Russe ohne Nation:Weißer Fleck

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Der Jamaikaner Omar McLeod (l.) gewinnt vor Sergej Schubenkow. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Sergej Schubenkow gewinnt als "neutraler Athlet" Hürden-Silber. "Daheim haben viele Leute zugeschaut und mich unterstützt, die Farbe des Trikots spielt keine Rolle."

Von Joachim Mölter, London

Als das Finale über 110 Meter Hürden vorüber war, wirkte Sergej Schubenkow auf einmal wie verloren. Der Sieger Omar McLeod hatte sich eine jamaikanische Fahne geschnappt und auf die Ehrenrunde gemacht, der drittplatzierte Balasz Baji schwenkte Ungarns Flagge hinterher. Nur der Silbergewinner Schubenkow wusste nicht wohin mit seiner Freude, er irrte ratlos auf der Bahn umher, ehe er sich entschloss, einfach in den Katakomben des Londoner Olympiastadions unterzutauchen. Da, wo auf den Anzeigetafeln in der Arena für gewöhnlich Landesfarben hinter den Athletennamen leuchten, war bei ihm bloß ein weißer Fleck gewesen - hätte er sich denn eine weiße Fahne suchen und damit wedeln sollen? Das wäre das Zeichen der Kapitulation gewesen, und genau das hat Schubenkow ja nicht getan. Er hatte gekämpft, um überhaupt dabei zu sein.

Der 26 Jahre alte Russe tritt bei den Weltmeisterschaften in London als sogenannter neutraler Athlet an, wie 18 seiner Landsleute auch. Die russische Leichtathletik- Organisation Rusaf ist wegen systematischen Dopings vom Weltverband IAAF seit November 2015 suspendiert; die IAAF hat jedoch einzelnen Athleten ein Startrecht gewährt, wenn sie sich einem unabhängigen Kontrollsystem unterworfen und sich auf mögliche Dopingvergehen hatten testen lassen. Die 19 neutralen Athleten dürfen allerdings keine Insignien Russlands spazieren tragen und keine Flagge zeigen; und falls einer einen Titel gewinnen sollte, wird auch keine Nationalhymne für ihn gespielt wie noch vor zwei Jahren in Peking, als Schubenkow in persönlicher Bestzeit von 12,98 Sekunden siegte.

Er hat seinen Titel in London also nicht verteidigen können, diesmal brauchte er 13,14 Sekunden, eine Zehntel mehr als McLeod, 23, der Olympiasieger von Rio 2016. Bei den Spielen im vergangenen Sommer war Schubenkow noch unter den kollektiven Bann Russlands gefallen. Zu dem Thema wollte er sich in London nun nicht mehr äußern. "Nach meiner Freigabe habe ich mich auf das Training konzentriert", sagte er auf die Frage, was er davon halte, dass die IAAF die Suspendierung Russlands vor der WM aufrechterhalten habe: "Ich bin in dem Thema nicht mehr so drin."

Ob der Olympia-Ausschluss 2016 seine WM-Vorbereitung beeinträchtigt habe? "Letztes Jahr ja, dieses Jahr nicht", antwortete Schubenkow freundlich, aber knapp. Und was das für ein Trikot sei, das er nun trage? "Ganz gewöhnliche Wettkampfsachen, mit denen man überall rennen kann." Das Label eines "neutralen Athleten" sei jedenfalls "keine große Sache", versicherte er: "Daheim haben viele Leute zugeschaut und mich unterstützt, die Farbe des Trikots spielt keine Rolle."

Nationalstolz zu demonstrieren blieb an diesem Montagabend dem Jamaikaner Omar McLeod überlassen. Der 23-Jährige hatte nach den unerwarteten 100-Meter-Niederlagen seiner Landsleute Usain Bolt und Elaine Thompson das Gefühl gehabt, etwas gutmachen zu müssen für seine Landsleute. Also sprach er: "Ich widme diesen Sieg Usain Bolt zu seinem Ruhestand." Dem hatte keiner mehr etwas hinzuzufügen.

© SZ vom 09.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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