Schalke 04 erreicht das Viertelfinale:Der Wandel des Gelegenheitskünstlers

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Max Meyer hat sich zur prägenden Figur im Schalker Mittelfeld entwickelt. Mit einem Kopfball besiegelt der kleinste Mann auf dem Platz gegen Köln das Weiterkommen im Pokal.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Es sei "fast zum Lachen", sagte Timo Horn, aber der Torwart des 1. FC Köln sah nicht so aus, als fände er in seinem Leben noch irgendetwas komisch. Horn schaute in die Runde wie jemand, der an einem zynischen Schicksal verzweifelt. Am Dienstagabend in Gelsenkirchen hatte es den nächsten gemeinen Scherz auf seine Kosten gegeben: Der 1. FC Köln, für Timo Horn sowohl Arbeitgeber als auch Heimat- und Herzensklub, verlor sein Pokalspiel beim FC Schalke 0:1, und dass die Niederlage durch einen ins Netz verirrten Kopfball des kleinsten Spielers auf dem Feld zustande kam, das gab dem Abend aus der Sicht des Torhüters eine besonders höhnische Note: Diese Szene, seufzte er, sei "symptomatisch für unsere Saison und auch für die der Schalker".

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Zwar hat Horn nicht bestritten, dass der Sieg der Hausherren folgerichtig und angemessen war, "ein, zwei Halbchancen" für sein Team seien "natürlich zu wenig", sagte er, doch seine Verbitterung war verständlich, denn das ist ja wirklich ein Merkmal dieses für beide Klubs bewegenden Halbjahres: Den Kölnern bleibt kein Missgeschick erspart, die Schalker machen aus Missgeschicken den Siegtreffer. Allerdings irrte der FC-Schlussmann mit dem wilden roten Trapper-Bart, als er behauptete, dass außer dem aufs Geratewohl rückwärts verlängerten Kopfball auch der vorangegangene Eckstoß verunglückt sei. Tatsächlich war 1,73-Mann Meyer das Ziel des Zuspiels gewesen, was ein schlauer Kniff sein kann, wenn der Gegner sich anderswo mit drei Mann mal wieder um das Kopfballungeheuer Naldo schart. Meyer kam frei an den Ball, der achtlose FC-Kapitän Matthias Lehmann ließ ihm reichlich Platz - so dürfte man sich das gedacht haben im Schalker Generalstab.

Kleinster Spieler ganz groß: Max Meyer (links neben Bastian Oczipka) erzielte das entscheidende Tor für Schalke 04 per Kopfball. (Foto: Jan Huebner/imago)

Meyer war an diesem Abend in jeder Hinsicht der richtige Mann im Mittelpunkt. Nach fünf Jahren Zugehörigkeit zum Schalker Profikader und einer Karriere, die ihn zum Nationalspieler, Olympiamedaillengewinner und U21-Europameister gemacht hat, ist der 22-Jährige die Entdeckung des Jahres in Gelsenkirchen. Domenico Tedesco hat dem hochbegabten, aber undefinierten Mitspieler Meyer ein scharfes Profil gegeben, indem er ihn vor drei Monaten aus dem offensiven ins defensive Mittelfeld versetzt hat. Wie dem Fotografen, der das Supermodell beim Kellnern im Café entdeckt, gelang dem Trainer ein Coup, der alle überraschte.

"Auf die Idee, mich zum Sechser zu machen, war zuvor noch niemand gekommen", erzählte Meyer, der in Gelsenkirchen schon ein halbes Dutzend Trainer kennenlernen durfte. Auch für ihn selbst sei die neue Position "Neuland" gewesen. Doch im vermeintlichen Hinterland des Spielfelds wurde er schnell heimisch, und so hat sich der ballverliebte Gelegenheitskünstler in eine spielbestimmende Figur mit verblüffend autoritärer Ausstrahlung verwandelt. Meyer ist naturgemäß keine Kopfballinstanz, ansonsten aber hat er viele gute Eigenschaften zu bieten: Er antizipiert die Züge des Gegners, zeigt gutes Stellungsspiel, besteht als Zweikämpfer und Abräumer, und er sichert dank seiner starken Technik Ballbesitz und Aufbauspiel. Als er sich anfangs in der neuen Rolle bewährte, hieß es noch: Abwarten, bis sich die Gegner auf den kleinen Mann eingestellt haben. Jetzt ist Schalke ohne die Nummer Sechs Max Meyer kaum noch vorstellbar. Für den vormals chronischen Fall eines Laune-Spielers sind Bestnoten in der Fachpresse Normalität geworden, mit dem defensiven Organisationschef Meyer hat Schalke noch kein Spiel verloren, ein Dutzend sind es seit Dienstag schon.

Dennoch machen sich die Schalker große Sorgen um ihn, denn sie haben Angst, dass das neue Glück schnell wieder vorbei sein könnte. Meyers Vertrag endet im kommenden Sommer, trotz der Sympathien für seinen Förderer ("Tedesco ist für mich ein Glücksfall geworden") zeigt er wenig Neigung zum Schwur auf den Klub, dem er schon als 15-Jähriger beigetreten ist. Die Chancen aufs Bleiben stünden "auf jeden Fall besser als vor einem Jahr", hat er erklärt, was aber alles andere als ein Versprechen ist. Vor einem Jahr hatte er das Weite suchen wollen, als ihn Tedescos Vorgänger Markus Weinzierl öffentlich kritisierte. Manager Christian Heidel kennt die Gefahren, die das Fußballgeschäft im Jahr 2017 bietet. Ein ablösefreier Spieler mit Meyers Qualitäten kann beim Klubwechsel mit einem Handgeld von mindestens zehn Millionen Euro rechnen - und mit einem Gehalt in ähnlichen Dimensionen.

2011 in Köln verschmäht, 2018 FC-Hoffnungsträger: Simon Terodde. (Foto: Deniz Calagan/dpa)

In Köln hat das Fußballgeschäft andere Perspektiven. Am Tag nach dem Pokal-Aus meldete der Klub die sofortige Übernahme des Angreifers Simon Terodde, der VfB Stuttgart erhält dafür angeblich rund zwei Millionen Euro Ablöse. Beim VfB hatte sich Terodde als Torjäger verdient gemacht, allerdings in der vorigen Zweitligasaison. Seine Heimkehr nach Köln zeigt an, dass die Planungen für die zweite Liga begonnen haben. Dazu passt auch, dass der FC für die Rückrunde einen neuen Trainer verpflichtet hat: Stefan Ruthenbeck, bisher im Rang des Interimstrainers tätig, erhält einen Vertrag bis zum Saisonende. "Wir wären froh, wenn wir mit ihm weiterarbeiten könnten", hatte der leidgeprüfte Timo Horn auf Schalke gesagt. Wenigstens dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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