Schwergewichtsboxen:Blut auf dem Marmorgesicht

Lesezeit: 4 min

Wladimir Klitschko unterliegt dem Briten Tyson Fury. Ein Vertrag garantiert ihm eine Revanche-Chance. Ob der Entthronte sie nutzt, ist aber offen - beim Rückkampf wäre er 40 Jahre alt.

Von Benedikt Warmbrunn, Düsseldorf

Als ein neuer Tag begann, der Tag, der der siebte im siebten Monat im neunten Jahr seiner Zeit als Welt- meister im Schwergewicht werden sollte, stand vor Wladimir Klitschko wieder Tyson Fury, er lächelte und verschränkte die Hände hinter dem Hintern. Dann schlug Klitschko. Dann traf Klitschko, mitten ins Gesicht. Aber nichts passierte. Fury schüttelte sich nicht einmal. Er lächelte nur. Klitschko bewahrte sein starres Marmorgesicht, aber es war nicht mehr ein Gesicht der Entschlossenheit, der Konzentration, der Siegesgewissheit. Es war ein Gesicht der Leere geworden, ein Gesicht der Hilfslosigkeit.

Es begann nun kein siebter Tag im siebten Monat im neunten Jahr. Es begann ein erster Tag im ersten Monat im ersten Jahr. Klitschko bewahrte zwar in den nächsten Minuten sein Marmorgesicht, obwohl es von Schrammen, Platzwunden, Blut entstellt wurde. Doch lange bevor er diesen Kampf endgültig verloren hatte, hatte er mehr verloren: den Glauben an sich selbst.

Klitschko wurde in der Nacht auf den Sonntag in Düsseldorf von Tyson Fury nicht einfach nur besiegt. Er wurde demoralisiert. Er hat verloren, weil Fury so gekämpft hat, wie sonst immer er, Klitschko, kämpft: Fury war cleverer. Dieses Duell, das Fury nach Punkten gewann (115:112, 115:112, 116:111), war zwar keines der spektakulärsten in der Geschichte des Schwer- gewichtsboxens. Doch es war ein Duell, in dem ein Schwergewichtsboxer eine der größten strategischen Leistungen der vergangenen Jahre zeigte.

"Ich war mir nach dem Kampf sofort sicher, dass ich es heute Abend nicht geschafft habe", sagte Klitschko. "Das war heute kein guter Kampf, da war keine gute Technik, da war nicht viel zu sehen", sagte Vitali Klitschko, sein älterer Bruder. "Das war meine Nacht", sagte Tyson Fury, der neue Weltmeister nach Version der Verbände WBO, WBA und IBF.

Elfeinhalb Jahre lang hatte Wladimir Klitschko keinen Kampf verloren, das letzte Mal 2004 gegen Lamon Brewster, Klitschko war unbestritten der beste Schwergewichtsboxer seiner Generation, und obwohl er bereits 39 Jahre alt ist, ging es nur um weitere Rekorde. Er wollte gegen den Amerikaner Deontay Wilder boxen, den WBC-Weltmeister, um die Titel aller großen Verbände zu vereinen. Er wollte der Schwergewichtsboxer sein, der am längsten seinen Titel verteidigt hat, er wollte also Joe Louis mit dessen elf Jahren, acht Monaten und acht Tagen einholen. Und niemand wollte daran zweifeln, dass ihm all dies gelingen würde. Außer Tyson Fury. Aber auf den 27-Jährigen hörte keiner, er erzählte ja auch sonst viel Unmögliches. Dann aber begann der Kampf.

Dann begann eine der größten Sensationen im Boxsport der vergangenen Jahre. Furys Leistung war es in dieser Nacht nicht, dass er selbst gut aussah. Aber er schaffte es, dass Klitschko schlecht aussah. Von der ersten Sekunde an zitterte und zappelte der Brite, er baumelte mit dem Kopf, pendelte mit dem Oberkörper, wackelte mit der Hüfte. Und er bewegte sich stets mit ein paar Schritten aus der Ecke, in die ihn Klitschko drängen wollte. Ein erster Punkt, den er besser machte als die 22 Gegner des Ukrainers zuvor. Schlug Fury - und beide schlugen selten -, unterbrach er meist eine von Klitschkos Aktionen. Zum Beispiel, indem sich Fury mit dem ganzen Körper Klitschko entgegenwarf, beide Arme zu einer Umarmung ausgestreckt. Der zweite Punkt, den er besser machte als Klitschkos Gegner der vergangenen elfeinhalb Jahre. Seine Deckung ließ er zudem demonstrativ weit unten, mehrmals verschränkte er die Arme hinter dem Rücken. Der dritte Punkt. Der Punkt, der Klitschko am meisten traf. Weil er erkennen musste, dass ihm ein Mann gegenüberstand, der keine Angst vor ihm hatte. Und der wenige Minuten nach der Urteilsverkündung sogar noch die Kraft und Ruhe besaß, seiner Frau ein Lied zu singen.

