Schwimmen:Öffentliches Gegrummel

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Mit Europarekorden, Silber für die Herren Lagen-Staffel, Bronze für die Damen, beenden die deutschen Schwimmer ihre Wettbewerbe - trotzdem bleibt Kritik nicht aus.

Das Wort "Europarekord" drang immer wieder aus dem Knäuel der vier Männer. "Das entschädigt für alles", sagte Jens Kruppa. "Gute Stimmung in der Mannschaft", hörte man von Krauler Lars Conrad, "überhaupt nicht enttäuscht" von Thomas Rupprath. Steffen Driesen wandte sich dem heraneilenden Teamchef Ralf Beckmann zu und versank in inniger Umarmung. "Mann, Mann, Mann", sagte Beckmann und patschte dem Rückenschwimmer auf die Schulter.

So emotional endeten am Samstagabend die Schwimmwettbewerbe in Athen für die deutsche Mannschaft: mit einer Silbermedaille hinter den US-Amerikanern für die deutsche Lagenstaffel, die ebenso in Europarekordzeit anschlagen hatte wie wenige Minuten zuvor Antje Buschschulte, Sarah Poewe, Franziska van Almsick und Daniela Götz als Dritte hinter Australierinnen und US-Amerikanerinnen. Aber mit diesem versöhnlichen Abschluss konnte man es natürlich nicht bewenden lassen. Es musste Bilanz gezogen werden - und auch ein paar Rechnungen gab es noch zu begleichen.

Konsequenzen gefordert

Wenige Stunden vor den Staffelrennen war im Deutschen Haus Ullrich Feldhoff vor die Presse getreten, der oberste Leistungssport-Planer im Deutschen Sport-Bund. Er hatte in seiner Zwischenbilanz die Schwimmer hart angegangen, der Teamführung methodische Fehler vorgeworfen und "Konsequenzen" gefordert. Das öffentliche Gegrummel über die deutsche Teamführung hatte damit eine offizielle Bestätigung gefunden. War die Teamleitung nicht in der Lage, die Schwimmer auf den Punkt in Höchstform an den Start zu bringen?

Es stand für das Team viel auf dem Spiel vor diesen beiden Staffeln. Und Beckmann bedankte sich ausdrücklich dafür, dass sie ihm mit ihren Zeiten und Medaillen den Rücken gestärkt hatten. Buschschulte hätte mit ihrer Zeit vom Samstag über 100 m Rücken im Einzelrennen um den Sieg gekämpft. Auch Driesen wäre mit der Staffelzeit im Einzelrennen Zweiter geworden. Und die Leistung von Conrad in der Staffel machte ihn, auf dem Papier, zu einem Medaillenanwärter über 100 m Freistil. "Eine gewaltige Mobilisierung", wie Beckmann fand. "Das spricht für die mentale Kraft der Mannschaft."

Vom versöhnlichen Abschluss ermutigt traten am Sonntag Christa Thiel, Präsidentin des Deutschen Schwimmverbandes (DSV), Teamchef Beckmann und Christian Keller, der Aktivensprecher, vor die Medien. Thiel rügte Feldhoff, der voreilig Bilanz gezogen habe. So ein Vorgehen sei "schädlich für den deutschen Sport". Beckmann zog seine gemischte Bilanz. Eine silberne und vier bronzene Medaillen, damit hat das Team eine Vorgabe ihres Teamchefs erfüllt: mehr Medaillen holen als in Sydney (dreimal Bronze), nicht aber die andere: Medaillen in allen drei Farben.

"Die großen Nummern haben nicht gezogen", bilanzierte Beckmann und meinte vor allem Weltrekordlerin Franziska van Almsick über 200 m Freistil und Weltmeisterin Hannah Stockbauer über 400 und vor allem 800 m Freistil. Das habe Zweifel im ganzen Team ausgelöst. "Alle wussten, die beiden sind in Topform, aber sie bringen es hier nicht." Antje Buschschulte, Weltmeisterin über 100 m Rücken, durfte sich von dem Urteil ausgenommen fühlen - trotz ihres Scheiterns über 100 m Rücken.

Sie schwamm nach dem Rückschlag auf ihrer Spezialstrecke in bestechender Form, wurde am Freitagabend Dritte über 200 m Rücken und darf sich mit zwei weiteren Staffelmedaillen als Nummer eins im deutschen Team fühlen.

Aus zweiter Reihe überzeugt

Beckmann kündigte eine eingehende Analyse der Ergebnisse von Athen an, auch im internationalen Vergleich. Schweden, Russen, Italiener seien noch sehr viel weiter als die Deutschen unter ihren Möglichkeiten geblieben, sagte er, was die deutschen Probleme aber nicht entschuldige. Aber er wehrte pauschale Urteile über das ganze Team ab. Es sei festzustellen: "Die Athleten in der zweiten Reihe" hätten im Gegensatz zu den großen Nummern in großer Zahl überzeugt.

Es fiel auf, wie er zwischen Franziska van Almsick und Hannah Stockbauer sowie dem Rest des Teams differenzierte. Deshalb wird spannend sein zu verfolgen, ob und wie vor allem Franziska van Almsick wieder zurück ins Team findet. Von einem sofortigen Abschied vom Leistungssport ist keine Rede mehr. Sie werde noch kleinere Wettkämpfe bestreiten, hieß es. Ein gemeinsamer Gegner aber bietet sich an, um mögliche Risse im Team zu kitten: die Öffentlichkeit.

Den Part der Medienschelte übernahmen die Präsidentin ("einige haben sich disqualifiziert") und auch Aktivensprecher Christian Keller. Man habe sich "dem Druck der Öffentlichkeit" nicht gebeugt, sagte er. Er lobte die Harmonie im Team und rügte einseitige Fokussierung der Öffentlichkeit auf das frühe Scheitern der großen Nummern - als ob die Berichterstatter heulende Weltmeisterinnen und Weltrekordlerinnen ignorieren könnten, bis die letzte Lagenstaffel im Ziel ist. Bestimmt gehört auch dieser Punkt zur Olympia-Aufarbeitung des deutschen Schwimmteams: der Umgang mit öffentlichen Erwartungen und öffentlicher Kritik.

© SZ vom 23.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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