Skisport:Schnee-Leopard aus den Tropen

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Bis vor vier Jahren kannte Kwame Nkrumah Acheampong aus Ghana Schnee nur aus James-Bond-Filmen. Dann jobbte er in einer Kunstschnee-Halle in Südengland, fand Gefallen am Skisport und träumt nun davon, an den Olympischen Winterspielen teilzunehmen - und er hat gute Chancen.

Wolfgang Koydl

Die westafrikanische Republik Ghana und die südenglische Retortenstadt Milton Keynes haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Auch auf den zweiten und dritten Blick würde man kaum Parallelen finden, es sei denn, man stellte fest, dass weder Ghana noch Milton Keynes oft Schlagzeilen machen, und dass es in beiden Orten wenig bis nie schneit.

Insofern scheint es auf eine exzentrische Weise logisch, dass sich beide Orte geschworen haben, Sportgeschichte zu schreiben, indem sie der Welt möglicherweise den ersten afrikanischen Skifahrer der olympischen Bewegung schenken.

Kwame Nkrumah Acheampong jedenfalls ist fest entschlossen, bei den Winterspielen im Februar in Turin als Abfahrtsläufer anzutreten - für seine Heimat Ghana, deren klimatische Verhältnisse das Lexikon als "tropisch, aber relativ mild für die geographische Breite" beschreibt. Die Temperaturen liegen zwischen 21 und 32 Grad - plus; Niederschläge gibt es reichlich, aber sie fallen nur als Regen.

Schnee ist wie eiskalte Watte

Doch der 30-Jährige träumt nicht nur davon, nach Turin zu reisen; er hat tatsächlich Chancen, dass er sich dort mit den besten Skifahrern messen kann: Nur noch 150 Punkte fehlen ihm zur Qualifikation. Bis Ende Januar hat er Zeit, sie zu sammeln - vorausgesetzt, es fallen nicht zu viele Rennen wegen Schneemangels aus. "Es wäre schon pervers, wenn ausgerechnet ein afrikanischer Skiläufer an europäischem Schneemangel scheitern würde", sagt Acheampong, den sie in Milton Keynes "Schnee-Leopard" nennen.

Ein schwarzafrikanischer Skifahrer auf einer olympischen Piste wäre schon auffällig genug. Hinzu kommt aber, dass Acheampong Skifahren nicht im Hochgebirge, sondern hier in den grünen Ebenen der Grafschaft Buckinghamshire gelernt hat, wo es weder Berge noch nennenswerten Schneefall gibt.

Seine ersten Versuche fanden deshalb auch gar nicht im Freien statt, sondern in der Halle: Im Xscape Center, das mit seinen grauen Betonflanken wie ein gestrandeter Wal aus dem Zentrum von Milton Keynes aufragt, gibt es das ganze Jahr über gesicherte Kunstschneeverhältnisse, eine rund 150 Meter lange Piste, zwei Schlepplifte, gleißendes Fluchtlicht, und ein SnoCafé, das seinen "Panoramablick auf die Hänge" anpreist.

Erst vier Jahre ist es her, dass Kwame erstmals die Piste des Xscape hinunterrutschte. Damals verdiente er sich in der Schneehalle Geld zum Studium. Echten Schnee hatte er damals noch nie gesehen. "In Ghana", so sagt er, "stellt man sich Schnee als eine Art eiskalte Watte vor." Er selber kannte Schnee nur aus einem James-Bond-Film.

Kein Notausgang im Wald

Kwame fand Gefallen am Skifahren, und bald wurde David Jacobs auf ihn aufmerksam, der früher britische Spitzen-Skiläufer trainierte. Doch auch er war überrascht, als ihm Kwame mitteilte, dass er bei den Olympischen Winterspielen antreten wolle. "Ich habe ihm die Opfer aufgezählt, die so ein Schritt erfordert", sagt er. "Den Job aufgeben, die Trennung von der Familie. Dann ruft er mich eines Tages an und sagt: 'Ich habe gekündigt.'" Seitdem bereitet er sich auf die Spiele vor, und auch an richtige Berge hat er sich mittlerweile gewöhnt.

Als er vor knapp einem Jahr zum ersten Mal einen Hang unter freiem Himmel hinabschoss, stand er alsbald im Wald, weil er sich verirrt hatte. Kein Wunder, schließlich war er bis zu diesem Zeitpunkt nie weiter als 150 Meter weit gefahren - wobei der Notausgang klar ausgewiesen und das Ende des Hanges von den Panoramascheiben des SnoCafés markiert war. Mittlerweile findet er sich auch in der Bergwelt zurecht, und bei den Rennen kommt er auch nicht mehr nur als Letzter durchs Ziel.

Und mittlerweile hat auch seine Frau Sena nach dem ersten Schrecken ihre Haltung wiedergefunden. "Wir sind sehr gläubig", sagt sie, "und als Christen wissen wir, dass uns Gott manchmal eine Prüfung auferlegt. Aber ich stehe zu meinem Mann, weil ich weiß, wie wichtig ihm das ist."

Inzwischen hat man sich auch beim Nationalen Olympischen Komitee Ghanas in Accra wieder beruhigt. Als Kwame um die offizielle Zustimmung der olympischen Funktionäre bat, erntete er zunächst monatelang nur Schweigen. "Dann kam die erste Antwort: Wir haben keinen Schnee in Ghana", amüsiert sich Kwame. "Ich habe zurückgeschrieben, dass ich weiß, wo es Schnee gibt. Sie sollten alles weitere nur mir überlassen." Sein Ehrgeiz scheint ansteckend auf seine Heimat gewirkt zu haben: Ghana möchte die Olympischen Spiele 2032 ausrichten; die Sommerspiele, wie zu hören ist.

© SZ vom 15.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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