3:0-Sieg in der WM-Qualifikation gegen Tschechien:Aus echtem Zucker

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Freude bei der Arbeit: Toni Kroos (Mitte) lässt sich zu seinem 2:0 von Hummels und Müller gratulieren. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Das Aufbauspiel der Verteidiger Boateng und Hummels prägt den starken Auftritt gegen Tschechien. Die DFB-Elf zeigt, dass sie diesem Qualifikationszyklus mehr Engagement widmen will als dem vorherigen.

Von Philipp Selldorf

Der Mann mit der Nummer vier, immer wieder dieser Mann mit der Nummer vier. . . Welchen Teufelskerl hatte Bundestrainer Löw da nur wieder hervorgezaubert, als er nach 65 Minuten den erfahrenen Linksverteidiger Jonas Hector durch den Mann mit der Nummer vier ersetzte? Mal rannte der Neue zielsicher in eine Kopfballflanke, um Winzigkeiten den Treffer zum 4:0 verfehlend; beim nächsten Mal schlug er eine Flanke auf Joshua Kimmich, wie sie schöner nicht sein konnte; und gleich darauf dribbelte er sich kreuz und quer durch den Strafraum wie ein kleiner Argentinier. Die Frage, woher zum Teufel denn dieses großartige Talent nun wieder stammt, die wurde erst dann beantwortet, als die Nummer vier nach bester Verteidiger-Art einen tschechischen Gegenspieler aus dem Weg räumte. In diesem Moment verwandelte sich das vermeintliche Sturmtalent wieder in den alten Bekannten Benedikt Höwedes, 28.

Über den gelernten Zentralverteidiger Höwedes, der sich im Volksparkstadion plötzlich in einen hochgefährlichen Linksaußen verwandelte, wurde hier und da gespottet, als es später darum ging, ob sich die deutsche Mannschaft beim 3:0-Sieg gegen Tschechien irgendwelcher Versäumnisse schuldig gemacht habe. Waren zu wenig Tore gefallen? Das könne dann ja nur am Chancentod Höwedes gelegen haben, monierte Mats Hummels.

"Es war eines der Länderspiele, die mit Abstand am meisten Spaß gemacht haben", sagt Hummels

In Wahrheit war Hummels natürlich weit entfernt davon, seinem Kollegen etwas vorzuwerfen. In Wahrheit war es so, dass der improvisierte Linksaußen Höwedes den stürmischen Geist veranschaulichte, der die deutsche Mannschaft zu einem nach Hummels' Empfinden durchaus denkwürdigen Spiel getrieben hatte. "Es war eines der Länderspiele, die mit Abstand am meisten Spaß gemacht haben", sagte der Münchner, der auf 51 Einsätze im Dienst des DFB-Teams zurückblickt, "es war einfach in allen Aspekten richtig gut".

Seine Ansicht teilte er nicht nur mit den Mitspielern, sondern auch mit den knapp 53 000 Zuschauern im Volksparkstadion. Diese beklatschten minutenlange Ballstafetten und gemeinschaftlich zelebrierte Raffinessen, die ihnen im täglichen Leben vom örtlichen Lieblingsverein vorenthalten werden. Gelegentlich hörte man ein staunendes, ungläubiges Aaah und Oooh. So kann Fußball auch aussehen? So schön kann das sein? Man habe sich gewissermaßen mit den Hamburgern versöhnt, stellte Manuel Neuer später fest.

Tatsächlich diente dieses Spiel ja nicht nur dem Erwerb dreier Punkte fürs Konto in der WM-Qualifikation, es war auch eine Wiedergutmachung an die Hamburger, die öfter mal Pech gehabt hatten mit ihren Länderspielen. Jetzt bekamen sie von den Nationalspielern Komplimente für die gute Stimmung, und so war es ein einziges gegenseitiges Loben und Preisen an diesem Abend - selbst Jens Lehmann, der unerschrockenste und pedantischste Kritiker im Land, erklärte den deutschen Auftritt "von A bis Z" für gelungen. Mit A könnte er gemeint haben, dass die Mannschaft vom Anpfiff weg ein gebündeltes Maximum an Entschlossenheit, Kraft und seriös angewandter Spielfreude investierte; mit Z, dass sie ihren Einsatz nicht energiesparend rationalisierte, als Toni Kroos bereits kurz nach der Pause durch das 2:0 das letzte Fragezeichen zum Spielausgang löschte.

Nicht zuletzt erfüllte sich im Hamburger Freudenrausch die Absicht, der WM-Qualifikation mehr Engagement zu widmen, als man auf dem Weg zur Europameisterschaft in Frankreich aufwendete. Diese schon beim 3:0 in Norwegen erkennbare Intention solle "generell für die ganze WM-Kampagne" gelten, teilte Hummels offiziell mit, "wir wollen's vom Start weg souverän angehen".

Ein wenig Dank für den schönen Abend verdiente auch der Gegner, dessen Taktik auf der Lust am eigenen Untergang zu beruhen schien. Den Versuch der Tschechen, früh zu stören, fassten die Deutschen als Einladung auf. Der Bundestrainer hatte nach dem Studium der tschechischen Spielweise schon damit gerechnet, dass lange Bälle aus der zweiten und dritten Reihe nützlich werden könnten, aber dann entwickelte sich daraus sogar eine tragende Methodik. Dabei produzierten die ständigen Passgeber Hummels und Jérôme Boateng nicht nur eine Reihe von "echten Zuckerbällen" (Höwedes), sie traten nach Beobachtung des Augenzeugen Neuer auch in einen privaten Wettkampf ein, den er als "battle" bezeichnete: "Wer spielt den schönsten Pass? Das ist mir als Zuschauer von hinten aufgefallen." Lange Bälle, ergänzte Außenverteidiger Hector gewohnt sachlich, "haben wir natürlich auch im Repertoire. Es ist der einfachste Ball, um zu einer Torchance zu kommen".

In seinen dogmatischen Zeiten, infiltriert durch die spanische Schule, hat der Trainer Löw den langen Ball als primitives, quasi barbarisches Stilmittel abgelehnt. Nun hat er dieses traditionelle Element im Training einstudieren lassen, und der ehedem wegen seiner Langstreckenpässe getadelte Hummels erhielt von ihm - wie Boateng - ein Sonderlob. Von diesem Abend blieb nur ein einziges Problem: Am Dienstag gegen Nordirland muss die Elf ihre Leistung bestätigen, das hat sie nun davon.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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