Skisprungtrainer Widhölzl:Hoch hinaus 

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Österreich sehnt sich nach einer neuen Skisprung-Ära. Die Ernennung von Andreas Widhölzl zum Chefcoach ist ein erster Schritt.

Von Volker Kreisl, München

Vielleicht wird daraus nun die Vollendung einer Karriere, die schon vor gut zwanzig Jahren begonnen hat. Damals hatte Andreas Widhölzl schon als 22-Jähriger Medaillen gewonnen, er war einer der ganz großen Skispringer, er hatte einen speziellen Stil, und doch ist sein Name bald wieder verblasst im Schatten anderer ganz großer Skispringer.

Nun aber, im Frühjahr 2020, ist er zurück, und im kommenden Winter, wenn nach der Pandemie die Springer und Flieger wohl wieder auf die Schanze dürfen, dann wird der Osttiroler Andreas Widhölzl wieder im Mittelpunkt des Wintersport-Interesses stehen, in seiner Heimat und auch international. Denn nun ist er Cheftrainer, und im Skisprungland Österreich ist der immer gefragt.

Anfang der Woche haben die Strategen des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) den 43-jährigen Widhölzl in die wichtigste Position des zweitgrößten Wintersports im Alpenland gehoben. Nordisch-Chef Mario Stecher betonte neben dessen Erfahrung auch die passende Einstellung zum Springstil: "Als Aktiver war er selbst ein Fliegertyp, auch das entspricht den Anforderungen ans moderne Skispringen."

Der Wechsel kam nicht überraschend. Widhölzls Vorgänger Andreas Felder ist noch einmal Vater geworden, er hatte klargestellt, dass er Zeit mit seiner Tochter verbringen wolle, dass die neue Familienrolle mit dem Beruf nicht länger vereinbar sei. Wohl deshalb, weil ein leidenschaftlicher Sprungtrainer außer Fahnenschwenker auch noch Technikcoach, Fitnesslehrer, Materialerfinder, Talentsichter und fast das ganze Jahr über Reiseleiter ist. Außerdem war Felders Job auch zunehmend stressig, weil die Erwartungen seiner Landsleute gerade immer größer werden.

Die Entwicklung des österreichischen Skispringens ist seit etwa vier Jahren ins Stocken geraten, nur der Pongauer Stefan Kraft, Tourneegewinner von 2015 und aktuell wieder Gesamtweltcupsieger, hält dauerhaft sein Spitzenniveau. Das Rest-Team und seine Fans erlebten jedoch bei Großveranstaltungen in den vergangenen Jahren Niederlagen, teils deftige; bei der Vierschanzentournee waren oft schon alle Chancen verspielt, ehe der Zirkus überhaupt nach Innsbruck kam. Jetzt aber deutet sich ein Aufwärtstrend an, was nicht nur mit Felder zu tun hat, sondern auch mit Andreas Widhölzl.

Stilprägend: Andreas Widhölzl liebte die langen Flüge am Hang entlang, mit denen er auch Weltmeister und Olympiasieger wurde. (Foto: Matthias Schrader/dpa)

Dessen Fähigkeiten sind mit seinen Erfolgen als Nachwuchstrainer zuletzt deutlich geworden, die praktische Erfahrung, die Basis fürs Fachwissen, hat er als Heranwachsender und später als Weltcupspringer gelegt. Widhölzl ist in St. Johann in Tirol geboren, in Fieberbrunn aufgewachsen und auf der örtlichen Kleinschanze schnell derart weit gekommen, dass er schon als Teenager serienweise gewann. Bald wechselte er ans Skigymnasium nach Stams bei Innsbruck und eignete sich einen speziellen Segel-Stil an - immer nah am Hang entlang, immer schnell und weit nach unten. Widhölzl wurde damit Olympiadritter im Jahr 1998 in Nagano und Tourneesieger 2000, und schließlich war er einer der Topspringer in einer Ära, in der aber Publikumsliebling Andreas Goldberger alles überstrahlte.

Diese Zeit endete etwa im Januar 2005, in jenem Winter, in dem die Österreicher in Oberstdorf beide WM-Teamspringen gewannen und in dem die eine Epoche fließend in die andere überging - in die der Superadler um Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern. Die beiden standen im Rampenlicht, Widhölzl etwas daneben, wieder war er auf hohem Niveau, wieder befanden sich aber andere im Mittelpunkt, nämlich die jungen Winter-Popstars.

Widhölzl trug zwar lange Haare und einen Spitzbart, den er sogar einmal rot gefärbt hatte. Und doch galt er nicht als Rebell, mit Meinungsäußerungen hielt er sich zurück, antwortete trocken und knapp. Allerdings verhielt er sich stets auch ehrlich, ein gemeinsames Siegerfoto mit dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider lehnte er 2006 jedenfalls aus politischen Gründen ab, wie Biograf Heinz Schnürle schreibt.

Die aufrechte und ernste Art mag ein Grund für seine Beliebtheit auch nach der aktiven Laufbahn sein. Skispringer sind oft sensible Typen, empathische Trainer haben hier mehr Erfolg als jene, die auf Leistungsdruck und Konkurrenzkampf setzen. Widhölzl studierte Soziologie, engagierte sich als Jugend-Trainer, kehrte nach Stams zurück und wurde danach Assistent unter Chefcoach Alexander Pointner. Zuletzt war er zwei Jahre für die zweite Trainingsgruppe verantwortlich.

Als Skispringer gewann Andreas Widhölzl, 43, je drei Olympia- und WM-Medaillen. Unter ihm als Trainer kamen im Continental Cup, der internationalen zweiten Liga des Skispringens, fünf Österreicher unter die besten Sieben. (Foto: dpa)

Nach wie vor ist die Auswahl an Spitzentrainern in Österreich beachtlich, weil aber Werner Schuster, bis 2019 deutscher Cheftrainer, nun Offerten in seinem Heimatland ablehnte, weil Harald Rodlauer lieber weiterhin seinen enormen Erfolg als österreichischer Frauen-Coach fortsetzen will, deshalb fiel nun die Wahl auf Widhölzl. Denn auch er hat einiges vorzuweisen.

Nicht nur seinerzeit in Stams, auch in den vergangenen Jahren hat er das aufgebaut, was dem Alpen-Skispringen noch fehlte: eine neue Generation, vielleicht noch keine Superadler, aber doch hochtalentierte Springer. Widhölzl betreute diese Nachwuchsmannschaft im Continentalcup, also der internationalen zweiten Klasse. Und am Ende der Saison 2020 landeten hier fünf junge Österreicher unter den Top Sieben, zwei ganz vorne.

Stefan Kraft und die Talente - das könnte die neue Erfolgsformel der Österreicher für die kommenden Jahre werden, die Perspektiven sind ordentlich, die Erwartungen wohl auch schon. Und Andreas Widhölzl, der stille Mann zwischen den Epochen, könnte nun seine eigene Ära prägen.

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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