Schwimmer Paul Biedermann:Larifari, Urlaub, Weltrekord

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Paul Biedermann stellt einen neuen Weltrekord auf - ohne richtige Vorbereitung, aber mit einem neuen Anzug. Der gebeutelte DSV hofft auf eine "Sogwirkung".

Th. Hummel, Berlin

Frank Embacher konnte kaum einen Satz zu Ende sprechen. Arme reckten sich zu ihm vor, klatschten ab, klopften auf seine Schulter, streichelten seine Wange. Der Schwimmtrainer aus Halle indes schien die Gratulationen kaum wahrzunehmen. "Ich muss das erst einmal verarbeiten", sagte Embacher. Zu Verarbeiten gab es einen völlig überraschenden Weltrekord seines Sportlers Paul Biedermann über 200 Meter Freistil beim Kurzbahn-Weltcup im Europasportpark in Berlin. Der 22-Jährige schlug nach 1:40,83 Minuten an und verbesserte die alte Marke des Australiers Ian Thorpe aus dem Jahr 2000 um 27 Hundertstel Sekunden.

Paul Biedermann bejubelt seinen Weltrekord. (Foto: Foto: Reuters)

"Ich wusste nicht, dass ich so schnell sein kann", sagte Biedermann. Auch sein Trainer Embacher nicht, obwohl die beiden nicht gerade für ihre Bescheidenheit bekannt sind. "Ich hatte mit Sportdirektor Lutz Buschkow gewettet, dass Paul heute die drittschnellste Zeit aller Zeiten schwimmt, so um den Europarekord herum", erzählte Embacher. Aber der Weltrekord sei so nicht planbar gewesen. Biedermann unterbot seine bisherige Bestmarke um mehr als 1,5 Sekunden. Dabei hatte er nach Peking "vier Wochen gar nichts gemacht, dann eine Woche Larifari und dann eine Woche Urlaub", erzählte sein Trainer. Immerhin war Biedermann nicht wie sonst mit Übergewicht aus den freien Tagen zurückgekehrt.

Neue Anzugdebatte

Dennoch bot sich als Erklärung für den Leistungssprung vor allem eine Antwort an, die eine Debatte im Deutschen Schwimmverband auch mit Hauptsponsor Adidas neu beleben wird: Paul Biedermann schwamm am Sonntag zum ersten Mal in einem Ganzkörperanzug, der den Sportler regelrecht in ein Gummikorsett zwängt. Dieser soll eine Grundspannung der Muskeln erzeugen, und damit einen höhere Körperlage im Wasser. Bislang war Biedermann nur mit einer derartigen Hose bekleidet ins Wasser gesprungen - auch in Peking, wo er über 200 Meter Freistil Fünfter wurde. Allerdings nutzt Biedermann keinen Adidas-Anzug, der bei Olympia von den deutschen Sportlern als nicht konkurrenzfähig kritisiert worden war, sondern einen der Firma Arena.

Veranstalter, DSV-Funktionäre und Schwimmkollegen feierten Biedermanns Leistung fast euphorisch, sie war Balsam auf die tiefen Wunden der deutschen Schwimmfamilie nach den schwachen Leistungen bei Olympia. Der neue Bundestrainer Dirk Lange erhofft sich auf "eine Sogwirkung" im DSV.

Der am Freitag eingesetzte Lange will bereits in Berlin erkannt haben, dass "die deutschen Schwimmer nicht so schlecht sind, wie sie sich selbst darstellen". So sah er deutsche Rekorde des 18-jährigen Brustschwimmers Marco Koch über 100 Meter (58,96 Sekunden) und von Johannes Dietrich, 23, über 50 Meter Delphin (22,88). Daniela Samulski verfehlte den Deutschen Rekord über 100 Meter Rücken nur um eine Hundertstel Sekunde (58,03). Außerdem freute sich der DSV über den Sieg der 16-jährigen Theresa Michalke über 200 Meter Lagen.

Weltrekorde 87 bis 90

Höhepunkte der Veranstaltung waren allerdings die Weltrekorde 87 bis 90 im Schwimmjahr 2008. Im letzten Rennen schwamm die Australierin Marieke Guehrer über 50 Meter Delphin zum ersten Mal unter 25 Sekunden (24,99). Am Samstag hatte Peter Marshall seine eigene Kurzbahn-Bestzeit über 100 Meter Rücken um 31 Hundertstel Sekunden auf 49,63 Sekunden unterboten und schwamm auch am Sonntag Weltrekord. Doch war über 50 Meter Rücken sein US-Landsmann Randall Bal mit 22,87 Sekunden noch schneller. Marshall und Bal hatten im Sommer die Qualifikation für Peking verpasst und dachten schon ans Aufhören.

Daran denkt Paul Biedermann nicht. Mit seinem Weltrekord steigt er weiter zum deutschen Vorzeigeschwimmer auf, wenngleich er in Berlin zuerst im kleinen Kreis feierte: "Meine ganze Familie sitzt auf der Tribüne, Oma, Opa, Onkel - alle sind da. Das ist schon was Besonderes."

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