Skispringen:Besser essen

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Die neue Gewichtsregel beim Skispringen zeigt Wirkung. Auf abgemagerte Springer will man endlich verzichten - nur die Norweger stört das.

Von Thomas Hahn

Von ihrem Skispringer Sigurd Pettersen erzählen die Norweger, dass er jetzt ein schwererer Junge sei als noch vor wenigen Monaten. Und das ist sicherlich gut so, auch wenn er mit seinem Kampfgewicht der vergangenen Saison zum Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee schwebte. Doch damals wirkte er schon arg eingefallen.

Leicht wie eine Feder? - Skispringer auf der Adlerschanze in Hinterzarten. (Foto: Foto: dpa)

Wenn er auf einem Sessel saß, sah er aus wie ein gefaltetes Handtuch mit Kopf, und er selbst schwieg beharrlich über seine Kilozahl; wohl weil er ahnte, dass man sein Untergewicht als krankhaft deuten könnte.

Der BMI darf nicht mehr unterschritten werden

Mittlerweile aber hat er durch gezieltes Krafttraining sechs Kilo zugelegt als Reaktion auf das neue Reglement des Weltverbandes Fis, wonach ein Skispringer ein bestimmtes Körpergewicht, errechnet nach dem Body-Maß-Index (BMI), nicht unterschreiten darf, wenn er nicht mit kürzeren Ski antreten will.

Sechs Kilo sind nicht wenig, und Pettersen, jetzt 63 kg schwer bei 1,80 m Größe, hat derzeit viel zu tun damit, seine Sprungtechnik an die Flugeigenschaften der neuen Muskeln anzupassen. Er sagt: "Ich muss mit einem neuen Körper leben."

Pettersen selbst hätte sich das vermutlich gerne erspart, wie die Norweger um ihren finnischen Trainer Mika Kojonkoski überhaupt nicht recht überzeugt waren von der Notwendigkeit, eine Gewichtsgrenze vorzuschreiben; schließlich war geringes Gewicht ein Teil ihres Erfolgskonzepts.

Dünne Norweger

Doch nach den Norwegern ging es nicht, die entscheidenden Anträge kamen aus Mitteleuropa und waren inspiriert von einer bisweilen überhitzt geführten Debatte über die Diätpläne der Schanzenprofis. Viele Springer sind von der Reform gar nicht betroffen gewesen, die meisten waren ohnehin schwer genug.

Aber für einzelne hat sie doch beträchtliche Folgen gehabt, wie man auch beim Journalisten-Kongress Forum Nordicum im WM-Ort Oberstdorf feststellen durfte. Sigurd Pettersen ist ein Beispiel dafür. Es gibt auch schon Geraune um die neue Regel.

In der Szene flüstert man sich zu, dass einzelne Springer lieber die proportional zum Untergewicht verkürzten Ski in Kauf nehmen als zuzunehmen und damit die beabsichtigte Signalwirkung für den Nachwuchs in Frage stellen. Offiziell allerdings bekennt sich jeder zu dem Diktum.

"Es ist besser, dass die Springer essen"

Fis-Skisprung-Direktor Walter Hofer hat nach einzelnen anfänglichen Disqualifikationen beim Sommer-Grand-Prix nur noch Springer mit längstmöglichen Ski durchwinken können. Ähnliches berichtet Uli Wehling, Hofers Kollege von der Nordischen Kombination, wo sich der deutsche Bundestrainer Hermann Weinbuch allerdings anfangs ein wenig einsam fühlte mit seiner Forderung, die neue Sprungregel auch für Kombinierer anzuwenden.

Es hat Tests gegeben mit kürzerem Gerät - die Ergebnisse waren offenbar eindeutig. Pierre Heinrich, Produktmanager beim französischen Skihersteller Rossignol, sagt: "Wir haben gesehen: Es ist besser, dass die Springer essen." Auch Michael Uhrmann, von Natur aus leicht und der einzige deutsche Spezialspringer, der wegen der BMI-Regel drei Kilo zulegen musste, prüfte zunächst, ob er sein altes Gewicht behalten könne.

"Aber nur ganz, ganz kurz", dann war ihm und seinen Trainern klar, dass er keinen Quadratzentimeter Tragfläche an gestutzte Ski verlieren wollte. "Ich wollte in der Athletik zulegen", sagt Uhrmann, zumal er seine Oberschenkel ohnehin stärken musste, um mit mehr Beinkraft seine Anfahrtshocke windschlüpfriger zu gestalten. Und in Weinbuchs Team neigt der schlaksige Hochbegabte Björn Kircheisen zum Untergewicht.

Ultraleichtflieger

"Es wäre keine Schwierigkeit, ihn drei Kilo unter den BMI zu bringen", sagt Weinbuch, "aber das wollte ich bewusst nicht. Bei unseren hohen Ausdaueransprüchen fände ich das nicht sehr gesund." Der Dienst in der Loipe fordert Substanz.

Nun hofft die Szene auf einen Winter ohne Schlagzeilen um riskante Askese und Ultraleichtflieger. Walter Hofer jedenfalls ist schon mal "sehr positiv gestimmt". Zumal er auch die öffentliche Windmessung wieder abgeschafft hat, nachdem die Reporter die Vorkommnisse an den Schanzen zuletzt fast nur noch über die Witterung erklärt hatten.

Die Fähigkeiten des Springers will Hofer in den Vordergrund gerückt sehen, nicht die Leistungen von Winden und Hungerkünstlern. Der Absprung wird wichtiger, der beste Athlet in der Luft möge gewinnen. Sigurd Pettersen soll mit seinen neuen Muskeln spielen.

(SZ vom 22.10.2004)

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