Spanien:Elf mit Hühnerbrust

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Spaniens Schönspieler werden auch bei der WM 2006 wieder Kandidaten für ein frühes Ausscheiden sein.

Ronald Reng

Die letzte Anstrengung auf dem Weg zur WM führte die spanische Nationalelf am slowakischen Staatstheater vorbei zur Kathedrale des Heiligen Martin. In kleinen Gruppen gingen die Fußballer durch Bratislava spazieren. Das Playoff-Finale der WM-Qualifikation am Tag danach fügte sich nahtlos ein in das Ausflugsprogramm: Viel stärkere Gefühlswallungen als der Müßiggang durch die Altstadt löste das Spiel gegen die Slowakei auch nicht mehr aus.

"Hausaufgaben fertig", sagte Trainer Luis Aragonés mit gleichgültiger Stimme nach dem 1:1 am Mittwoch, das Spanien zur WM 2006 nach Deutschland brachte. Wo war die Freude geblieben? "Wir haben sie in Madrid gelassen", sagte Stürmer Fernando Morientes, "schon dort hatten wir das Gefühl: Wir haben es geschafft." Das 5:1 im Hinspiel am Samstag hatte den Vergleich in Bratislava zur spannungsfreien Pflicht gemacht, und so sah das Match auch aus: eine unterkühlte Angelegenheit, an deren Ende die Spieler einfach gingen. Keiner jubelte.

"Beginnen wir zu träumen!"

In Deutschland wird Spanien bei der Einteilung der Vorrundengruppen als einer der acht Favoriten gesetzt werden. Es ist eine Täuschung. Wer die anderthalb Jahre analysiert, in denen Aragonés die selección jetzt trainiert, der gelangt zu dem Schluss, dass Spanien, das Land mit dem fabelhaften Klubfußball und den ewig unerfüllten Nationalelfsehnsüchten, auch 2006 in Deutschland Kandidat für ein frühes Ausscheiden ist.

"Beginnen wir zu träumen!", rief der Kapitän Raúl in die verregnete slowakische Nacht, ehe die Spanier zurück ins Hotel eskortiert wurden. "Wir kommen nach Deutschland, um Weltmeister zu werden", fuhr Raúl fort. Doch selbst in seinem Team wollte diese Euphorie niemand teilen. "Im Moment gibt es vier Teams, die über allen anderen stehen, vor allem Brasilien", sagte Aragonés: "Den anderen - Argentinien, Deutschland und Italien - näher zu kommen, mehr kann der Nationaltrainer nicht versprechen." Er redet gerne von sich in der dritten Person.

Mangel an Kraft und Muskeln

In einer idealen Welt würden nur Teams wie Spanien gewinnen. Sie sind kompromisslose Diener des schnellen, schönen, guten Spiels. Xabi & Xavi, der Erste mit Nachnamen Alonso aus Liverpool, Letzterer Hernandéz vom FC Barcelona, sind Fix & Foxi des Mittelfelds, Kinderhelden wie Comicfiguren, die mit ihrer feinen Technik dem Spiel Leichtigkeit geben.

In der wirklichen Welt wird diese Elf immer Schwierigkeiten bekommen. Abgesehen davon, dass zu viele wie Raúl oder Vicente ihre Form schon zu lange suchen, hat dieses Team einen grundsätzlichen Defekt: Es ist die Elf der Hühnerbrust. Spaniens Mangel an Kraft und Muskeln wurde in der Qualifikationsrunde permanent deutlich, gegen aggressive, gut gestaffelte Teams sind die Spanier fast hilflos. So erzielten sie in keinem der Spiele gegen Bosnien, Serbien und Litauen mehr als ein Tor.

Wenig List, wenig Härte

Die kleinste Widerspenstigkeit reicht oft, ihr Bemühen in panisches Anrennen zu verwandeln. Es ist der Komplex ihrer Geschichte, den diese Elf nicht los wird: Die Angst, wieder zu scheitern wie so viele spanische Teams davor, ist ein ständiger Begleiter.

Selbstwertgefühl ist rar, denn es ist eine junge Elf, 24 Jahre im Durchschnitt, für 15 von 21 aus der Reisegruppe nach Bratislava wäre es die erste Weltmeisterschaft. "Andere Teams haben mehr Straße", sagt Aragonés und meint: List, Härte. Es ist sein Lieblingsthema: Sie müssten eine verschworene Gemeinschaft werden. Doch mit 67 Jahren spricht er eine Sprache, die seinen Auserwählten fremd bleibt.

Wenn beim Abendessen die Spieler des FC Valencia an einem, die von Real Madrid an einem anderen Tisch sitzen, wenn sich Barcelonas Carlos Puyol und Valencias Vicente, die sich nicht mögen, im Training an den Kragen gehen, ärgert sich Aragonés. Er sollte die Elf-Freunde-Romantik nicht zu ernst nehmen. Und überhaupt, sind sie in Bratislava nicht brav spazieren gegangen? Am slowakischen Staatstheater vorbei und dann links in die Boutique mit der neuesten Mode von Wolfgang Joop.

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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