Sportpolitik:Das Klischee und sein Kern

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Über Sportfunktionäre zeichnen die Medien ein Zerrbild - die Betroffenen tragen jedoch Mitschuld daran.

Helmut Digel

In der Diskussion über den Tibetkonflikt und die Olympischen Spiele in China werden in den Medien erneut Klischees über Sportfunktionäre gepflegt. Sportfunktionäre sind demnach vergreist, ahnungslos, unpolitisch und vor allem eigennützig. Die Athleten fühlen sich durch sie bevormundet. Von der Sache selbst haben die Funktionäre keine Ahnung. Wie stolze Hähne zeigen sie ein ausgeprägtes Revierverhalten, und insgesamt schaden sie der guten Sache des Sports. 1993, als ich zum Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes gewählt wurde, wurde ich zu einem echten Sportfunktionär. Zuvor arbeitete ich ehrenamtlich in vielen Gremien des Sports. Als Sportwissenschaftler hatte ich bereits verschiedene Verbände aus sportsoziologischer Perspektive beraten. 15 Jahre später ist es mir heute möglich, mich selbst im Spiegel des Klischees vom Sportfunktionär zu beobachten.

Helmut Digel war Vizepräsident der IAAF, des Weltleichtathletik-verbandes sowie Präsident des Deutschen Leichtahtletikverbandes. (Foto: Foto: dpa)

Das Bild, das von den Funktionären in den Medien gezeichnet wird, zeigt vor allem jene Funktionäre, die sich an der Spitze der Funktionärspyramide befinden. Das Bild resultiert aus einem Spannungsverhältnis zwischen diesen Funktionären und den Journalisten. Nirgendwo wird dies deutlicher als in der SZ selbst, die über ihre Sportredakteure ein Freund-Feind-Verhältnis zu Funktionären aufgebaut hat, das seinesgleichen sucht.

Die Basis der Funktionärspyramide wird allerdings von den vielen Ehrenamtlichen gebildet, die im wahrsten Sinne des Wortes nur um der Ehre willen sich in ihrer Freizeit um den Sport kümmern. Sie betreuen Jugendliche, trainieren Mannschaften, sind Schatzmeister eines Vereins oder erledigen die Pressearbeit eines Verbands. Sie bieten nur selten Skandale, sie sind so alltäglich wie der Alltag selbst. Deswegen lassen sie sich auch kaum dem Gebot der massenmedialen Skandalisierung unterwerfen.

Blatter als Schlitzohr stilisiert

Auch in der Spitze der Pyramide schaffen es nur wenige Funktionäre, Gegenstand der Berichterstattung zu werden - Männer wie Samaranch, Rogge, Blatter und Bach. Allein diese Liste macht bereits deutlich, dass es sich um eine sehr schillernde Auswahl von Spitzenfunktionären handelt, die wohl kaum über einen Kamm geschert werden können. Eines wird dabei jedoch klar: Ist man als Funktionär so weit gekommen, dass man auf der internationalen Bühne der Massenmedien agieren kann, so ist Stereotypisierung nahezu zwangsläufig.

Gebetsmühlenhaft wird Samaranch mit der Etikette der spanischen Militärdiktatur versehen, Blatter als Schlitzohr stilisiert, das zu jedem bösen Trick in der Lage ist. Bach ist der Knecht der deutschen Wirtschaft und verfolgt demnach vorrangig als Funktionär Eigeninteressen, und Rogge ist der Aufrichtige, der jedoch überfordert ist. Betrachten wir die Berichterstattung über Thomas Bach noch etwas genauer, so müssen wir erkennen, dass die gesamte Journalistenschaft ihm eine verdeckte Strategie unterstellt, die nur eines zum Ziel hat: in wenigen Jahren IOC-Präsident zu sein.

Die Frage, ob es im Interesse Deutschlands sein könnte, dass Bach dazu gewählt wird, wird dabei so gut wie gar nicht gestellt. Auch die Frage, ob es legitim ist, dass Funktionäre Ehrgeiz haben, dass sie aufsteigen möchten, um zu beweisen, zu welchen Leistungen sie in der Lage sind, wird ausschließlich negativ diskutiert.

Auf der nächsten Seite: Warum bei Sportfunktionären häufig rhetorische Begabung genügt und Sport anders bewertet werden muss als Politik, Wirtschaft oder Massenmedien.

Die Ursache für das Problem zwischen den Massenmedien und den Spitzenfunktionären liegt jedoch nicht nur bei den Medien. Die Sportfunktionäre selbst haben viel dazu beigetragen. Zum einen ist ihre Kommunikationspolitik seit langem selektiv. Manche Journalisten werden ausgewählt bevorzugt, andere ausgeblendet. In einigen internationalen Sportorganisationen ist die Tendenz zur Zensur zu beobachten. Zum anderen sind es die Umgangsformen der Funktionäre untereinander, aber auch ihre Rekrutierung, die diese von Vorurteilen befangene Berichterstattung ausgelöst haben.

Rhetorische Begabung genügt

Wie jedes Klischee hat auch dieses einen sachlichen Kern. Die Funktionärswelt kann nur in Ausnahmefällen darauf verweisen, dass die Besetzung von Positionen mit der Professionalität erfolgt, die man angesichts der zu erledigenden Aufgaben in diesen Positionen erwarten müsste. Fachliche, persönliche und soziale Kompetenz sind in vielen Sportorganisationen Fremdwörter. Häufig genügt sprachliche Kompetenz, also rhetorische Begabung, um sich zu profilieren.

Allerdings gibt es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, eine Fremdsprache zu sprechen und der Intelligenz, die man für die sportpolitische Arbeit voraussetzen müsste. Noch weniger hängt Intelligenz mit sportlichen Erfolgen zusammen. Ob jemand schnell gelaufen, hoch gesprungen oder schnell geschwommen ist - dies sagt nur wenig oder gar nichts darüber aus, ob jemand auch als Sportfunktionär über die Fähigkeiten verfügt, die man erwarten müsste.

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich in den wichtigsten Gremien des internationalen Sports jene durchgesetzt haben, die neben einer sportlichen Sozialisation auch eine umfassende berufliche Qualifikation aufweisen können. Juristen spielen dabei eine besondere Rolle. Neben solchen Funktionären, die sich durch eine sehr fundierte fachliche Qualifikation auszeichnen, gibt es aber leider viel zu viele, die ihre exponierten Rollen mit selbstdarstellerischer Arroganz ausleben. Unter den Weltpräsidenten gibt es welche, die zur Großmannssucht neigen, andere sind selbstherrliches Mittelmaß.

Sport muss anders bewertet werden

Von solchen Merkmalen bleiben auch deutsche Repräsentanten leider nicht verschont. In ihrem Übereifer planen sie die Wahl zum IOC-Mitglied. Selbstzweifel scheinen nicht zu bestehen.

Dieses teilweise sehr irritierende Profil ist jedoch kein sportspezifisches. Es findet sich bei Repräsentanten der nationalen und internationalen Politik in gleicher Weise wie bei Repräsentanten der nationalen und internationalen Wirtschaft. Der Sport ist also auch, was die Funktionäre betrifft, ein Spiegelbild der Gesellschaft. Sein Spitzenpersonal hat sich von der Basis genauso weit entfernt, wie dies in Politik und Wirtschaft zu beobachten ist.

Allerdings, dies ist keine Entschuldigung. Der Sport muss anders bewertet werden als Politik, Wirtschaft oder Massenmedien. Er stellt ein kulturelles Gut unserer Gesellschaft dar, dessen Werte gerade unter pädagogischen Aspekten nicht hoch genug veranschlagt werden können. Es geht um Gesundheit und Wohlbefinden, Spaß und Freude, Leistung und Wetteifer, Zuversicht und Solidarität, Integration und Toleranz und besonders Fair play. Die Führer des Sports stellen sich oft in einer Weise dar, die im Widerspruch zu dieser besonderen Qualität des Sports steht. Die Gefahr, die damit verknüpft ist, ist offensichtlich.

© SZ vom 24.04.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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