Serie: Der Glanz von einst (7):Am Rampenlicht vorbei

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Schon Goethe kannte Faustball, 1913 kamen zum Spiel Leipzig gegen München 60000 Zuschauer. Heute ist er ein Sport für Spezialisten.

Von Max Sprick

Auf den ausverkauften Rängen singen und tanzen die 8000 Zuschauer, während sie im Flutlicht schwarz-rot-goldene und rot-weiße Fahnen schwenken. Es sind mehr Menschen da, als normalerweise ins Stadion des Linzer Vororts Pasching kommen dürfen. Einige von ihnen zünden Bengalos. Der ORF überträgt live, wie Österreich und Deutschland an diesem August-Abend das Finale der Weltmeisterschaft ausspielen. Im Faustball.

Jede Mannschaft gewinnt abwechselnd einen Satz, nach dem fünften führt Deutschland 3:2. Österreich spielt eine Angabe ins hintere linke Spielfeld, er wird angenommen, dann folgt Fabian Sagstetters Zuspiel, der Ball springt eigentlich gar nicht so hoch, doch Patrick Thomas schmettert ihn zum Sieg unhaltbar ins österreichische Feld. Deutschland kürt sich überraschend zur besten Mannschaft der Welt, nach mehr als einer Dekade ohne Titel, in der Brasilien, Schweiz und eben Österreich den Sport dominierten. Fünfeinhalb Jahre ist das jetzt her. Doch wenn man die Bilder vergleicht, ist das bereits mehr als nur eine halbe Ewigkeit.

Fragt man heute in Linz nach, erinnern sich die Einheimischen sofort an diese "bittere Niederlage", wie sie sagen. Für die Linzer war es das größte sportliche Event ihrer jüngeren Vergangenheit. "Für mich war es das größte Spiel meiner ganzen Karriere", sagt Zuspieler Fabian Sagstetter. "So etwas erlebt man als Faustballer nur einmal im Leben." Inzwischen ist der 26-Jährige Kapitän und Führungsspieler der Nationalmannschaft.

Und wie besonders dieses Spiel in Pasching war, merkt er Woche für Woche mit dem TV Schweinfurt-Oberndorf in der Faustball-Bundesliga Süd - wo zwischen 50 und 100 Zuschauer ziemlich ruhig in den Hallen im Winter und auf den Sportplätzen im Sommer sitzen. Obwohl der TVO als Tabellen-Zweiter um den Einzug in die Meisterschafts-Playoffs kämpft. Für die vorwiegend aus Studenten bestehende Mannschaft ist es das Leistungs-Maximum.

"Die Leute trauen sich nicht, zu uns zu kommen", sagt Fabians Vater Joachim Sagstetter, früher selbst Bundesliga-Spieler, heute sportlicher Leiter des TVO. Woran das liegt? "Unser Sport war früher als Altherren-Sport verschrien." Und die Medien hätten ihn schon lange vergessen. "Uns nimmt keiner angemessen wahr, das ist unser Problem", sagt der Präsident der deutschen Faustball-Liga, Ulrich Meiners. Seit 2004, als die DFBL sich gründete, ist Faustball ein eigenständiger Sport. Er war einst als Turn-Spiel entstanden, die Turner spielten es als Ausgleich zu ihrem eigentlichen Sport. Deswegen gehörte der Faustball auch dem Deutschen Turnerbund an. "Trotzdem waren wir schon vor 30 Jahren die weltweit führende Faustball-Nation", sagt Vater Sagstetter.

Seltene Höhepunkte: Fabian Sagstetter (links) vom Bundesligisten TV Schweinfurt-Oberndorf ist Kapitän der Faustball-Nationalmannschaft. (Foto: imago/GEPA pictures)

Blickt man noch weiter zurück, erschließt sich die fast schon sagenhafte Tradition des Sports, der zu den ältesten der Welt gehören dürfte. Der römische Kaiser Gordianus hielt seinerzeit die ersten Aufzeichnungen über Faustball schriftlich fest - im Jahr 240 nach Christus. Und Johann Wolfgang von Goethe schrieb 1786 in seinem Tagebuch "Italienische Reise" über Faustball spielende Veroneser. 1913 trafen sich LLB Frankfurt und der MTV München zum ersten Endspiel um eine deutsche Meisterschaft im Rahmen des deutschen Turnfests in Leipzig, das mehr als 60 000 Besucher anlockte. 14 Jahre Jahre später gab es in Deutschland fast 12 000 organisierte Mannschaften.

