Schach-Weltmeister gegen Computer:0,3 Bauern reichen nicht

Lesezeit: 3 min

Schachcomputer Deep Fritz rettet sich in der ersten Partie gegen den Weltmeister in ein Remis.

Martin Breutigam

Fritz' Väter standen beisammen und staunten, was Schachweltmeister Wladimir Kramnik ihrem Geschöpf antun wollte in den vorangegangenen viereinhalb Stunden. ,,Mann, das ist ja beängstigend, wie weit die das alles vorbereitet hatten'', sagte der Programmierer Matthias Wüllenweber nach der ersten Partie zwischen dem Computer Deep Fritz und dem Weltmeister in der Bonner Bundeskunsthalle. Der über acht Millionen Züge pro Sekunde berechnende Computer hatte sich nach 47 Zügen in ein Remis retten können.

Wüllenwebers Kollege Mathias Feist beruhigte: ,,Fritz sah sich höchstens mal mit 0,3 Bauerneinheiten im Nachteil.'' Das sei nicht schlimm. Normalerweise bewegt Feist beim Landesligisten MTV Tostedt die Holzfiguren; in Bonn führt er die Züge des Computers aus und sitzt dem Weltmeister gegenüber.

Der lehnte sich manchmal in seinem Stuhl mit Kopfstütze so weit zurück, als warte er auf den Zahnarzt. Tatsächlich litt eher die andere Seite, während Kramnik sinnierte. ,,Ich war nah dran, aber leider war es nie genug, um zu gewinnen'', sagte Kramnik, ,,ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was ich hätte besser machen sollen.'' Der 31-jährige Russe sagte, er habe solides, positionelles Schach spielen wollen und eine ungewöhnliche Variante der katalanischen Eröffnung gewählt. Schon bald verbrauchte Deep Fritz eine halbe Stunde Rechenzeit; Kramnik hingegen spielte die ersten 20Züge flott, offenbar hatte er alles vorbereitet. In der zweiten Partie am Montag wird er Schwarz führen.

Kramnik - Deep Fritz (1. Partie)

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 d5 4.Lg2 (In der katalanischen Eröffnung bekommt Schwarz mitunter Probleme, seinen Läufer c8 zu entwickeln, weil der Läufer g2 latent gegen den Damenflügel piekst. Andererseits hat der Läufer von g2 aus den Bauern c4 nicht mehr im Blick, was den folgenden Zug erklärt.) 4...dxc4 5.Da4+ Sbd7 6.Dxc4 a6 7.Dd3

(Schon dieser Zug stand nicht mehr in Fritz' Eröffnungsbuch. Kramniks Idee ist klar: Er möchte einerseits den ihm bestens bekannten katalanischen Stellungstyp spielen und zugleich mit einer kleinen Abweichung verhindern, dass Fritz auf die vielen gespeicherten Varianten zurückgreift, die nach dem objektiv nachhaltigeren 7.Sf3 entstünden.)

7...c5 8.dxc5 Lxc5 9.Sf3 0-0 10.0-0 De7 11.Sc3 b6 12.Se4 Sxe4 13.Dxe4 Sf6 14.Dh4 (Á tempo gespielt. Kramnik muss also schon im Trainingslager erkannt haben, dass 14.Dxa8?! Lb7 15.Dxf8+ Kxf8 nebst ...e5 und ...e4 eher günstig für Schwarz wäre.) 14...Lb7 15.Lg5 Tfd8 16.Lxf6

(Auch die nächsten Züge hatte Kramnik offenbar noch vorbereitet gehabt. Doch wieso tauscht er freiwillig den Springer ab? Antwort: Nach dem natürlicher wirkenden 16.Tfd1 Txd1+ 17.Txd1 Td8 18.Txd8+ Dxd8 könnte Schwarz 19.Lxf6 mit 19...gxf6 erwidern. Kramnik möchte aber gegen ,,Deep Fritz'' lieber die mächtigen Damen vom Brett verschwinden sehen. Zugleich verpasst er seinem Gegner einen Doppelbauern auf der f-Linie, der nun stets zur Schwäche neigt.)

16...Dxf6 (Falls hier 16...gxf6 17.Tac1, behielte Weiß die Türme auf dem Brett und damit gewisse Angriffschancen.) 17.Dxf6 gxf6 18.Tfd1 Kf8 (Aus menschlicher Sicht leitet dieser Zug einen unnötigen Leidensweg ein, denn Schwarz hätte mit dem geschmacklosen 18...Lxf3 19.Lxf3 Tab8 einfach ein Remis erreichen können. Kramnik wusste aber wohl, dass die Bewertungslogik des Computers einen solchen Abtausch nicht zuließ.)

19.Se1! Lxg2 20.Kxg2 f5 21.Txd8+ Txd8 22.Sd3 Ld4 23.Tc1 e5 24.Tc2 Td5 25.Sb4 Tb5 26.Sxa6 Txb2 27.Txb2 Lxb2 28.Sb4 Kg7 29.Sd5 Ld4 30.a4 (Ein Endspiel dieser Art hatte Kramnik von Anfang an im Sinn. Schwarz wird seine Schwäche, den Doppelbauern, nicht so leicht los; und wenn es Weiß gelingt, die Bauern geschickt zu blockieren, könnte der Springer dem Läufer hoch überlegen sein.)

30...Lc5 31.h3 f6 32.f3 Kg6 33.e4 h5! (Falsch wäre 33...fxe4? 34.fxe4 f5 35.Kf3, z.B. dürfte Schwarz nach 35...Kg5 36.exf5 Kxf5 37.Se3+ nicht ins Bauerendspiel abwickeln; aber auch 37...Ke6 38.g4 ggf. nebst Kf3-e4 und Se3-c4 wäre günstig für Weiß.) 34.g4 hxg4 35.hxg4 fxe4 36.fxe4 Kg5 37.Kf3 Kg6 38.Ke2 Kg5 39.Kd3 Lg1!?

(,,Ein Typischer Computerzug'', sagte Kramnik später. Es habe einen anderen Weg zum Remis, nämlich 39...Kxg4 40.Sxf6+ Kf3 41.Kc4 Le7. Fritz hingegen lässt den weißen König eindringen - aber natürlich hat ,,er'' alles genau berechnet.) 40.Kc4 Lf2! (Aber nicht 40...Kxg4?? 41.Sxf6+ Kf4 42.Kd5 und Weiß sollte gewinnen.) 41.Kb5 Kxg4 42.Sxf6+ Kf3 43.Kc6 Lh4 44.Sd7 Kxe4 45.Kxb6 Lf2+ 46.Kc6 Le1 47.Sxe5 remis.

© SZ vom 27.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: