Schwimmen:Kopfweh nach dem Bauchklatscher

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Der olympische Fehlstart des Schwimmer-Idols Ian Thorpe: Regeln sind Regeln, aber nicht immer gerecht.

Von Josef Kelnberger

Der ärmste Hund der olympischen Welt ist jetzt der nette, zurückhaltende Schwimmer Craig Stevens, 23, gebürtig in Sydney, Schüler des Australian Institute of Sport (AIS) in Canberra, Eliteschmiede des australischen Sports.

Sein Zimmernachbar im Hotel in Sydney, wo die Australier gerade ihre Olympiastarter ermitteln, schaltete ihm am Wochenende den Fernseher ab, die Teamkollegen versteckten die Zeitungen vor ihm, sein Trainer versuchte, ihn mit folgender Argumentation aufzulockern: "Sind wird nicht Glückspilze als Australier? Wir sind nicht im Irak und müssen keine Angst haben, dass wir unsere Kinder nicht satt bekommen. Wir sind nicht in Palästina und müssen nicht fürchten, dass uns eine Bombe auf den Kopf fällt."

Krieg und Hunger

Doch sein Unglück scheint nur unwesentlich leichter ertragen zu sein als Krieg und Hunger. Stevens ist ein australischer Schwimmer, der dem Weltstar und Volkshelden Ian Thorpe eine olympische Goldmedaille wegnimmt. Wie er damit klar kommt? Er habe Kopfschmerzen, sagt Stevens, wahnsinnige Kopfschmerzen.

Sie werden vermutlich in chronische Migräne münden. Thorpe, Weltrekordler, wolkenkratzerhohe Favorit über 400 m Freistil, ist wie ein Tölpel vom Startblock geplumpst - und Stevens muss es ausbaden. Thorpe akzeptiert seine Disqualifikation wegen Fehlstarts mit großer Geste und wünscht Stevens, "meinem Freund", Glück für das Rennen in Athen. Der Superstar hat an Größe gewonnen.

Und Stevens kann nichts mehr richtig machen. Die einen drängen ihn dazu, keinesfalls auf sein Startrecht zu verzichten. Er hat das Ausscheidungsrennen als Zweiter hinter Grant Hackett beendet und die Olympianorm unterboten, also muss er schwimmen, sonst würden die Regeln ad absurdum geführt, sagt Kieren Perkins, eine weiterer Schwimm-Held. Australiens. Premierminister John Howard dagegen drückte Thorpe sein Mitgefühl aus und mahnte eine "Lösung" des Problems an.

Andere Politiker und Meinungsmacher drängten Stevens zum Verzicht, im nationalen Interesse, zumal er selbst keine Medaillenchance hat. Und die Funktionäre? Tun, was man von ihnen erwartet: Verstecken sich hinter den Regeln und lassen den Athleten allein. Ein olympisches Lehrstück.

John Coates, Chef des Nationalen Olympischen Komitees von Australien, erklärte sich machtlos: Der Schwimmverband sei autonom. Chefcoach Leigh Nugent verweist darauf, die Qualifikationskriterien hätten sich seit 14 Jahren bewährt - aber, und nun wird es perfide: Wenn es in Athen kurzfristig doch eine "Vakanz" gebe, könnte er natürlich Thorpe noch nominieren. Die Vakanz kann aber nur entstehen, wenn Stevens verzichtet. Wozu ihn aber, Gott bewahre, keiner der Funktionäre drängen will.

Scheinheiliger Sportdirektor

Die Medien sollten Stevens endlich in Ruhe lassen, forderte scheinheilig Sportdirektor Glenn Tasker. Diese Ruhe können ihm aber allein die Funktionäre verschaffen - indem sie ihn aus der Schusslinie nehmen und Thorpe an den Start bringen, auch wenn es gegen die Regeln ist.

Der holländische Spitzenschwimmer Pieter van den Hoogenband nennt das Verhalten der Australier "lächerlich, kindisch, arrogant".

Thorpe sei ein Botschafter Australiens, und es sei unakzeptabel, ihm wegen eines Fehlstarts eine Goldmedaille weg zu nehmen. Der deutsche Teamchef Ralf Beckmann sagt, die Australier seien bekannt für ihre "Hard-Core-Regeln". Im Prinzip stünde Beckmann vor dem selben Problem, sollten im Juni bei den deutschen Meisterschaften Franziska van Almsick oder Hannah Stockbauer vom Podest fallen. Die Kriterien sind streng wie in den USA und Australien: Qualifiziert für Olympia ist, wer beim Ausscheidungsrennen Rang eins oder zwei belegt und die Norm unterbietet.

In einem derart krassen Fall aber - chancenloser Außenseiter qualifiziert sich anstelle des Titelfavoriten - muss der Funktionär Verantwortung übernehmen und eine Lösung finden "im Sinne der Mannschaft und des einzelnen Athleten", findet Beckmann.

Erster Schritt

Zur Erinnerung: Beckmann war 1994 als Sportwart Herr des Verfahrens, als Dagmar Hase bei der WM in Rom auf das Finale über 200 m Freistil verzichtete, zugunsten der im Vorlauf gescheiterten van Almsick. Die gewann dann Gold mit Weltrekord.

Ob es für den armen Craig Stevens einen Weg aus dem Dilemma gibt? Thorpe qualifizierte sich gestern als Sieger über 200 m Freistil für Athen. Das ist ein erster Schritt. Nun hoffen alle, dass Stevens am Wochenende einen Olympiaplatz auch über 1500 m Freistil ergattert, das würde es ihm leichter machen, über 400m zu verzichten. Ansonsten sehen die Australier nur einen Ausweg: Das IOC sollte Thorpe eine Wildcard gewähren.

© SZ v. 30.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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