"Die Chancen, unseren Sport mehr ins Rampenlicht zu rücken, waren da", sagt der heutige Verbandspräsident Meiners. "Aber diese zu nutzen, ist von den Verantwortlichen bis vor einem Jahrzehnt versäumt worden." Faustball genoss zwar im deutschsprachigen Raum große Beliebtheit, schaffte es aber kaum über dessen Grenzen hinaus. Anders als der ihm ähnliche Volleyball. "Für absolute Laien ist das immer der erste Vergleich zu unserem Sport", sagt Fabian Sagstetter.

Nur: Weder er noch sein Vater noch Meiners mögen diesen Vergleich. Ein kurzer Regel-Exkurs: Im Faustball spielen jeweils fünf Spieler gegeneinander auf einem 50 mal 20 Meter großen Feld, getrennt durch eine zwei Meter hohe Leine. Punkte macht, wer den Ball unerreichbar in der gegnerischen Hälfte platziert oder den Gegner zu Fehlern zwingt. Vor jeder Ballberührung darf der Ball einmal aufspringen, nach der dritten Berührung muss er über die Leine gespielt werden. Im Angriff entweder mit der breiten Seite der geschlossenen Faust, vom kleinen bis zum Ringfinger, oder mit der kleineren Fläche der gedrehten Hand, um den Ball anzuschneiden. In der Abwehr spielt man den Ball mit dem Unterarm. Alles andere wäre ein Fehler. "Das Einzige, was wir mit dem Volleyball gemein haben: Wir sind eine Rückschlagsportart", sagt Joachim Sagstetter. "Bei uns gibt es aber viel längere Ballwechsel, für Zuschauer ist unser Sport angenehmer und spannender anzuschauen", findet sein Sohn. Warum genau das dann aber so wenige tun, könne er auch nicht beantworten. "Vermutlich, weil Volleyball olympisch ist und dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommt."

Der aufmerksamkeitsarme Faustball dagegen erscheint wie eine Randsportart, die er nicht sein will. "Ich bezeichne ihn lieber als Insider-Sportart", sagt Meiners. Etwa 21 000 Insider betreiben ihn aktuell deutschlandweit, die Zahl sei in den vergangenen Jahren konstant geblieben. Zum Vergleich: Volleyball hat mehr als 20 Mal so viele aktive Mitglieder. "Unser Sport internationalisiert sich gerade", sagt Fabian Sagstetter und berichtet von neuen Mannschaften in Indien und Pakistan. Auch die Faustballer würden gerne olympisch werden, sind dafür aber noch lange nicht international genug. Eine größere Zuschauer-Resonanz würde auch helfen.

Die nächste deutsche Hallen-Meisterschaft findet am 11. März in Rosenheim statt, wo der MTV als zweiter bayerischer Verein auf Bundesliga-Ebene spielt. Bis zu 2000 Besucher dürften den Playoffs der sechs besten Teams (inklusive dem abstiegsgefährdeten MTV Rosenheim als Ausrichter) beiwohnen, hoffen die Sagstetters. "Und wer einmal zu uns kommt, kommt garantiert wieder zum Zuschauen", sagt Joachim Sagstetter. Weil Faustball als Event-Sportart tauge.

Zumindest die großen Events, wie die WM in Österreich zum Beispiel, funktionieren. Diese zu gewinnen, war für den deutschen Faustball ein Durchbruch. "Wir wussten danach wieder, was wir können", sagt sein Sohn. Seit 2011 haben deutsche Mannschaften, Junioren und Senioren, Frauen und Männer, jede Europameisterschaft und jede WM gewonnen. Dazu die World Games, bei denen sich nicht-olympische Sportarten messen.

Sportlich ist der deutsche Faustball so erfolgreich wie noch nie. Schade, dass das kaum jemand weiß.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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