Spektakulärer 4:3-Erfolg für Köln:Entfesselt wie nie

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Eines der herausragenden Spiele in dieser Saison hinterlässt, angestachelt von der Aussicht auf die Europa League, stolze Gewinner und kaum weniger stolze Verlierer vom SV Werder .

Von Philipp Selldorf, Köln

Anthony Modeste hat den Schlusspfiff bestimmt nicht weniger ersehnt als all die Leute, die im Müngersdorfer Stadion auf ihren Plätzen standen, weil sie es im Sitzen nicht mehr aushielten. Doch als dann Schiedsrichter Stark aus Ergolding endlich auf seine stets zackige Art den letzten Pfiff tat, hat Modeste nicht infernalisch gejubelt wie die 50 000 Menschen auf den Rängen (abzüglich der Anhänger von Werder Bremen, von denen so viele zugegen waren, dass die Hansestadt weitgehend entvölkert sein musste). Nicht mal die Arme hat er hochgerissen im Moment der Erlösung. Stattdessen ballte der Mittelstürmer notdürftig zwei Fäuste und sank dann auf den Rasen, auf dem er rücklings liegenblieb wie ein gestrandeter Plattfisch. Gratulanten wurden im Liegen empfangen, sie kamen in großer Zahl, denn Modeste hatte den Abend wieder mal mit der Bestnote abgeschlossen. Zwei Tore geschossen, eines vorbereitet - und dennoch war er nur einer von vielen Hauptdarstellern einer grandiosen Vorstellung.

Der Schlusspfiff in Müngersdorf, der den 4:3-Sieg des 1. FC Köln gegen Werder Bremen besiegelte, hinterließ stolze Gewinner und kaum weniger stolze Verlierer. Als der Bremer Zlatko Junuzovic zur Abreise Richtung Norden aus der Kabine hervorkam, bedauerte er zwar pflichtgemäß, dass nun die schöne Serie vorbei war - elf Mal hatte Werder zuvor nicht verloren -, aber er war auch gern bereit, die guten Seiten des Abends zu sehen. "Es war ein Spektakel unter Flutlicht und ein großes Spiel von beiden Mannschaften", schwärmte der Österreicher. Auch sein Trainer Alexander Nouri hatte sich schnell versöhnt mit der Niederlage. Wenn schon das Ende der Serie habe kommen müssen, dann sei es doch gut, dass es "bei diesem sympathischen Klub" in Köln passiert sei, erklärte er dem FC-Manager Jörg Schmadtke im Zuge einer freundschaftlichen Umarmung.

Das Ziel Europa League spornt beide Klubs an

Diese Partie sei "eine Werbeveranstaltung für den Fußball" gewesen, schloss sich Schmadtke den allgemeinen Würdigungen an, eine Redewendung aus den Zeiten aufgreifend, in denen samstags um 17.48 Uhr die "Sportschau" das Bundesligabild verwaltete. Andererseits war es mit diesem Kompliment längst nicht getan, denn das Spiel war außerdem eine Werbeveranstaltung für den so oft geschmähten kleinen Bruder der Champions League. "Zum Teufel mit der Meisterschaft, zur Hölle mit Real Madrid, hier kommt die Europa League" - unter diesem imaginären Motto stürmten die beiden Mannschaften hochmotiviert in den wilden Abend.

Modeste, der Erste: Wenn der Kölner Torjäger so weiter macht, bekommt er noch von der Stadt einen Adelstitel verliehen. Hennes VIII wird beim Jubel ganz verlegen. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Nun stehen Kölner und Bremer punktgleich in der Tabelle, beiderseits entschlossen, ihre Chance auf die Teilnahme am Europacup zu nutzen. "Die Kölner sind heute der große Gewinner, aber wir haben immer noch ein Ziel vor Augen", entgegnete Werder-Sportchef Frank Baumann ängstlichen Bremer Berichterstattern, die vor den Spielen gegen Hoffenheim und in Dortmund ihre Sorge vor einem psychologischen Rückschlag äußerten: "Ich glaube nicht, dass es bei uns einen Spannungsabfall gibt."

