Schweden:Von Beruf Reiseleiter

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Der ehemalige Torhüter Ravelli hat keinen Spaß an Schwedens Elf - lieber erklärt er Fans die WM.

Ronald Reng

Was bisher geschah: In ein Interview mit Thomas Ravelli während der Europameisterschaft 2004 schaltete sich die österreichische Polizei ein. "Polizei!", rief Ravelli plötzlich in sein Handy und kappte die Leitung.

Eine Viertelstunde danach, das Auto gut geparkt in seinem Urlaubsquartier am Millstätter See, meldete er sich zurück. Aus einer Straftat war ein Triumph geworden. "Die haben mich angehalten, weil man beim Autofahren nicht telefonieren darf", sagte Thomas Ravelli, "aber sie haben mich erkannt und mir deshalb keinen Strafzettel gegeben!"

Überhaupt war das Gespräch mit dem legendären schwedischen Torwart so erheiternd, dass schon damals feststand: Es muss zur Tradition werden - zu jeder WM oder EM ein Interview mit dem einen und einzigen Thomas Ravelli, heute 46 Jahre alt, der 143-mal in der Nationalelf spielte, was einmal Weltrekord war.

Welch besseren Tag gebe es dafür als diesen Dienstag, an dem Schweden gegen England in Köln nicht nur um den Sieg ihrer Vorrundengruppe spielt, sondern auch darum, im Achtelfinale auf Deutschland oder Ecuador zu treffen.

2004 erklärte Ravelli, wie der Torwart den Elfmeterschützen durchschauen könne. An der Schulterbewegung sollst du sie erkennen, sagte Ravelli, der sich durch zwei gehaltene Elfmeter im Viertelfinale der WM 1994 gegen Rumänien verewigt hat.

Was ist das für Sex?

Dieses Gespräch nun über die schwedische Elf dreht sich auch sehr schnell um Körperreaktionen. Er fand Schwedens 1:0-Sieg in der letzten Minute gegen Paraguay im zweiten WM-Spiel "furchtbar. Das war 89 Minuten lang ein Vorspiel und dann eine Minute ein Orgasmus; was ist das für Sex?"

Er ist gerade im Zug auf dem Weg von Stockholm nach Göteborg, aber zu den Spielen der Schweden in Deutschland fliegt er jeweils ein. Es ist ein neuer Beruf: Fußballführer. "Ich begleite Fans und erkläre ihnen vor dem Spiel, wer spielt, was passieren wird, wie viel Angst der Torwart hat." Dabei trägt auch er wie ein Fan das gelbe Nationaltrikot.

"Ich schreie aber nicht." Das Spiel in Berlin gegen Paraguay war der gelbeste Tag in der Geschichte des schwedischen Fußballs, 50000 Schweden im Olympiastadion, "unglaublich", sagt Ravelli, "da siehst du mal, wie viele bei uns keine Arbeit haben und deshalb donnerstags zum Fußball können".

Man sah aber auch, dass diese schwedische Elf mit echten Stars wie Zlatan Ibrahimovic und Henrik Larsson eine ungekannte Begeisterung in ihrem Land auslöst. "Es wird viel diskutiert, ob sie besser sind, als wir waren", die WM-Dritten von 1994 um Ravelli, Thomas Brolin, Kennet Andersson. Ravelli ist generös: "Sie heute haben mehr Qualität."

Keine Angst mehr

Aber sie sollten es auch endlich zeigen. "Es macht keinen Spaß, ihnen zuzuschauen. Sie spielen wie paralysiert. Früher hatten drei Verteidiger Angst, wenn Ibrahimovic kam. Heute passiert gar nichts, wenn er den Ball hat."

Der Schwindel des Stürmers vor dem Tor ist eine Alltagskrankheit, die jeden Angreifer von Zeit zu Zeit heimsucht, man kann sie bei Ibrahimovic nach einer problematischen Saison bei Juventus Turin eindeutig diagnostizieren: Er macht die richtigen Läufe und zögert dann vor dem letzten entscheidenden Schritt, er rennt ins Abseits, weil er in Gedanken mit sich selbst beschäftigt ist. Es muss kein Nachteil sein, dass er gegen England wohl verletzt fehlt.

Die große taktische Frage heute lautet: Sollten die Schweden angesichts ihrer bislang nur ordentlichen Form gegebenenfalls gegen England gar absichtlich nicht gewinnen, um im Achtelfinale Deutschland zu vermeiden? Sie werden bei Anpfiff wissen, ob der Erste oder Zweite ihrer Gruppe auf die Deutschen trifft.

Angeblich planten die schwedischen Eishockeyspieler bei Olympia in Turin das 0:3 gegen die Slowakei, um im Viertelfinale dem hoch gewetteten Kanada aus dem Weg zu gehen, und am Ende gewannen sie Gold. Doch Ravelli will offensichtlich nicht derjenige sein, der zum unsportlich kalkulierenden Verlieren aufruft.

Deshalb fängt er, statt die Frage zu beantworten, einfach an zurückzufragen: Die Deutschen, wie gut sind die überhaupt - wer sind die überhaupt? "Früher kannte man die immer alle, aber jetzt kennt man nur Lehmann, Ballack und den Oliver." Den Oliver. "Von Mönchengladbach - Oliver Neuville, so heißt er."

Da wird sich Oliver Kahn hoffentlich nicht grämen, dass er nicht mehr der erste Oliver ist, an den Torwartkollegen denken. "Aber die anderen - dieser Philipp Lahm zum Beispiel, der ist super, aber: Wer ist das?!"

Leise surrend fährt der Zug von Stockholm nach Göteborg. Es ist Zeit, den Mut zusammenzunehmen und Thomas Ravelli zu fragen: Wenn ihm 89 Minuten Vorspiel und eine Minute Orgasmus missfallen - was für eine Art Sex bevorzugt er dann? Tja, sagt Ravelli, und dann, oh, gerät der Zug leider in ein Funkloch - sei aus Gründen des Jugendschutzes einfach mal behauptet.

© SZ vom 20.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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