Schalke 04:Das letzte Knurren

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Abschied mit Applaus: Schalke-Nothelfer Huub Stevens. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Die Rettungsmission des Trainers Huub Stevens ist beendet - nun soll ein Kompetenzteam Schalke auf Kurs bringen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Was Christian Heidel am Wochenende unternimmt, ist längst wieder seine Privatsache. Es ist daher nicht bekannt, ob er am letzten Ligaspieltag eine gute oder weniger gute Zeit hatte. Fest steht zumindest, dass er gut daran getan hat, sie nicht in der Nähe von Huub Stevens verbracht zu haben. Stevens hat zwar nicht ausdrücklich gesagt, dass er Heidel für eine Art Meuchelmörder hält und dass er deswegen verdammt sauer auf ihn ist, aber er hat es jeden ausdrücklich wissen lassen.

In Gelsenkirchen sei "ein junger Trainer verbrannt worden", hat der nicht mehr so junge Trainer Stevens nach dem 0:0 zwischen Schalke 04 und dem VfB Stuttgart aufgebracht in die Runde gerufen. Gemeint war selbstredend der von ihm sehr geschätzte Vorgänger Domenico Tedesco, und klar war auch, wen er für den Brandstifter hielt: den Mann, dem er vorwirft, auf Schalke rauchende Trümmer hinterlassen zu haben, als er sich im Februar höchst plötzlich aus dem Dienst verabschiedete. "Hier ist einiges kaputtgegangen, hier muss von oben nach unten wieder Struktur rein", befand Stevens in Richtung des abgetretenen Sportchefs Heidel.

Eigentlich war der vergangene Samstag für den 65 Jahre alten Fußballlehrer ja ein Feiertag. Auf den Ruhestand, in den er nach vollbrachter Rettungsmission jetzt endlich eintreten darf, freute sich Stevens schon, seitdem er den Job übernommen hatte, und die aufrichtige Dankbarkeit seiner Schalker Freunde hat dem Niederländer auch sehr gut gefallen. Tränen bahnten sich an, als er den Applaus der Leute empfing, der passionierte Knurrer hat sich der sentimentalen Momente nicht schämen wollen: "Wenn du da keine feuchten Augen hast, wie könnte ich dann von Liebe reden?", teilte er bewegt mit.

Aber dann musste er sich doch wieder aufregen: über das Spiel seines Teams, das er "unglaublich" fand - was nicht als Kompliment gemeint war -, und über den Manager Heidel, der nicht nur für die Zusammenstellung dieses schwierigen Kaders gesorgt, sondern den zunehmend überforderten Tedesco, 33, auch damit alleingelassen hatte. Jetzt sei zum Glück zur Ordnung der Verhältnisse "Jochen" zur Stelle - der neue Sportvorstand Jochen Schneider -, "aber das wird dauern", meint Stevens.

Der Trainer wird jetzt in die ewige Sommerpause gehen, und er möchte sich Zeit lassen, bis er in Gelsenkirchen wieder die Amtsgeschäfte als Aufsichtsrat aufnimmt. Sein Plan für die nächsten Wochen: "Abschalten. Ich möchte meine Ruhe haben und keine Tagungen mit dem Aufsichtsrat machen." Über die Besetzung der vakanten Managerjobs sollen die anderen entscheiden. Als Technischen Direktor (alternative Berufsbezeichnung: Kaderplaner) hat Schneider bereits den einst in Leverkusen und beim FC Bayern in dieser Rolle erprobten Transferspezialisten Michael Reschke, 61, aktiviert, nach dem geeigneten Sportdirektor wird offenbar noch gefahndet.

Fest steht: Der Job, von dem Heidel glaubte, ihn allein bewältigen zu können, wird künftig von drei ranghohen Führungskräften betreut. Schalke stellt ein Kompetenzteam zusammen. Dieses wird zunächst damit beschäftigt sein, den Kader zu renovieren, unter anderem durch Verkäufe jener teuren Spieler, die Heidel herbeischaffte und Stevens partout nicht brauchen konnte: Für Nabil Bentaleb, Hamza Mendyl, Amine Harit und Jewgen Konopljanka hat Schalke mehr als 50 Millionen Euro bezahlt. Trotz Hyperinflation auf dem Markt sind ähnliche Summen beim Weiterverkauf nicht zu erwarten.

Es wäre daher beim Bundesliga-Kehraus gar nicht nötig gewesen, die Dringlichkeit für umfassende Neubauten ein weiteres Mal zu unterstreichen - die Mannschaft tat es trotzdem. Seit dem 2:1 gegen Wolfsburg am 18. Spieltag hat Schalke kein Heimspiel in der Liga gewonnen, auch beim letzten Saisonauftritt wusste man die unselige Kontinuität zu wahren. Dieses 0:0 war keineswegs eines der besseren Sorte.

"Huub ist die alte, harte Schule - das war aber auch nötig hier."

Dennoch gab es Ovationen im Stadion: für Stevens, für seine Mitstreiter Mike Büskens und Gerald Asamoah - und für Sascha Riether, der seine Karriere beendete. Der Verteidiger wurde in der Arena bejubelt, als hätte er für Schalke mindestens 250 große Schlachten geschlagen, dabei waren es binnen vier Jahren 30 (Teil-)Einsätze. Die königsblauen Fans hatten offenbar keine Lust mehr, Spieler auszupfeifen, zu oft hatten sie das tun müssen im Laufe dieser enttäuschenden Saison.

Benjamin Stambouli, dem die Anführer der Ultras vor ein paar Monaten demonstrativ die Kapitänsbinde entzogen hatten, worüber er prompt in Tränen ausbrach, erhielt nun von den fundamentalistischen Kritikern ein Geschenk: ein Souvenir im Bilderrahmen, das er stolz auf der Ehrenrunde durchs Stadion mit sich führte. Dass der stets hingebungsvolle Stambouli, der längst ein Herzensschalker geworden ist, die falsche Adresse für Demütigung war, ist das eine. Dass diese Mannschaft eine Ehrenrunde einlegte und dafür reichlich Beifall erhielt, kam manchem Betrachter trotzdem skurril vor. Er habe vorher schon viel über Schalker Emotionen gehört, berichtete der im Winter aus Wolfsburg geliehene und nun dorthin zurückkehrende Verteidiger Jeffrey Bruma. Jetzt hat er sie mitten in Chaos und Abstiegskampf selbst erlebt - und fand's großartig ("Es war sehr geil hier, muss ich sagen"). Bruma würde gern bleiben, aber Schneider hat ihm abgesagt.

Auch Bruma würdigte das Werk seines Landsmanns Stevens. Er hat nicht von den hochmodernen Trainingsmethoden geschwärmt, sondern vom Nutzen der Basisarbeit: "Huub ist Huub", sagte Bruma, "die alte, harte Schule - war aber auch nötig hier." Bezeichnend, was Stambouli aus der Erfahrung mit Stevens mitnimmt: "Disziplin ist wichtig."

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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