Tatsächlich hatte Werder eine halbe Stunde lang ausgesehen wie das Kaninchen, das von den Windhunden gejagt und gerissen wird. Dass FC-Trainer Peter Stöger während der Woche zur Offensive Richtung Europa aufgerufen hatte, das schien die schiere Begeisterung bei seinen Leuten ausgelöst zu haben. So entfesselt hatte man den unter Stögers Aufsicht stets disziplinierten und kontrollierten FC selten gesehen, vielleicht noch nie. Dem Bremer Spielaufbau durch die Mitte begegneten die Kölner mit radikalem Pressing und weit vorgeschobener Vorwärtsverteidigung, lediglich Subotic und Sörensen blieben ein Stück zurück - eine ungenügende Risikoversicherung, wie sich noch herausstellen sollte. "Die Kölner sind mit einer ungeheuren Wucht aufgetreten, und wir hatten nicht die richtigen Mittel dagegen", sagte Werder-Manager Baumann. Felix Wiedwalds Tor wurde von den Kölnern so intensiv beschossen, dass es im realen Leben längst eine Bruchbude gewesen wäre. Dann traf Modeste zum 1:0 (13.) und Bittencourt zum 2:0 (28.), und die Sache schien auf eine eindeutige Lösung hinauszulaufen.

Gnabry vergibt die Chance zum 4:4

Doch die Bremer offenbarten nicht nur einen starken Widerstandsgeist, sondern auch ihre spielerische Klasse, die ihnen zuletzt neun Siege und zwei Unentschieden eingebracht hatte. Der flinke Bartels (34.) und Gebre Selassie (40.) machten gegen die wie dezimiert wirkende Kölner Deckung aus dem 0:2 im Handumdrehen das 2:2, und beinahe hätte die Bremer Überrumpelungstaktik noch vor dem Pausenpfiff die Führung beschert, da fiel das wegweisende Tor auf der Gegenseite: Ein Abschlag von Torwart Horn, Modestes gewonnenes Kopfballduell, Bittencourts Weiterleiten - und schon hatte Zoller freie Fahrt.

Zurückgepfiffen: Claudio Pizarro trifft zwar das Tor, doch zählt es nicht. Der Peruaner stand zuvor im Abseits. (Foto: Lars Baron/Getty)

Ein dermaßen torreiches Spiel bedarf einerseits durchlässiger Abwehrreihen und andererseits brillanter Angreifer.

Modeste belegte dieses Prinzip mit dem Treffer zum 4:2 (47.), das die Verhältnisse aber nur vermeintlich klärte, denn wenig später kam Gnabry auf den Platz und erzielte das 3:4 (62.). Der Rest war ein konzertiertes Bremer Anrennen, das zwar mehr Druck verursachte als ihn zwei Wochen zuvor am gleichen Ort die Hoffenheimer zustande brachten, aber weniger Erfolg brachte, weil Gnabry einen Kopfball aus kurzer Entfernung über das Tor setzte. Die Kölner Wagenburg hielt dank neuer Besatzungsmitglieder dicht, und die beste Chance auf das achte Tor des Abends hatte Modeste nach einem Konter über den rasend schnellen Verteidiger Klünter - doch dem entkräfteten Franzosen gelang kein platzierter Abschluss mehr.

"Ganz viel harte Arbeit" stehe noch bevor, um den großen Wunsch zu verwirklichen, verkündete der Kölner Kapitän Matthias Lehmann. Erst mal aber verhängte Stöger ein trainingsfreies Wochenende, bevor es dann zum Derby nach Leverkusen geht. Mit Recht, wie Lehmann meinte: "Nach so einem Spektakelspiel kann man Samstag und Sonntag ruhig mal die Füße hochlegen."

© SZ vom 07.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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