Schalke 04 - Berlin (18 Uhr):Geschmolzener Butterberg

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Der vielleicht beste Fußballer im Kader und sein Trainer: Domenico Tedesco (links) und Nabil Bentaleb im Zwiegespräch. (Foto: Max Maiwald/imago/DeFodi)

Dem FC Schalke 04 gehen mit einem Mal die Innenverteidiger aus. Ein Grund mehr, gegen die notorisch sperrige Berliner Hertha "an der Offensivkultur" zu arbeiten.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Erschreckt und erfreut zugleich hörten die Freunde des FC Schalke 04 während der vergangenen Woche, dass ihr Verein kurz vor dem Schließen des Transfermarktes Interesse an dem Spieler Pepe zeige. Dass neben dem alten Riesen Naldo, 35, und dem nicht weniger riesigen Salif Sané, 27, auch noch der berüchtigte Recke Pepe, 35, in die Schalker Abwehr eingereiht werden könnte, das dürfte manchem Anhänger faszinierend vorgekommen sein. Würde sich überhaupt noch ein gegnerischer Angreifer in die Schalker Hälfte trauen, wenn dort solche Verteidiger warten? Andererseits ist der Portugiese Pepe, einst feste Größe bei Real Madrid und zuletzt im Dienst von Besiktas Istanbul, auch als unberechenbarer Wüterich in Erinnerung, dessen Spielweise bestimmt eine Herausforderung für die tendenziell spießige deutsche Schiedsrichterzunft wäre.

Dann kam heraus, dass die Meldung ohnehin eine doppelte Ente war. Es ging gar nicht um den ergrauten Verteidiger Pepe, sondern um einen jungen ivorischen Außenstürmer gleichen Namens, der bei OSC Lille spielt und obendrein für Schalke viel zu teuer wäre. Statt sich im letzten Moment in Transferverhandlungen zu stürzen, unternahm Manager Christian Heidel am Freitag eine sinnvollere Anstrengung. Er begleitete Verteidiger Matija Nastasic nach Frankfurt zur Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht und kehrte mit guten Nachrichten zurück in die Zentrale. Nastasic, am vorigen Wochenende in Wolfsburg unter fragwürdigen Umständen vom Platz gestellt, braucht nicht zwei Spiele auszusetzen, wie der DFB zunächst entschieden hatte, sondern bloß eines. Einspruch angenommen.

Höwedes, Insua, Kehrer, Stambouli, Nastasic - alle weg oder verhindert

Am Sonntag aber muss Domenico Tedesco noch improvisieren, wenn er seine Abwehrreihe für das Spiel gegen Hertha BSC formiert. Bis vor ein paar Wochen hatte man auf Schalke gemeint, man säße auf einer Art Butterberg von Innenverteidigern, dann kamen sie einer nach dem anderen abhanden: Pablo Insua ging für ein Leihjahr nach Spanien, Benedikt Höwedes ins Exil nach Moskau, Thilo Kehrer zur Gründung einer Großkarriere nach Paris, Benjamin Stambouli ins Krankenlager. Und da jetzt auch Nastasic seine Sperre büßen muss, ist der Bestand aufs Minimum geschrumpft. Trainer Tedesco nimmt es gelassen: Notfalls, sagte er, könnten auch Spieler wie Weston McKennie oder Abdul Baba in die zentrale Deckung einrücken.

Dass Tedesco trotz des Verteidigerschwunds und trotz der Bürde der Startniederlage in Wolfsburg (1:2) so entspannt bleibt, das hat auch mit dem Coup zu tun, den Schalke zu Beginn der Woche durch die Anwerbung von Sebastian Rudy, 28, gelandet hat. Mit diesem Transfer hat Heidel seinem Trainer einen sehnsüchtigen Wunsch erfüllt. Rudy soll der produktive Mittelpunkt im Schalker Spiel werden, "er hat eine beneidenswerte Ruhe am Ball und befreit sich sehr gut unter Druck", hob Tedesco jetzt hervor. Dass er den Neuling außerdem als "feinen Kerl" und "intelligenten Jungen" klassifizierte, das war nicht als Widmung für dessen Poesiealbum gedacht, sondern gehört ebenfalls zur Stellenbeschreibung des (vorübergehend außer Dienst genommenen) Nationalspielers. Rudy soll, so hofft Tedesco, durch seine verbindende Art als Medium wirken und dadurch die Mitspieler fördern. Besonders Nabil Bentaleb, 23, soll profitieren.

