Schalke 04:In die Galerie gegrätscht

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Schalkes Kapitän Benedikt Höwedes. (Foto: Sascha Steinbach/Getty Images)

Kapitän Benedikt Höwedes hat sich als "echter Schalker" profiliert. Jahr für Jahr ist er ein Stück sesshafter geworden, bis er herausgefunden hat, dass er einfach für immer bei dem Verein bleiben möchte.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Seit Manuel Neuer aus Gelsenkirchen nach München gezogen ist, sind mehr als fünf Jahre vergangen, doch immer noch ist sein Bild auf Schalke gegenwärtig. Zumindest dann, wenn man in der Umkleidekabine den Spind von Benedikt Höwedes öffnet. Darin hängt ein Foto von Neuer, das der Torwart seinem Freund, Mitspieler und Nachfolger damals überlassen hatte: "Solange du etwas von mir annimmst, so lange soll das Foto hängen bleiben", hat er zu Höwedes gesagt, "wenn du sauer bist auf mich - dann reiß es ab."

Manche Dinge haben auch im schnelllebigen, vergänglichen Fußballgeschäft Bestand. Immer noch zählt Höwedes zu Neuers Mitspielern (im Nationalteam), und immer noch fungiert der Verteidiger als Nachfolger des ehemaligen Schalker Torhüters. Als Neuer seinen Heimatverein Schalke verließ, hat er Höwedes nicht nur ein Foto, sondern auch die Kapitänsschleife vermacht. Der damalige Manager Horst Heldt erklärte, nun solle Höwedes das Gesicht von Mannschaft und Verein werden, aber den Schmerz und Ärger der Fans über den Verlust des ureingeborenen Idols Neuer hat er damit nicht beruhigen können. Weniger, weil Neuer bereits als Fünfjähriger mit dem Fußball auf Schalke anfing, während Höwedes erst 13-jährig in der C-Jugend hinzustieß. Auch nicht deshalb, weil der eine in seinem Fach eine weltweit anerkannte Ausnahmegröße war, während der andere sich selbst als technisch übersichtlich bemittelten "Arbeiter" bezeichnete. Sondern deshalb, weil Manuel Neuer sich als echter Schalker profiliert hatte, während Benedikt Höwedes eher wie ein echter Profi in Erscheinung trat.

Wahrscheinlich hat Höwedes, 28, damals selbst nicht damit gerechnet, dass er eines Tages in der Galerie der echten Schalker einen vorderen Platz einnehmen und zum Stolz von Gelsenkirchen ernannt würde. Auch er hatte eigentlich Ambitionen, in die weite Fußballwelt zu gehen. Stattdessen ist er Jahr für Jahr ein Stück sesshafter geworden, bis er herausgefunden hat, dass er einfach für immer bleiben möchte: "Ich bereue nichts", sagt er jetzt, "das war wirklich eine gute Entscheidung. Kapitän auf Schalke zu sein ist eine Riesensache, und wie hier Fußball gelebt wird, entspricht genau meiner Art." Die wiederum vom Publikum nie so geschätzt wurde wie heute.

Das Klischee besagt, dass die Schalker Anhänger ein filigranes Solo oder einen verwegenen Fallrückzieher - es sei denn, er stammt von Klaus Fischer - weniger laut bejubeln als eine Grätsche, die den Gegenspieler abräumt. Die Wahrheit ist, dass dieses Klischee der Wahrheit entspricht. Höwedes' Kunst zu grätschen ist eine von mehreren Erklärungen für seine gestiegene Beliebtheit. Der Verteidiger ist allzeit bereit, seine fußballerischen Grenzen einzuräumen, aber auf einem besteht er: "Grätschen kann ich. Das gehört zu meinen guten Eigenschaften." Seine berühmte Grätsche gegen den Franzosen Giroud im EM-Halbfinale hat er neulich auf Schalke originalgetreu wiederholt - kein Tor des Jahres hätte die Zuschauer glücklicher machen können.

Für die Schalker Visitenkarte haben Marketingleute das Synonym "Kumpel-und-Malocher-Klub" erfunden. Dass sie dafür noch niemand wegen Heuchelei und Verlogenheit verklagt hat, das mag auch am zupackenden, mitreißenden Spielstil von Höwedes liegen. Aber während es früher öfter zu viel Maloche und zu wenig Fußball war, so hat er inzwischen gelernt, die spielerischen Elemente zu entwickeln. Höwedes verteilt nicht mehr nur Rück- und Querpässe, seine Bälle finden jetzt auch Mitspieler jenseits der Mittellinie. Seine Nationalelferfahrungen als Links- wie Rechtsverteidiger hat er gewinnbringend in den Schalker Alltag überführt. In der Dreierkette, die Trainer Markus Weinzierl installiert hat, profitiert er von den Fortbildungen bei Jogi Löw. So wie er über die DFB-Elf spricht, klingt es fast, als sei sie für ihn ein Ort der seelischen Erholung gegenüber Schalke ("Es war immer schön, auch noch auf einem anderen Niveau zu spielen").

Auch der Gewinn der WM 2014 hat dazu beigetragen, dass Höwedes auf Schalke zur Institution wurde. Der Titel hat dem Kapitän vor den Kollegen Ansehen und Autorität verschafft. Und er hat ihn um Druck erleichtert: "Der Antrieb ist nicht kleiner geworden", sagt er, "aber es ist gut zu wissen: Ich habe das Allergrößte gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Denn dass ich mit Schalke nicht ständig Titel feiern kann, liegt auf der Hand."

Doch die Sehnsucht nach Titeln im Verein gibt es. Kapitän einer neuen Generation von Schalker "Eurofightern" zu sein, das wäre zum Beispiel was. Das 2:0 gegen Nizza in der Europa League war am Donnerstag immerhin der fünfte Sieg im fünften Gruppenspiel.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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