Spanien:Endlich schön

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Johan und Jordi Cruyff propagierten in Spanien jenen Fußball, den die Nationalelf nun spielt.

Ronald Reng

Hannover - Es gibt noch einen Ort, wo die Weltmeisterschaft nicht stattfindet, Jordi Cruyff hat ihn gefunden. Er ist auf Ibiza im Urlaub. "Eine merkwürdige Insel", sagt er, "Fußball interessiert hier nicht. Die Leute haben anderes im Sinn."

Jedenfalls scheint er recht froh zu sein, wieder einmal über Fußball reden zu können. "Ich bin gerade beim Mittagessen, ruf' mich bitte in 15 Minuten noch einmal an - ich werde ganz schnell essen!"

Jordi Cruyff, der mit 32 nach schweren Knieproblemen gerade einen neuen Anlauf im Profifußball unternimmt, hat sich damit arrangiert, dass alles, was er im Fußball erreicht, bescheiden aussieht. Weil es immer mit den Errungenschaften seines Vaters Johan verglichen wird, dem größten Fußballer der Niederlande.

Gottväterliche Züge

Jordi Cruyff, der für die Niederlande 1996 bei der EM dabei war und 2001 mit Alaves ins Uefa-Cup-Finale gelangte, wird, wenn er sich an diesem Dienstag Spanien im WM-Achtelfinale gegen Frankreich im Fernsehen anschaut, auch in diesem Spiel seinen Vater wiedererkennen - aber doch auch sich selbst:

Johan Cruyff, der 1974 als Spieler zum FC Barcelona ging und dort später als Trainer gottväterliche Züge bekam, brachte den Fußball nach Spanien, den die Nationalelf nun so aufsehenerregend spielt.

Und Jordi Cruyff, der beim FC Barcelona groß wurde, gehörte zur ersten Generation, die in Spanien die Idee vom endlosen Kombinationsfußball durchzusetzen versuchte. "Endlich", sagt er, "spielt Spanien den Fußball, der am besten zu ihm passt."

Heute kann Nationaltrainer Luis Aragones sagen: "Gegen Frankreich müssen wir uns hübsch machen. Wir müssen den Ball passen und passen und passen und passen." Und niemand widerspricht.

Es hat seine Ironie, denn Aragones, 67, gehörte immer zur anderen Seite, "König des Konterfußballs" war sein Branchennamen, er bekämpfte die offensive Ideologie der Cruyffistas, die er mit seiner Auswahl nun vertritt. Es war Spaniens Kulturkampf der Neunziger. La belleza contra la furia - die Schönheit gegen die Wut. Führt der Weg zum Sieg über elegantes oder aggressives Spiel?

In der Hand der Wütenden

Die Nationalelf war bis 2002 immer in der Hand der Wütenden: Unter Trainern wie Javier Clemente oder Jose Camacho waren Vehemenz, Kraft und Wille ihre Leitwerte.

In Barcelona dagegen hatte Johan Cruyff die Grundsätze als Doktrin verankert, mit denen er bei Ajax Amsterdam aufgewachsen war: das riskante Spielsystem mit drei Stürmern, Vorfahrt für technisch begabte Fußballer und Mut, jungen Spielern zu vertrauen.

Ein Jahrzehnt, nachdem sich Cruyff senior wegen Herzproblemen aus dem Fußball verabschiedete, hat er gesiegt. Die Nationalelf hat die Schönheit Barcelonas übernommen; deren junge Figuren, Xavi Hernandez, Cesc Fabregas, Andres Iniesta, zu Beginn auch Xabi Alonso, wurden alle mit der Cruyff-Doktrin aufgezogen.

"Der Grundgedanke bei der Spielerausbildung in Barcelona ist anders als fast überall sonst", sagt Jordi Cruyff: "In Barcelona spielt es keine Rolle, wie schnell, wie groß, wie stark ein Junge ist. Es zählt nur eins: Wie gut ist er mit dem Ball?"

So kommt es, dass Barca ständig kleine, schmächtige Spieler hervorbringt. Das argentinische Wunderkind Leo Messi, 1,69 Meter, ist der jüngste Protagonist, Spaniens Xavi misst 1,68 Meter.

Das hintere Auge

Es ist kein Nachteil, glaubt Jordi Cruyff: "Wenn du als Zwölfjähriger mit 1,50 Meter immer gegen zwanzig Zentimeter Größere spielst, wächst dir ein Auge im Hinterkopf: Du entwickelst einen sechsten Sinn, mit dem du die Bewegungen der Gegner ahnst. Schau dir Xavi an: Er verliert keinen Ball. Sein hinteres Auge weiß, von wo die Gegner kommen." In Barcelona werden Jungen erzogen, den riskanten Pass zu suchen.

Man hat ihnen in Spanien nie getraut. Schönheit gewinnt nichts, hieß es, und dass Barca tatsächlich Jahr für Jahr im Europacup in Schönheit verendete, stärkte das Vorurteil. Hätte Barca diese Saison nicht die Champions League gewonnen, hätte Aragones wohl nie den Stil übernommen.

Wobei Jordi Cruyff wie alle, die die seleccion intensiv verfolgen, nicht in frühes Lob einstimmen will. Ihre drei Siege in der Vorrunde waren schön, sagt er: "Aber ich möchte sehen, was passiert, wenn Spanien im Viertelfinale gegen Brasilien spielt."

Traut sich Aragones dann auch, das Mittelfeld komplett mit Ballliebhabern zu besetzen? "Die große Frage ist: Xabi Alonso oder David Albelda im defensiven Mittelfeld? Xabi ist die Technik, das Talent. Albelda ist die Taktik, die Aggressivität. Und so sehr ich mir wünsche, dass Xabi im Team bleibt, fürchte ich, dass Aragones gegen Brasilien Albelda bringen würde."

Krumme Eckzähne

Frankreich, mit zwei der defensivstärksten Mittelfeldspielern der Welt (Patrick Vieira und Claude Makelele), wird Spaniens erhabene Ballzirkulation erstmals intensiv testen. Jordi Cruyff wird dann schon in der Ukraine sein, Metallurgs Donzek hat ihn verpflichtet, "ein Abenteuer", sagt er.

"Als Fan guten Fußballs" wird er in Gedanken bei der spanischen Elf sein, die dank Aragones auch neben dem Rasen eine der unterhaltsamsten dieser WM ist. "Frankreich ist ein altes Team, mit krummen Eckzähnen", war der neueste seiner schrägen Sprüchen. Jordi Cruyff ist nicht sicher, ob Aragones damit meinte, Frankreich hätte schlechte oder scharfe Zähne.

Klar ist nur, dass Spanien, die Schönheit, erstmals bei dieser WM dem Biest begegnet. Auf Luis-Aragonesisch klingt das so: "Frankreich ist nicht unbesiegbar, auch wenn es jeden Tag mehr Zähne hat und den Mund schon fast voll."

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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