Zugang Rudy soll das Spiel ordnen - und den launischen Bentaleb auf Spur bringen

Wenn Rudy käme, dann werde Bentaleb wohl gehen, hieß es überall, als Schalkes Verhandlungen mit den Bayern bekannt wurden. Aber der Verkauf des in Nord-Frankreich geborenen algerischen Nationalspielers stand nicht zur Debatte. Tedesco will dem begnadeten Mittelfeldspieler endlich zu der Geltung verhelfen, die seinen Fähigkeiten entspricht. "Nabil Bentaleb ist mit Abstand der beste Fußballer im Kader - Sie werden auf Schalke niemanden finden, der etwas anderes sagt", versichert ein Augenzeuge, der als Mitarbeiter des Vereins aus ständiger Anschauung berichten kann. Das Problem: Bentaleb pflegt bisher lediglich Kostproben seiner Kunst vorzuführen.

Schon nach seinem Einstandsjahr in der Saison 16/17 hatte ihn Heidel als Spieler zwischen "Genie und Wahnsinn" beschrieben. Im zweiten Jahr, nachdem Schalke für ihn 20 Millionen Euro Ablöse an Tottenham Hotspur überwiesen hatte, überzeugte Bentaleb ebenfalls nur partiell. Zwischenzeitlich setzte ihn Tedesco auf die Tribüne, weil er mangels Stammplatz unverträglich geworden war. Diese pädagogische Maßnahme zeigte Wirkung: Im März und April stieg Bentaleb wieder in die erste Elf auf.

Wie ein grantiger Spaziergänger

In Wolfsburg allerdings saß er jetzt auf der Ersatzbank, das Verhältnis zwischen Trainer und Spieler scheint immer noch kritisch zu sein: "Nabil hat viele Stärken", sagt Tedesco. Aber er sagt auch: "Nabil weiß, was wir von ihm wollen." Die taktische Zuverlässigkeit, die der Coach wünscht, weiß Bentaleb nicht immer zu gewähren. Hinzu kommt seine Ausstrahlung im Fall des Misserfolgs: Keiner trägt seine schlechte Laune so demonstrativ spazieren wie Bentaleb. Er selbst führt das auf gesunden Ehrgeiz zurück: Selbst Niederlagen im Tischkicker gegen seinen Bruder könne er nur schwer zu verkraften. Was der 23-Jährige als Ausdruck von Gewinnermentalität deutet, betrachten seine Vorgesetzten als die gefährliche Neigung, über die persönlichen Empfindungen das Teaminteresse aus den Augen zu verlieren.

Man werde "an der Offensivstruktur" arbeiten müssen, hat Tedesco im Hinblick auf die Begegnung mit Pal Dardais notorisch sperriger Hertha erklärt. Dem Neuling Rudy fällt dabei als Organisator eine Schlüsselrolle zu, während Bentaleb die Gelegenheit bekommt, aus der defensiven Mittelfeldzentrale ein Stück nach vorn zu rücken und sein technisches Vermögen dem Angriff zugutekommen zu lassen. Steilpässe gehören zu seinen Spezialitäten, und Schalkes Angreifer Mark Uth und Guido Burgstaller sind dringend darauf angewiesen, besser beliefert zu werden als es in Wolfsburg der Fall war. Für Bentaleb könnte sich so die Gelegenheit ergeben, in seinem dritten Jahr auf Schalke die Skeptiker zu überzeugen, die den Glauben an seinen Durchbruch allmählich verloren haben.

© SZ vom 02.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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