Ski-Langlauf:Grundgesetz statt finnische Wälder

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Ein Bild aus der sportlichen Glanzzeit: Hannes Dotzler 2012 bei einem Wettkampf in Oberhof. (Foto: Hendrik Schmidt/ dpa)

Der hochbegabte Hannes Dotzler muss mit 27 Jahren seine Karriere beenden.

Von Matthias Schmid

Hannes Dotzler beschäftigt sich gerade recht viel mit dem Grundgesetz. Er weiß also, dass nur der Bundespräsident den Bundestag mit einer geschäftsführenden Kanzlerin auflösen kann. "Das ist gerade eine sehr spannende politische Zeit nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche", findet Dotzler. Er erzählt das mit fester Stimme, ohne Gram. Es macht ihm wirklich Spaß, sich mit rechtlichen Fragen auseinanderzusetzen. Einerseits. Andererseits, das gibt er zu, würde er am liebsten etwas ganz anderes machen, als sich für die Aufnahmeprüfung im gehobenen Dienst bei der Bundespolizei zu präparieren: Langlaufen nämlich. In einer idealen Welt müsste Dotzler in diesen Tagen nicht am Schreibtisch in Sonthofen sitzen, sondern sich in den Wäldern rund um das finnische Örtchen Ruka aufhalten, wo an diesem Wochenende die Weltcupsaison beginnt.

Doch Dotzler hat früh Bekanntschaft mit einem Leben gemacht, das sich seinen ganz eigenen, undurchsichtigen Weg sucht; am Mittwoch hat er sein Karriereende in einer dürren Pressemitteilung des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) verkündet. Mit 27 Jahren. "Im besten Langlaufalter", wie er selbst am Telefon sagt: "Das ist schon extrem bitter, weil ich nie mein Topniveau habe erreichen können."

Die Geschichte von Hannes Dotzler erzählt von einem Hochbegabten, den eine Viruserkrankung über drei Jahre lang so zermürbt hat, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als mit dem aufzuhören, was ihm lange Zeit das Wichtigste war. Aber es sei jetzt nicht so, sagt er, "dass das ganze Leben für mich kaputt ist". Er hat schnell eine neue Aufgabe gefunden, er möchte seinen Ehrgeiz als Leistungssportler nun auf die Karriere bei der Bundespolizei übertragen. "Ich habe da auch Ziele, die ich kurz- und langfristig erreichen will", sagt Dotzler. Er hofft, dass er dort nun die Träume verwirklichen kann, die ihm in seiner ersten Karriere verwehrt geblieben sind.

Dabei hatte alles so strahlend angefangen, als Langläufer war der Sportler vom SC Sonthofen auf der Überholspur, schneller als andere hat er schon Anfang 20 ein Leistungsniveau erreicht, das einem üblicherweise erst mit Ende 20 vorbehalten ist. In seinem ersten Weltcuprennen durfte er als Dritter mit der Staffel bereits aufs Treppchen klettern. Es war schnell abzusehen, dass da einer ins Team kommt, der später mal das Gesicht des deutschen Landlaufs werden könnte, ein Nachfolger der hochdekorierten Tobias Angerer oder Axel Teichmann. "Ich habe mich jedes Jahr gesteigert und wollte später um Medaillen bei Großereignissen kämpfen", sagt er rückblickend. Das gelang ihm auch, kurz vor den Winterspielen in Sotschi 2014 verpasste er in Lenzerheide nur knapp seinen ersten Weltcupsieg in einem Einzelrennen. Olympia sollte dann der erste Höhepunkt werden, im Teamsprint mit Tim Tscharnke lief es prächtig, Dotzler schickte seinen Teamkollegen als Erster auf die Schlussrunde, nur zwei Läufer konnten folgen. Eine Medaille hatten die beiden also sicher, glaubten alle. Auch Dotzler. Doch dann stürzte Tscharnke auf der letzten Abfahrt, im Schnee liegend sah er nur, wie die Konkurrenten davoneilten. Es reichte noch zu Platz sechs. "Das war sicherlich einer der bittersten Momente", sagt Dotzler.

Was er damals nicht ahnte: Es sollte sein letzter großer Auftritt werden. Kurze Zeit später bekam er schlimmes Fieber, die gemeine Grippe stellte sich Wochen später als Epstein-Barr-Virus heraus, der sich zu einem Pfeifferschen Drüsenfieber auswuchs. Manche Sportler merken nicht einmal, dass sie daran erkrankt sind; Dotzler bekam den Virus nicht mehr los, bis heute, mehr als drei Jahre später, spürt er noch die Folgen. Besonders, wenn er seinen Körper stark belastet, wird er rasch müde, so schlapp, "dass ich kaum noch aus dem Sofa hochbekomme und mich schon Hausarbeit richtig anstrengt", wie er erzählt. An ein kontinuierliches Training war da nicht mehr zu denken. Dotzler, der gut genug für Siege war, wollte sich hintere Platzierungen allerdings nicht antun. Ein frühes Karriereende wie es schon Tim Tscharnke ereilte,wollte er nicht wahrhaben. Also probierte er es im Frühjahr noch einmal, er hatte sich körperlich gut gefühlt. Direkt aus Kalifornien kommend, wo er mit seiner Frau die Hochzeitsreise verbrachte, besuchte er das erste Trainingslager der Nationalmannschaft am Stilfser Joch in Südtirol.

In Sotschi verpasst Dotzler auf der letzten Abfahrt eine Medaille

Sie trainierten und wohnten auf 2800 Meter Höhe, für Dotzler war es zu viel, sein Körper rebellierte. Das Training schlauchte ihn so sehr, dass er einsehen musste, dass es nicht mehr reicht als Langläufer. "Das war schwer zu akzeptieren", gibt er zu. Aber er lernte es irgendwie. In den dunklen Stunden hilft ihm nun die Gewissheit, dass er einen Alltag ohne Einschränkungen führen kann. Hannes Dotzler sagt: "Andere hat es mit Erkrankungen viel härter getroffen als mich." Er beginnt langsam, sein neues Leben zu genießen, seine Frau ist schwanger.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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