Schalke - Mainz (17.30 Uhr):Jetzt schon ein Übergangsjahr

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Trotz der Rückschläge zu Saisonbeginn sieht Trainer André Breitenreiter Schalke auf einem guten Weg. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Trotz des Verkaufs von Leistungsträger Julian Draxler und trotz der ersten sportlichen Rückschläge sieht Trainer Breitenreiter Schalke 04 auf dem richtigen Kurs - und ruft zur Gelassenheit auf.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Von dem vielen Geld, das ihm der VfB Stuttgart für seine Rettungstaten zahlte, hat Huub Stevens eine sehr gesunde Gesichtsfarbe bekommen. Auf der Insel Mallorca hat er sich mit seinen Nichtabstiegsprämien ein Haus bauen lassen, in dem er nun offensichtlich einen guten Teil des Sommers verbracht hat - unter den Gästen, die sich am Donnerstag im Gelsenkirchener Musiktheater versammelten, konnte es in Sachen Sonnenbräune allenfalls seine Frau Toos mit ihm aufnehmen. Das Ehepaar Stevens gehörte zu den Ehrengästen der Uraufführung der Musikrevue, die der FC Schalke 04 zum 111. Geburtstag hat inszenieren lassen. Viele Gäste aus der Vereinsgeschichte waren zusammengekommen, von Ebbe Sand bis Gerald Asamoah und Rudi Assauer, und am Ende des bunten Musicals kam die Zugabe nicht von der Bühne, sondern aus dem Publikum, als alle gemeinsam "Blau und Weiß/wie lieb ich Dich" sangen. Auch Benedikt Höwedes, Klaas-Jan Huntelaar und Ralf Fährmann stimmten in den frommen Chor ein. Julian Draxler hingegen nicht. Sein Platz, der ihm als Mitglied des Mannschaftsrates reserviert worden war, blieb unbesetzt, seine aktuellen Farben sind jetzt grün und weiß statt blau und weiß.

Breitenreiter relativiert die Kritik, die womöglich Heldt galt

Draxler gehört seit zwei Wochen dem VfL Wolfsburg an, in Gelsenkirchen ist er aber noch sehr präsent. Man wird auch am Sonntag wieder über ihn reden, wenn Schalke den FSV Mainz 05 empfängt, denn er hat nicht nur auf der Gästeliste im Musiktheater, sondern auch auf André Breitenreiters Besetzungsliste eine Lücke hinterlassen. Zwar hat Schalke für den Verkauf des Nationalspielers sogar noch mehr Geld bekommen als Stevens für die Rettung des VfB Stuttgart, einen Ersatz hat der Verein dem Trainer aber nicht besorgt. Die 36 Millionen Euro aus Wolfsburg liegen erst mal auf dem Konto bzw. fließen in die Schuldentilgung. Als Breitenreiter in der vorigen Woche die Schwächung seiner Mannschaft und den Verlust seines "besten Spielers" beklagte, wurde ihm das prompt als Kritik an der Politik des Managers Horst Heldt ausgelegt. So persönlich will es Breitenreiter aber nicht gemeint haben, wie er jetzt erklärte. "Wir haben Qualität verloren, das ist eine Tatsache. Aber wir verpflichten hier keine Spieler, von denen wir nicht restlos überzeugt sind, nur um den Kader aufzufüllen. Deswegen haben wir keinen mehr geholt", sagte er. Breitenreiters Wunschspieler waren nicht zu bekommen - also wurden die Draxler-Millionen nicht ausgegeben.

Heldt hatte versucht, in Stuttgart den schnellen Angreifer Filip Kostic abzuwerben, das ließ der VfB aber nicht zu. Breitenreiter hätte Kostic gern in seinem Team gesehen, der Trainer hat offenkundig recht klare Vorstellungen von seinen Wunschspielern, er habe "dem Management Empfehlungen gegeben", erläuterte er, "den einen oder anderen, den wir gewollt haben, den haben wir halt nicht bekommen". Dazu zählt zum Beispiel der Nationalspieler Sebastian Rudy, den die TSG Hoffenheim aber ebenfalls nicht hergeben wollte.

Schalke ist nach dem Verkauf Draxlers nicht von seinen Saisonzielen abgerückt, was nicht schwer gefallen ist, da es ohnehin keine konkreten Vorgaben gab. Weder hat Manager Heldt den Gewinn des achten Meistertitels noch das Erreichen der Champions League oder wenigstens zwei Kantersiege gegen Borussia Dortmund zum Ziel erhoben. Stattdessen wurden ideelle Zwecke in den Mittelpunkt gestellt. An diese Maßgabe hat Breitenreiter jetzt aus gegebenem Anlass wieder erinnert. "Das sollten wir auch mal ganz klar ansprechen", findet er: "Was hatten wir uns denn vorgenommen? Die Fans mitnehmen, Fußball spielen, der begeistert und attraktiv ist. Da sind wir voll im Soll. Der Ansatz für das, was wir vorhaben, der ist super!" So viel ungebrochene Begeisterung für sein Aufbauprojekt ist durchaus verblüffend - zuletzt entstand nach dem 0:3 in Wolfsburg und dem Verkauf von Draxler der Eindruck, die allgemeine Euphorie, die zum Saisonstart herrschte, sei längst verflogen. "Kleine Rückschläge sind normal", meint jedoch Breitenreiter, "wir sind auf dem richtigen Weg."

Meyer, Sané & Co.: Wer tritt Draxlers Erbe an?

Erstmals hat der äußerst selbstbewusst auftretende Trainer nun aber auch erwähnt, dass die Saison in den Bilanzen als "Übergangsjahr" vermerkt werden könnte. Vordergründig klingt das ein wenig nach taktischem Rückzug, Breitenreiter kennt aber plausible Argumente und bekommt dabei prominente Unterstützung - und zwar von Julian Draxler. Dieser hatte seinen Abschied aus Schalke vor allem mit dem nicht mehr zu bewältigenden Erfolgsdruck begründet und seinen Verein gemahnt, pfleglich mit den vielen jungen Talenten im Profikader umzugehen. Während Horst Heldt durchaus ärgerlich auf diese Aussagen reagierte ("Er hat selbst hohe Ansprüche und Forderungen gestellt - da erwartet der Verein natürlich eine Gegenleistung"), nahm Breitenreiter den pädagogischen Aspekt der Rede gern auf: "Wir haben viele junge Spieler, die ein großes Talent besitzen. Die Jungs können es abrufen, wenn wir sie nicht verrückt machen - und wenn wir sie nicht größer machen, als sie schon sind", sagte er.

Zwangsläufig werden vor allem die Nachwuchsstars Draxlers Erbe antreten müssen, Spieler wie Max Meyer und Leroy Sané, beide 19 Jahre alt, oder Leon Goretzka, 21, den Horst Hrubesch soeben zum Kapitän der U-21-Nationalelf ernannt hat. Breitenreiter verwahrt sich jedoch gegen die üblichen vergleichenden Betrachtungen: "Wir können nicht sagen: Der Leroy Sané oder der Max Meyer - das wird jetzt der neue Julian Draxler. Das geht nicht. Diese Jungs können ganz weit nach vorn schießen, aber sie sind auch sensibel." Der Jahrhunderttrainer Huub Stevens hätte es nicht besser sagen können.

© SZ vom 13.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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