Schalke 04 - Manchester City:Und Sané schockt Sané

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Der ehemalige Schalker Leroy Sané treibt mit Manchester City die Verlorener-Sohn-Geschichte auf die Spitze. Sein Freistoßtor ist die Pointe an einem verblüffenden Abend.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Viel fehlte nicht, und Leroy Sané hätte sich auch noch in den Kreis eingereiht, den die Schalker bildeten, um gemeinschaftlich die 2:3-Niederlage gegen Manchester City zu beklagen. Aber so weit gingen die Sentimentalitäten dann doch nicht, und so ließ sich der 22 Jahre alte Nationalspieler von Ralf Fährmann ein letztes Mal in den Arm nehmen, ehe er wieder den eigenen Weg fortsetzte, den er vor gut zweieinhalb Jahren mit seinem Wechsel nach England begonnen hatte. Bis er im Kabinengang verschwand, schüttelte er noch ein paar Hände von Mitarbeitern des Vereins, und auf der Haupttribüne erhoben sich die verbliebenen Fans zum Applaus. Leroy Sané hatte den Schalkern den Abend verdorben, aber man ist halt in Gelsenkirchen auch mächtig stolz auf ihn.

Im Wanderarbeitersystem des Profifußballs ist die Geschichte von der Heimkehr des verlorenen Sohnes ein ständig wiederkehrendes Motiv, doch das heißt nicht, dass die Geschichte nicht immer wieder aufs Neue erzählt werden könnte. Diesmal bildete sie die Pointe eines verblüffenden Abends, der zunächst alle Erwartungen an diese Begegnung zweier ungleicher Fußballteams widerlegte, um sie dann ein für allemal zu bestätigen. Die Geschichte begann damit, dass Pep Guardiola den verlorenen Sohn zunächst auf die Bank setzte, was mancher Schalker für eine an Unmenschlichkeit grenzende Bösartigkeit hielt. Dann schickte ihn der Trainer - unter dem Beifall des einheimischen Publikums - doch noch aufs Feld, und prompt fügte Sané den entscheidenden Geniestreich zur Wendung des Spiels hinzu.

Sanés meisterlicher Freistoß zum 2:2 in der 85. Minute holte die Schalker aus ihren Träumen von einem großen, sogar riesengroßen Sieg, den sie sich selbst nicht zugetraut hatten - vom Rest der Welt ganz zu schweigen. Am meisten schien dieser Schlag den Schützen selbst schockiert zu haben. Auch das hat man zwar mittlerweile mindestens einmal zu oft gesehen: Torschützen, die aus "Respekt" vor ihrem Ex-Klub den Jubel verweigern. Bei Sané, Schalker seit Kindesbeinen, wirkte die Betretenheit dennoch glaubhaft echt. Ob ihm die Schalker leidgetan hätten, wurde er später gefragt. "Auf jeden Fall", versicherte er, "jubeln konnte ich auch nicht richtig."

Entschuldigung für ein wunderschönes Tor: Leroy Sané, ausgebildet bei Schalke 04, zeigt Demut. (Foto: Jan Huebner/imago)

Der letzte Gefallen, den Sané seinem alten und mal wieder arg wehleidenden Klub tun konnte, war die Verabreichung von schmerzlindernden Komplimenten. "Schalke hat es uns sehr schwierig gemacht", sagte er, "sie haben ein richtig gutes Spiel gemacht." Auch von der Atmosphäre schwärmte er anhaltend und ausführlich, "ich muss zugeben, dass ich in der ersten Halbzeit, als die Fans die Mannschaft so richtig angepeitscht haben, wieder ein bisschen Gänsehaut bekommen habe".

Diese erste Halbzeit sah aus, als hätte sich eine dieser Romanzen aus dem DFB-Pokal in die eigentlich von aller Romantik befreite Champions League verirrt. Zu Beginn der Partie zitterten manchem Schalker inklusive Abwehrchef Salif Sané so sehr die Knie, dass man es fast bis hinauf in den Oberrang hören konnte, und als sich die Beklemmungen ein wenig gelöst hatten, machte der Torwart Ralf Fährmann einen Fehler, der so peinlich wie persönlich tragisch war. Fährmann, als Stammtorwart abgesetzt, nun aber in Sondermission im Einsatz, legte City das Führungstor durch Kun Agüero vor (18.), das Unheil schien den erwarteten Lauf zu nehmen. Aber es kam auf kuriose Weise anders: Im Zuge einer elend langwierigen, aber letztlich korrekt waltenden Videoberatung glichen die erstaunlich widerständigen Schalker durch Nabil Bentalebs Handelfmeter aus und ließen dank eines weiteren Elfmetertreffers des nervenstarken Bentaleb sogar die Führung folgen. Die erste Halbzeit war gewonnen, aber dass dieses 2:1 am Ende Bestand haben könnte, das glaubten wohl nur wenige. Zu eindeutig blieb Manchesters spielerische Überlegenheit.

Wenn City den Ball laufen lässt, dann sieht das oft aus wie das Resultat eines computergesteuerten Systems, und an diesem Punkt zeigte nun die inzwischen gut organisierte Schalker Gegenwehr Wirkung. Das Programm der Citizens funktionierten nicht mehr. Spieler wie Raheem Sterling und Kevin de Bruyne verstrickten sich in nutzlosen Einzelaktionen, Guardiola stand kopfschüttelnd an der Seitenlinie, seine Elf machte den Eindruck einer Mannschaft, die außer vom Gegner auch von sich selbst genervt war. Mit dem Platzverweis für Nicolas Otamendi (68.) kippte die Dramaturgie vollends, auf einmal stand Domenico Tedesco vor der Frage, das 2:1 zu halten oder mehr Angriff zu wagen. Der Trainer wählte eine moderat verstärkte Offensive, was - auch durch den Ausfall des starken Weston McKennie - an der Patt-Situation aber wenig änderte. Schalker Torschüsse waren nicht selten - sie kamen nicht vor.

Das Finale dieses außergewöhnlichen Abends wertete Tedesco als "Sinnbild der Saison", als Ergebnis einer unheilvollen Phase, die nicht enden will. Man könnte aber auch sagen: typisch Schalke. Der Hauptgewinn, den man nach leidenschaftlicher Plackerei schon in den Händen hielt, zerrann doch noch zwischen den Fingern. Aus einem tendenziell gefahrlosen Ballbesitz an der Mittellinie entstand der Gegenangriff samt Freistoßpfiff vor Sanés 2:2, und als die Partie aufs immer noch passable Remis hinauszulaufen schien, führte ein schematischer Spielzug aus einem Abstoß von Torwart Ederson durch den Stellungsfehler des unsicheren Linksverteidigers Bastian Oczipka zum 2:3 durch Sterling. Wieder sah Fährmann nicht glücklich aus. Selbst schuld, dann tut's besonders weh.

Vor der Partie lautete das bescheidene Ziel, nicht unterzugehen gegen Peps Überirdische, das hatte man auf respektable Art erreicht, aber froh war trotzdem keiner mehr. "Das ist wieder ein Schlag ins Gesicht", stellte Daniel Caligiuri fest.

© SZ vom 22.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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