Schalke:Später Pfiff

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Die im Aufwind befindliche Mannschaft von Trainer Weinzierl verliert zwar in Unterzahl gegen Leverkusen, lässt aber wieder einen stringenten Stil erkennen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Christian Heidel verabschiedete sich mit einer politischen Anmerkung in den restlichen Abend. "Wir leben ja in einer Demokratie", stellte Schalkes Manager fest. Es klang allerdings, als wäre er nicht zufrieden mit der gegenwärtigen Staatsform. Demokratie, das hatte er soeben erleben müssen, führt unseligerweise dazu, dass andere Leute eine Meinung vertreten dürfen, die von der eigenen Meinung abweicht. Heidel aber bestand darauf, dass es in dieser speziellen Sache nur diese eine Meinung geben dürfe. Seine Meinung. "Niemals war das ein Foulspiel", sagte er, "niemals!"

Hätte zumindest dieses eine Mal Christian Heidel der Diktator sein dürfen, dann hätte er dem Schiedsrichter Deniz Aytekin in der 89. Minute die Amtsgewalt entrissen und dessen Entscheidung revidiert, einen Freistoß für Bayer Leverkusen zu pfeifen. Ohne den Freistoß hätte es dann auch nicht den Kopfball von Stefan Kießling zum 1:0 für Bayer gegeben, und alle hätten friedlich in den Feierabend gehen können: Sowohl die Schalker, die sich zu einem Punktgewinn nach fast 90 Minuten Spiel in Unterzahl gratuliert hätten. Als auch die erstaunlich schwach spielenden Leverkusener, die mit dem Punkt sogar noch etwas besser bedient gewesen wären.

Doch weil Aytekin in der 89. Minute den Freistoß gab, trugen nur die Leverkusener Beute nach Hause zum Abschluss dieses 14. Spieltags. Rundum hieß es im Bayer- Lager, man werde sich nicht schämen für den Sieg - ein schlechtes Gewissen hatten sie allerdings schon ein wenig. "Wir wissen natürlich, dass das ein sehr glücklicher Sieg war", sagte Trainer Roger Schmidt.

Ein seltsamer Abend war das: Er begann nach drei Minuten mit einem Schiedsrichterpfiff, von dem alle glaubten, dass er das Spiel entscheiden werde. Doch es war nicht der unstrittig korrekte Platzverweis für Naldo, der Schalke die Niederlage brachte. Sondern der Allerweltsfreistoß, den Aytekin kurz vor Schluss nach einem Einsatz von Thilo Kehrer verhängte. Zu Unrecht, wie Heidel aus gutem Grund meinte: Kehrer hatte Calhanoglu mit einem Präzisionstackling vom Ball getrennt.

Zwischen diesen Momenten lag ein paradoxes Spiel. Leverkusen war mit seinem Startvorteil überfordert, Schalke formierte sich zur Einheit gegen das Unheil und hielt mit einer Abwehrreihe stand, die bis dahin in keiner Theorie denkbar war: Im Zentrum verteidigte Mittelfeldspieler Geis neben Linksaußen Kolasinac und dem 20 Jahre alten Startelfdebütanten Kehrer. Druck aufs gegnerische Tor entwickelten aber nur die Schalker mit ihren temporeichen Gegenstößen. "Ich habe manchmal gedacht, dass wir die Mannschaft mit einem Mann mehr sind", berichtete Angreifer Choupo-Moting. "Wir sind nicht gut mit der Überzahl umgegangen", gab Bayer-Trainer Schmidt zu und vermutete psychische Ursachen: "Da ist mehr und mehr Unsicherheit in unsere junge Mannschaft hineingekrochen."

Dass den Gästen am Ende ein einziger gelungener Moment genügte - Kießlings meisterlicher Kopfball -, das mussten sich die Schalker bei allem Stolz auf ihren couragierten Auftritt selbst zum Vorwurf machen. Ein knappes Dutzend Kontersituationen hatten sie inszeniert, immer wieder stießen Meyer und Goretzka, Konoplyanka und Choupo-Moting aussichtsreich in die Spitze, aber jedes Mal fehlte zum Coup das Finale mit Torschuss. Bernd Leno im Tor musste keinen Ball halten, was sich einerseits mit dem Fehlen gleich dreier Sturmspitzen (Huntelaar, Embolo, di Santo) erklären ließ, andererseits mit der mangelhaften Schlagkraft der übrig gebliebenen Angreifer. Obendrein war es Choupo-Moting, der Kießling den Platz zum Kopfball ließ, weil er auf Abseits spekulierte.

Die Mannschaft lässt wieder einen stringenten Stil erkennen

Das neue königsblaue Zeitalter mit Manager Heidel und Trainer Markus Weinzierl bringt somit ein zwiespältiges Zwischenergebnis hervor. In der Europa League hat Schalke ohne Mühe die K.o.-Runde erreicht, Weinzierl erwartet nun "stimmungsvolle Duelle" mit dem griechischen Vertreter PAOK Saloniki, "das Stadion von PAOK ist als Hexenkessel bekannt. Dort wollen wir bestehen". Die Mannschaft lässt jetzt wieder einen stringenten Stil erkennen, hat mannschaftlich und spielerisch Profil gewonnen - und versammelt auch wieder ein leidenschaftliches Publikum hinter sich. Aber es wird ein Kraftakt nötig sein, um den misslungenen Saisonstart in der Liga zu korrigieren, der dieser gelungenen Entwicklung vorausging. Und manchmal, wie am Sonntag gegen Leverkusen, reicht nicht mal der höchste Krafteinsatz.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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