Schweden:Ljungberg, Nummer zehn

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Schwedens größter Fußballstar im Gespräch darüber, warum Schweden immer gegen Deutschland verliert. Fredrik Ljungberg? Nein, Hanna Ljungberg.

Ronald Reng

Zwei Tage vor dem Achtelfinale gegen Deutschland war Schwedens großer Fußballstar etwas hektisch. Ljungberg kam gerade vom Training, "drei Stunden sind wir heute herumgerannt, Mann oh Mann", brauchte "jetzt dringend eine Dusche", musste aber erst einmal die Katzen Mysan, Niapp und Njopp füttern - und dann die Reise zum Spiel in München organisieren.

Es muss eine besondere Partie sein, wenn sogar Schwedens großer Fußballstar kommt. Er hat bislang erst ein einziges Länderspiel im Stadion gesehen, mit 13, bei der EM 1992, ein großer Tag, Schweden schlug England in Stockholm. "Ich habe wenig Zeit, zu Spielen zu gehen, ich muss doch immer selber spielen", sagt Ljungberg - Hanna Ljungberg, nicht Fredrik Ljungberg.

Schweden hat Zlatan Ibrahimovic, Henrik Larsson und eben auch Fredrik Ljungberg, den giftigen Mittelfeldrenner von Arsenal London, aber sie müssen sich bei dieser WM gehörig anstrengen, wenn sie den sportlichen Erfolg und die Popularität von Hanna Ljungberg übertreffen wollen.

In einem Land mit neun Millionen Einwohnern saßen 3,8 Millionen Schweden im Oktober 2003 vor dem Fernseher, um das Finale der Frauen-WM zu verfolgen, Fußball-Rekord.

Hanna Ljungberg, heute 27, bei fast jeder Wahl zur Weltfußballerin des Jahres unter den ersten Drei, schoss das 1:0 und - nun, das ist die andere Sache: Während die Männer seit der 2:3-Halbfinal-Niederlage bei jener EM 1992 nicht mehr gegen die Deutschen spielten, ist Hanna Ljungberg eine Expertin in Partien gegen die Deutschen. "Sie gewinnen immer - und immer nur mit einem Tor!"

Damals im Finale der WM 2003 verloren die Schwedinnen schlussendlich 1:2, im nächsten Jahr das Spiel um Bronze bei Olympia in Athen, zuvor 2001 schon das Finale der EM.

Hanna Ljungberg weiß alles über deutsch-schwedische Rivalität. "Wenn wir es jemals wieder in ein Finale schaffen sollten, will ich wieder die Deutschen. Ich brauche Rache!"

Sie hat trotz der Hektik noch Zeit für das Gespräch gefunden, "du leistet mir beim Essen Gesellschaft", wenngleich nur fernmündlich. Ein Sponsor hat ihr spontan zwei Eintrittskarten für das Achtelfinale beschafft, und nun ist sie so aufgeregt wie ein gewöhnlicher Fan. "Was Schweden bislang bei der WM gespielt hat, kann ja noch besser werden. Aber, oh, am Samstag wird alles zusammenkommen!"

Das Problem ist, dass die deutschen Männer langsam fast so gut wie die deutschen Frauen spielen. Die Frauen-WM 2003 war eine Offenbarung: Hier war eine deutsche Nationalelf - und keine Rumpelfüße, nur wenig deutsche Tugenden, statt dessen viel mehr Leichtigkeit, Esprit und Angriffslust.

"Von den deutschen Männern hat man ja eher weniger attraktive Spiele gesehen", sagt Ljungberg, "aber bei dieser WM sieht das schon besser aus. Wir wollen auf keinen Fall, dass Klose ein Tor schießt!"

Halt, das hat sie jetzt falsch ausgedrückt. "Wir wollen natürlich, dass gar kein Deutscher ein Tor schießt." Was sie meinte, war, dass sie Stürmer Miroslav Klose am meisten fürchten.

Ihr Spieler ist Henrik Larsson. Er kommt ihrem Verständnis von Fußball am nächsten. "Er spielt sehr einfach, mit wenigen Ballberührungen. Und er macht die anderen besser mit seinen Pässen."

Aber bei dieser WM? "Ja, ich weiß, er hatte bislang nicht so ein gutes Turnier. Aber am Samstag!" Schweden schlug am anfangs zu viele lange, hohe Bälle aus der Abwehr direkt in den Angriff, das mache einem Stürmer wie Larsson das Leben schwer.

Da liegt Ljungberg mit Ljungberg auf einer Linie. Ljungberg, Fredrik, beschwerte sich bekanntlich nach der ersten Partie lautstark bei Kapitän Olof Mellberg, er soll dieses Gebolze aus der Abwehr einstellen. Viele Medien machten daraus ohne Sinn und Verstand gleich das Ende des Teamgeists.

"Haben die noch nie selber Fußball gespielt?", fragt sich Ljungberg, Hanna, "eine Fußballelf, die nicht diskutiert, gewinnt nie etwas." Über was hat sie mit ihren Kolleginnen zuletzt gestritten? "Wir streiten nicht, wir diskutieren."

Der Polarkreis ist nah

Sie ist "leider nicht" mit Fredrik Ljungberg verwandt. Warum leider? "Du meinst, ich sollte sagen: Zum Glück nicht?"

Sie trifft die Männer manchmal auf einer Gala, aber sie kennt sie nicht. Sie lebt in Umea, 700 Kilometer nördlich von Stockholm, der Polarkreis ist näher. "Hier kommen die nicht her, es ist zu kalt."

WM auf Leinwänden im Freien schauen, ist nicht so angesagt in Umea. "Es gibt zu viele Mücken." Und doch spürt auch Hanna Ljungberg hoch im Norden, dass diese WM für die Schweden größer als alle bisherigen ist.

"Es liegt sicher zum einen daran, dass wir erstmals Weltstars wie Larsson haben. Und vermutlich daran, dass die Leute heutzutage einfach mehr und größer feiern wollen, egal was."

50.000 Schweden waren in Berlin beim WM-Spiel gegen Paraguay. An diesem Samstag wird auch Hanna ein Ljungberg unter vielen in München sein. Sie wird eines ihrer eigenen Nationaltrikots anziehen.

Doch für die, die genau hinschauen, wird Schwedens großer Fußballstar aber auch als Fan herausragen: Unter all den Fans mit Fredriks Trikot, Ljungberg Nummer 9, wird sie Ljungberg, Nummer 10, sein.

© SZ vom 24.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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