Schwimmen:"Frustfeiern" in Athen

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Das Debakel der deutschen Schwimmer geht weiter - Weltmeisterin Hannah Stockbauer scheidet auch über 800 m im Vorlauf und auch Sandra Völker schafft es über die 50 Meter Freistil nicht einmal ins Halbfinale.

Von Josef Kelnberger

Drei Jahre lang hat Teamchef Ralf Beckmann frohe Botschaften vom deutschen Schwimmen verkünden können, und er tat das in einer derart druckreifen Diktion, dass sich selbst ausländische Journalisten wunderten: ein deutscher Funktionär, der reden kann, der ein gewinnendes Auftreten hat - dass es so etwas gibt. Stockbauers Aufstieg, van Almsicks Rückkehr, Buschschultes Vollendung, Ruppraths Rekorde, alles unter seiner Amtsführung. Und ein halbes Dutzend Nachwuchskräfte rückt schon nach. Vor den Spielen in Athen lud die amerikanische Trainervereinigung ihn zu einem Vortrag ein, diese Ehre war lange keinem Deutschen widerfahren.

Und jetzt, da Bilanz zu ziehen ist über seine Arbeit: muss er den Kopf hinhalten für ein Scheitern, das jenem vor vier Jahren gleichkommt. Und gerade wegen des Debakels in Sydney war er verpflichtet worden. Der Überschwang, mit dem Beckmann am Mittwochabend die Bronzemedaille in der 4x200-m-Freistilstaffel feierte, die erste am fünften Wettkampftag, zeigte nur, wie groß die Not war.

Notfall Schwimmen

Jeden Abend überprüft er sich, reflektiert, wie er sich geschlagen hat angesichts der täglich neuen Niederlagen. Er hat sich noch nichts vorzuwerfen. "Auch diese Seite der Medaille gehört zum Geschäft", sagt er. Olympia sei eben eine "ganz besondere Intensivstation". Er findet das Erlebnis immer noch "sehr, sehr spannend". Beckmann, 57, verfügt über ein breites Kreuz, starke Nerven und den nötigen Humor. Er spürt auch den Rückhalt seiner Präsidentin Christa Thiel, die ihm Solidarität zusicherte. Wer in so einer Position eine derartige Niederlage zu verantworten hat, dem könnte auf der Intensivstation Olympia auch der sportliche Exitus drohen. Spätestens gestern Vormittag ist der Notfall eingetreten.

Schon beim Einschwimmen für den Vorlauf über 800 m Freistil glaubte Hannah Stockbauer zu spüren, "dass es nicht geht". In Gedanken machte sie sich schon vor dem Rennen mit dem Scheitern vertraut: "Dann bin ich halt gluckgluck gegangen wie die anderen". Gluckgluck, abgesoffen. Sie brauchte 8:38,17 Minuten dafür, die 14. Vorlaufzeit, damit schied sie, wie über 400 m Freistil, als Weltmeisterin im Vorlauf aus. Wieder weinte sie. Sie erinnerte an Franziska van Almsicks Kommentar zum 200-m-Freistilrennen, der wohl zum geflügelten deutschen Schwimmwort wird: Hoffentlich sei "diese Scheiße" bald vorbei. "Dem", sagte Stockbauer, "schließe ich mich an." Ansonsten werde sie noch "frustfeiern" in Athen.

Die Trainer sind schon dabei, nach Ursachen zu fahnden, aber sie haben noch nicht den Hauch einer Ahnung. Stockbauers Untergang wirkte besonders grotesk, nachdem sie am Abend zuvor Rang drei in der Staffel gegen die anstürmende Australierin Petria Thomas verteidigt hatte. 1:59,2, persönliche Bestzeit, endlich gewann sie an Fahrt. An Ausdauer ist sie sowieso nicht zu überbieten. Beckmann hatte einen "Befreiungsschlag" erhofft. Wie ein Akt der Verzweiflung mutet es nun an, dass er Stockbauer nach dem Gluckgluck zum Check schicken will. Eine sofortige medizinische Untersuchung bietet die Teamleitung ihr und allen anderen an, die sich schlapp fühlen.

Eine Vorsichtsmaßnahme, sagt Beckmann, und Grundlage für eine umfassende Analyse. Seinem Empfinden nach sind alle gesund und bestens trainiert. Bei den nationalen Meisterschaften hatte er noch das Auftreten von Stockbauer und Antje Buschschulte kritisiert, sie "mit Absicht gepiekst", wie er sagt; diese Defizite seien "hoch qualifiziert abgestellt" worden. Seine 35 Olympiastarter verteilen sich auf 27 Heimtrainer, das erschwert die Analyse, und auch die Vermutung, dass die elf, die sich im Höhentrainingslager vorbereiteten, nicht zu ihrer Form finden, führt nicht weiter.

Zu den elf gehört zwar Stockbauer, aber auch Buschschulte. Die schwamm in der 200-m-Staffel ein furioses Rennen (1:58,5) und wirkte auch ansonsten stark wie nie - nur eben nicht, als es darauf ankam, im Finale über 100 m Rücken.

Damit ist man am heikelsten Punkt der Athleten angelangt, beim Kopf. Viele, zum Beispiel Stockbauer, lehnen es ab, sich von einem Sportpsychologen betreuen zu lassen. "Lockerheit kann man nicht verordnen", sagt Beckmann und fügt vage hinzu, die mentale Betreuung der Athleten müsse "weiterentwickelt" werden. Dies ist Sache jedes Einzelnen. Das Team als Ganzes führt Beckmann auf eine Weise, die sehr emotional wirkt.

Weder POST, Noch BIFI

Er legt Wert auf Gruppendynamik, lässt Gesänge einüben, gibt Slogans vor, die nun, erstmals im Misserfolg, auch peinlich erscheinen können: Die "POST" sollte abgehen: Persönliche Olympische Sportliche Traumerfüllung, "BIFI" sollte mit nach Athen: Bestzeit im Finale. Vergangenes Jahr ließ Beckmann die Abläufe im Team vom Psychologen Ulrich Kuhl beobachten; er erhielt von ihm öffentlich Zuspruch. Für die Spiele wurde Kuhl jedoch nicht akkreditiert. Der hat sich darüber öffentlich beklagt: Das Projekt sei nicht zu Ende gedacht worden.

Möglicherweise liegt hier ein Ansatz, vielleicht wird man auch nie eine Antwort finden, warum die Deutschen in Athen hinterher schwimmen. Beckmann hat jedenfalls aufgehört, die Ergebnisse öffentlich schön zu reden und die Hoffnung auf einen Umschwung aufgegeben. "Die Mannschaft zeigt eine vorbildliche Haltung", darauf legt er Wert. Das gebe auch ihm Rückhalt, er selbst muss diese Pleiten ja auch wegstecken. Seit 1973 arbeitet er in verschiedenen Funktionen im DSV, und noch nie sei ein vermeintlich so starkes Team bei einem Großereignis angetreten. "Alle Vorzeichen standen auf Plus." Wie sehr ihn die Athleten stützen, wird sich bald erweisen: ob nicht doch jeder seine eigene Haut zu retten versucht. Zurücktreten wird Beckmann nicht. Er sagt, er fühle sich herausgefordert, jetzt erst recht.

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