Sebastian Deisler beendet seine Karriere:Der Unvollendete

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135 Ligaspiele und 18 Tore, 36 Länderspiele und drei Tore - Sebastian Deisler war weit mehr, als jede Statistik verrät.

Klaus Hoeltzenbein

Der 27. November 2006 war ein trüber Herbsttag in Hamburg, Nieselregen besprenkelte das Spielfeld im Stadion, es war so ein Tag, an dem unter freiem Himmel nicht sehr viel Spaß macht - allenfalls Fußballspielen.

Es war nicht zu warm, nicht zu kalt, wenn da einer erst einmal auf Betriebstemperatur ist, dann wird so ein Schmuddelwetter zum Freund, nicht zum Gegner. Die Bayern lagen 0:1 beim HSV zurück, und zur Halbzeit wurde Sebastian Deisler als eine Art Nothelfer von Trainer Felix Magath eingewechselt.

In den Wochen zuvor hatte sich Deisler gegen sein Mitwirken immer wieder gesträubt, er sei noch nicht richtig fit, hatte er mitgeteilt, bei seinem soundsovielten Comeback wolle er nichts überstürzen.

45 strahlende Minuten

Nun aber war es so weit, und in den folgenden 45 Minuten bekam die Bundesliga in wenigen Aktionen vermittelt, was sie in den acht Monaten zuvor vermissen musste, in denen Deisler wieder einmal pausiert hatte - dieses Mal wegen einer Knorpelabsprengung im Knie.

Nach dem Abpfiff der in einen 2:1-Sieg verwandelten Partie sagte Magath: "Wir können froh sein, dass Sebastian die Partie gedreht hat. Sein Auftritt macht Mut für die Zukunft."

Heute, keine zwei Monate später, ist dieser Novembertag für alle, die sich an ihn erinnern, das letzte Dokument aus einer Profi-Laufbahn, die als ein unerfülltes Versprechen viel zu früh zu Ende geht. Zur Jahrtausendwende, in der deutsche Fußballer weltweit als Rumpelfüßler verspottet wurden, galt dieser Mittelfeldspieler, der in Lörrach/Südbaden geboren wurde, fast als einzige Hoffnung-stiftende Erscheinung.

Ein Brasilianer

Er selbst sagte einmal: "Von der fußballerischen Mentalität her bin ich Brasilianer." Dass Deisler all die Sehnsüchte, die sein Spiel beim Publikum weckte, letztlich nicht erfüllen konnte, lag an der Unendlichkeit physischer und psychischer Herausforderungen, die er am Ende nicht mehr meistern zu können glaubte.

Aber warum das so war, warum es von dem beim Rücktritt erst 27-Jährigen hieß, er habe das spieltechnische Rüstzeug zum deutschen Zidane, das war ein letztes Mal in Hamburg offenbar geworden. Beim Dribbling wurden seine Gegenspieler zu Statisten, seine Vorlagen und Flanken waren fußgerechte Serviceleistungen für die Torschützen Makaay und Pizarro.

Und Ecken und Freistöße wurden mit diesem leichten, eleganten Schlag aus dem Unterschenkel getreten, mit dem Deisler den Ball auf Flugbahnen befördern konnte wie weltweit nur wenige außer ihm. Das wird ja jetzt endlich, hofften damals alle, doch Deisler bat die Öffentlichkeit, sich weiter in Geduld zu üben: "Man kennt mich jetzt doch, ich bin nicht der Beckham von der Spree." Seine wenigen Einsätze, die dem HSV-Spiel noch folgten, waren denn auch wieder von einer rätselhaften Scheu und einem seltsamen Fremdeln innerhalb der eigenen Mannschaft geprägt.

Am Ende ausgebuht

In Berlin, bei der Hertha, hatte Deisler von 1999 bis 2002 gespielt, nachdem er seine erste Bundesliga-Saison noch für Borussia Mönchengladbach bestritten hatte. Als Beckham von der Spree galt er wegen seiner Schießkunst, seinen zweiten dort geborenen Rufnamen, "Basti Fantasti", fand er ebenso furchtbar: "Damit muss jetzt Schluss sein. Ich will nicht mehr verniedlicht werden", sagte er, bevor er zu den Bayern ging.

Doch dieser Wechsel verlief unter irritierenden Umständen, durch eine Indiskretion aus Bankenkreisen war bekannt geworden, dass eine Summe von 20 Millionen Mark aus München auf Deislers Konto eingegangen sei, noch während er für Hertha spielte.

Es folgte eine Flut der schlechten Nachrichten: Das Hertha-Publikum pfiff ihn in den letzten Berliner Wochen aus, und kurz vor der WM 2002 in Asien zog er sich einen Knorpelschaden im chronisch lädierten rechten Knie zu - zweimal wurde er operiert, zwischenzeitlich drohte Sportinvalidität, und seine Premiere im Bayern-Trikot musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Als es dann endlich so weit war, wurde schon im November 2003 ein neues Kapitel in der Krankenakte aufgeschlagen: Wegen Depressionen ließ sich Deisler im Münchner Max-Planck-Institut behandeln. Gleichzeitig tauchten Gerüchte auf, er werde von fragwürdigen Freunden beraten.

Nicht als Fußballer, als Mensch

All dies aber, die Litanei aus Depression, Knieschäden und Vermutungen, schien der ewige Patient hinter sich gebracht zu haben, als er im November 2006 in Hamburg vorspielte und Bayern-Manager Uli Hoeneß verkünden konnte: "Wir haben ihn nicht unter Druck gesetzt, wir haben ihm alle Zeit gelassen, um in Ruhe zurückzukommen."

Das hat nicht gereicht, wie sich jetzt herausstellte, gekündigt hat nicht der Fußballer, gekündigt hat der Mensch. Fußball, das hat Deisler immer wieder betont, sei für ihn, neben der Familie mit dem 2003 geborenen Sohn Raphael, das ein und alles. Von einem, der so gerne und gut den Ball trat nun als letzten Satz "Es war nur noch eine Qual!" zu hören, lässt tiefe emotionale Strapazen vermuten.

Bei den Reportern, die vergangene Woche das Trainingslager der Bayern in Dubai beobachteten, hatte er einen in sich gekehrten, isolierten Eindruck hinterlassen. In den Testspielen wirkte Deisler unauffällig, aber robust im Zweikampf. So hinterlässt er Widersprüche, die kaum aufzulösen sind.

Manchmal bleibt von Spielern nur ihre Statistik. Im Fall Deisler sind dies in zehn Jahren Bundesliga gerade einmal 135 Ligaspiele, 18 Tore, 36 Länderspiele, drei Tore. Doch er war viel mehr, er war - vor Poldi&Schweini - der große Konjunktiv des deutschen Fußballs: Wenn der einmal gesund ist, hieß es lange, ja dann . . .

Nun ist diese Zukunft zurückgetreten. Plötzlich, aber nicht ganz unerwartet. Und da dies so sehr zu bedauern ist, kann dieser Artikel nur den Charakter eines Nachrufs haben.

© SZ vom 17.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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