz wird sich den Winter über bei diversen Wettbewerben wohl am Rivalen Peter Liebers messen müssen: Nur für einen ist ein Platz bei Olympia reserviert. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es doch noch zu Streit und Verwerfungen im Kreis der Kufenkünstler kommt. Insofern ist es gut zu wissen, dass es in Oberstdorf einen Trainer gibt, er im Notfall immer als Mediator und Schlichter einspringen könnte.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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