"Ich habe mich im Spiegel gesehen. Das sieht überhaupt nicht gut aus": Wladimir Klitschko nach der Niederlage gegen Tyson Fury.

1 / 7
(Foto: Lee Smith/Reuters)

Lange, bevor Klitschko den Kampf endgültig verloren hatte, hatte er schon mehr verloren: den Glauben an sich selbst, diesen Gegner schlagen zu können.

2 / 7
(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Denn Tyson Fury zeigte keine Angst, demonstrativ ließ er die Deckung fallen.

3 / 7
(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Der Engländer tänzelte ständig von der Rechts- in die Normalauslage, bewegte sich viel, war wendig und unberechenbar und meist außer Reichweite.

4 / 7
(Foto: AFP)

Nur selten schlug Klitschko zu, und wenn, dann tauchte der wenig behende aussehende Fury ("Mein Körper ist wie Gelee") meist darunter weg.

5 / 7
(Foto: Bongarts/Getty Images)

Statt dessen hinterließen die Fäuste des Außenseiters Fury tiefe Spuren im Gesicht des 39-Jährigen.

6 / 7
(Foto: Lars Baron/Getty)

Nach zwölf Runden war die größte Sensation im Boxsport der vergangenen Jahre perfekt. Fury gewinnt nach Punkten (115:112, 115:112, 116:111).

7 / 7
(Foto: Lee Smith/Reuters)

Mit den Trophäen des Gegners: Fury trägt nun den Weltmeistertitel der Verbände WBA, WBO und IBF.

"Ich habe mich in der ersten Hälfte des Kampfes sehr sicher gefühlt", sagte Klitschko später, "danach habe ich nicht mehr die Distanz gefunden und auch nicht das Gefühl, um die richtigen Treffer zu landen."

Das Wackeln, die Einzelschläge, die fehlende Angst, all das zerstörte Klitschkos Konzept. Der Ukrainer, ohnehin auf Sicherheit bedacht, scheute das Risiko noch mehr als sonst. Er machte den einen Schritt zu wenig, um in die Schlagdistanz zu kommen. Er zuckte nach einem Schlagansatz wieder zurück. Und wenn sich ihm Fury in einer Umarmung entgegenwarf, schlug Klitschko nicht auf dessen blankes Kinn, er breitete selbst seine Arme aus, um sich in eine Umklammerung zu retten. Doch so traf er nur selten. In der neunten Runde zweimal mit einer rechten Geraden, in der letzten mit einer rechten Gerade, einem linken Haken, einer linken Gerade. Dann aber traf ihn Fury mit einem Aufwärtshaken. 52 Treffer landete Klitschko, so oft schlagen andere Boxer in einer Runde (Fury kam allerdings auch nur auf 86 Treffer, knapp zwei pro Minute also).

Anschließend, auf der Pressekonferenz, zu der Klitschko mit Schrammen, Beulen, angeschwollenem Auge erschien, gestand er, der schlechtere Boxer gewesen zu sein. Er drückte sich jedoch um eine Ansage, ob er zu dem vertraglich festgelegten Rückkampf, vermutlich in Furys Heimatstadt Manchester, bereit sei. Dass es diesen Kampf geben werde, sagte dagegen Manager Bernd Bönte, "davon ist auszugehen". "Wladimir wird die Rückkampfklausel nutzen, um zu zeigen, dass das heute Zufall war", sagte sein Bruder Vitali. Wladimir Klitschko selbst wollte nicht großartig an die Zukunft denken, er sagte nur: "To be continued." Ansonsten war er viel zu ergriffen vom Augenblick. "Es ist ein bisschen außergewöhnlich, in einer ganz anderen Haut zu stecken", sagte er, der Verlierer.

Es ging dann auf zwei Uhr zu, Klitschko war nicht mehr Weltmeister, aber er war weiterhin Gastgeber. Also bedankte er sich bei allen, die gekommen waren, er lächelte dazu. Doch der ehemalige Weltmeister lächelte wie ein Mann, der alle Kraft braucht, um sich selbst zusammenzuhalten.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: