Spielersuche bei der EM:Der Basar ist meist geschlossen

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Nach dem Goldrausch der 90er Jahre werden bei dieser EM nun kaum noch große Transfers getätigt. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen viel Geld für die besten Einzelspieler bezahlt wurde.

Von Ronald Reng

Eine der größten Überraschungen dieser EM für Paul Koutsoliakos? Mit Sicherheit, wie viele griechische Sportjournalisten es gibt. "Das sind ja mindestens 5000", sagt er, und in seiner Stimme schwingt nicht nur Verblüffung, sondern auch ein wenig Entrüstung mit. Was daran liegt, dass schätzungsweise 4999 bei ihm angerufen haben.

Koutsoliakos, in den 90er Jahren Profi bei 1860 München, arbeitet heute in der Nähe von Frankfurt als Fußballagent, der Grieche Angelos Charisteas, der Überraschungsmann im Überraschungsteam, zählt zu seinen Klienten. Einer von Koutsoliakos' Ratschlägen war, dass Charisteas nach seinem Tor beim 2:1 im Eröffnungsspiel gegen Portugal das Handy für den Rest des Turniers ausschalte. Das hat er nun davon: "Jetzt ruft jeder bei mir an."

Welt- und Europameisterschaften gelten als Schaufenster des Profifußballs, hier können es lokale Größen mit zwei, drei starken Auftritten zu internationalem Renommee bringen. Charisteas, der in Bremen den Großteil der Saison auf der Ersatzbank verbrachte, ist ein Paradebeispiel. Doch es sind nur 5000 Journalisten, nicht 5000 Vereine, die bei Charisteas' Agenten anrufen.

Knappe Kassen

Als Geschäftsmarkt, bei dem die Spieler nicht nur Viertelfinals, sondern auch auf die Schnelle neue lukrative Verträge gewinnen können, hat eine EM kaum noch Bedeutung. "Also, 30 bis 50 Anrufer hatte ich auch, die natürlich alle die besten Angebote für Angelos hatten, von Real Madrid bis Barcelona", sagt Koutsoliakos und lacht, "aber das sind diese Vermittler, die musst du sofort abblocken, sonst machen sie dich wahnsinnig." Ein paar direkte Anfragen von Vereinen gab es - ein großer Klub war nicht darunter.

Das war noch bei der EM 2000 anders. Ähnlich wie diesmal Charisteas gefielen der Serbe Savo Milosevic mit fünf und der Portugiese Nuno Gomes mit vier Toren. Sofort zahlte der AC Parma für Milosevic 25 Millionen Euro Ablöse an Real Saragossa. Für Gomes legte der AC Florenz 19 Millionen hin. Die führenden Vereine, vor allem in Südeuropa, wollten diese Stars eines Sommers unbedingt haben, als Prestigeobjekte. Für die Mittelklasse-Vereine war eine EM ein Basar zur Schnäppchenjagd.

All das ist vorüber. Der Goldrausch der Neunziger liegt hinter dem Fußball. Knappe Kassen sind der Hauptgrund, warum diese EM bislang einen einzigen bedeutenden Transfer hervorbrachte, den des Schweden Henrik Larsson von Celtic Glasgow zum FC Barcelona, ohne Ablöse. Hinzu kommt: Starkult ist nicht mehr in. Das Scheitern von Real Madrid und im Kontrast der Champions-League-Gewinn des FC Porto haben dazu geführt, dass die perfekte Mannschaft gesucht wird statt der tollsten Einzelspieler.

Zudem ist das Scouting professioneller geworden. Vorbei die Zeiten, als Kevin Keegan, damals Trainer von Newcastle, bei der WM 1994 im Wohnzimmer Spieler wie den Schweizer Marc Hottiger, den er zum ersten Mal sah, vom Fernseher weg verpflichtete. Heute gibt es bei einer EM keine Fußballer mehr, "die wir nicht schon kennen", sagt Husnija Fazlic, Chefscout in Bremen. Werder ist der einzige Bundesligist, der bei dieser EM einen Profi verpflichtet hat, den Dänen Claus Jensen. Fazlic hatte ihn zuvor beobachtet und sah ihn sich in Portugal noch dreimal an.

Bei 13 Spielen in 14 Tagen war Fazlic, "jetzt habe ich fünf Namen im Notizblock, die ich im nächsten halben Jahr genauer prüfen werde". Das ist mittlerweile die Ausbeute einer EM für die Scouts. Die jungen Spieler, die für das Massenpublikum Offenbarungen waren, sind ja für die Vereine längst alte Gesichter. Der Holländer Arjen Robben, 20, wurde schon im Januar vom FC Chelsea für die kommende Saison verpflichtet. "Die einzige wirkliche Entdeckung", sagt Fazlic, "war für mich Wayne Rooney. Den kannte ich natürlich. Aber dass er ein Weltklassespieler ist, der alles kann, das war für mich neu."

Was Spieler bei einer EM heutzutage erreichen können: zeigen, dass sie besser sind als ihr Ruf. Darauf setzt Charisteas' Agent Koutsoliakos. "Angelos hat bewiesen, dass er es auf so einem Niveau kann." Das wird ihm keinen Riesenvertrag in Italien einbringen, sondern "eine Chance, nächstes Jahr bei Werder mehr zu spielen", hofft Koutsoliakos. "Ich kann es nur immer wieder sagen: Er bleibt in Bremen." Und damit: Telefonleitung frei für den 5001. griechischen Journalisten.

© Süddeutsche Zeitung vom 2.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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