Sicherheitsdebatte:Hässlich, aber heilig

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Gar nicht so einfach rauszuschauen: Pierre Gasly testet in Silverstone den Schutzschild Halo, der ab 2018 Pflicht sein wird - und für Diskussionen sorgt. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Die Rennserie streitet über die Einführung des Cockpit-Schutzsystems Halo. Was die einen überfällig finden, ist für die anderen der Gesichtsverlust der Formel 1.

Von Elmar Brümmer, Budapest

Glaubt man dem Youtube-Video von der Talkrunde mit den Formel-1-Piloten am Hungaroring, dann gibt es die Diskussion gar nicht, die das Fahrerlager spaltet. Die Gesprächsschnipsel von Sebastian Vettel, Fernando Alonso und Marcus Ericsson zeigen ein scheinbar klares Bild: Im Wissen um die Gefahren ihres Sports begrüßen die Fahrer einstimmig die Einführung des neuen Cockpit-Schutzsystems Halo. In der Realität, die der PR-Abteilung der Rennserie in diesem Fall nicht so lieb ist, saß neben den drei Befürworten jedoch auch der deutsche Renault-Pilot Nico Hülkenberg, und der hatte so seine Zweifel: "Ich bin mir nicht sicher, ob dieser zusätzliche Schutz wirklich notwendig ist."

Halo, der Heiligenschein. So heißt übersetzt die Schutzvorrichtung, die verhindern soll, dass Fahrer von Reifen erschlagen werden können. Sie spannt sich wie die Zehenführung bei Badeschlappen über den offenen Teil des Rennwagens. Sie ist umstritten, aber schon beschlossen für die kommende Saison. Bei vielen Fans stößt die Überbrückung der offenen Cockpits durch Bügel auf Widerstand, bei den meisten Piloten auch. Sie können das nur nicht so offensiv sagen, schließlich geht es um das höchste Gut eines Fahrers, die Sicherheit und damit im Ernstfall auch sein Leben.

Die Königsklasse wird in der kommenden Saison jedoch komplett ihr Gesicht verändern - manche fürchten auch: verlieren. Die Diskussion ist diesmal heftiger als bei der Einführung des Kopf-und-Schulterschutzes HANS im Jahr 2003. Denn, so befürchten viele: Am Ende stünde als sicherste Variante konsequenter Weise ein Dach. Doch was wäre dann das Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Rennserien? Von den zehn Rennställen waren bei der Abstimmung vergangene Woche in Genf dem Vernehmen nach neun dagegen, nur Ferrari soll sein Okay gegeben haben. Aber am Ende konnte Todt alle überstimmen. Entsprechend temperamentvoll sind beim Großen Preis von Ungarn, dem ersten Rennen nach dem Beschluss, die Diskussionen.

Ein Segen? Oder doch "ein trauriger Tag für die Formel 1"?

"Wir bewegen uns hin zu ganz geschlossenen Cockpits", befürchtet auch Lewis Hamilton, "aber wenn man darüber nachdenkt, was Fahrern schon alles passiert ist, ist es schon verrückt, dass unser Kopf, der wertvollste Teil unseres Körpers, noch immer freiliegt. Ich spreche mich also sicher nicht dagegen aus. Aber die Formel 1 muss weiter daran arbeiten." Er hoffe, sagt der Brite, dass das System auch in den Nachwuchsklassen eingeführt werde. Doch davon ist erst mal nicht die Rede. "Gibt es eine Sicherheit erster und zweiter Klasse?", fragt der Schweizer Blick. Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda sollte als Opfer des Feuerunfalls 1976 besonders sensibilisiert für die Sicherheit sein. Aber der Österreicher sagt: "Man muss in einer solchen Frage die richtige Entscheidung treffen. Der Halo ist die falsche."

Auch der Franzose Romain Grosjean als Sprachrohr der Fahrergewerkschaft GPDA spricht von einem "traurigen Tag für die Formel 1". Die Sicht, gerade auf die Startampel oder bei Bergpassagen, könne sich verschlechtern, Bergungsprozesse länger dauern, von einem klaustrophobischen Gefühl und der Gefahr bei einem ausbrechenden Feuer ganz zu schweigen.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Vernunft, Ästhetik, Sicherheit und Risiko. "Vom Aussehen her kann ich die Leute verstehen, die sagen, das hat an einem Formel-1-Auto nichts zu suchen. Aber wir können die Uhr nicht zurückzudrehen und werden uns schon dran gewöhnen", sagt Sebastian Vettel, "es wäre ignorant und dumm, es nicht einzuführen." Eine von Todt in Auftrag gegebene Expertenstudie hatte ergeben, dass Halo das Risiko, von umherfliegenden Teilen getroffen zu werden, um 17 Prozent verringert.

Nun müssen die Designer Halo nur noch schick machen. "Formel 1 ist Leidenschaft. Wenn etwas beschissen aussieht, ist es auch beschissen. Ein Ferrari entfacht mehr Emotionen als ein Mazda, weil er besser aussieht", sagt Haas-Pilot Kevin Magnussen. Bei der 40-minütigen Vorführung der FIA-Unfallforscher in Ungarn sah alles noch sehr trübe aus. Aber es gibt erste Animationen, in denen die Autos futuristisch wirken wie im Videospiel. Ausdrücklich erlaubt ist es, das etwa fünf Kilo schwere Karbonteil zu lackieren. Mattia Binotto, der Technikdirektor von Ferrari sieht aerodynamische und strukturelle Probleme, die zu lösen sind, aber er will nur eins beklagen: "Die Entscheidung ist ziemlich spät gefallen." Seit einem Vierteljahr arbeiten seine Designer schon an der Fahrzeuggeneration für 2018. Richtig geglaubt an die Halo-Einführung hat wohl niemand.

© SZ vom 30.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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