Rugby in Bayern:Nachhilfe von Umberto Re

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Keine bayerische Mannschaft spielt in der Rugby-Bundesliga. Der Münchner Zweitligist Studentenstadt will das ändern - und die Talentförderung verbessern.

Von FLORIAN BINDL

Am westlichen Rand des Englischen Gartens saust das Ei hin und her. Je 15 Männer, teils stämmig, teils schmächtig, rufen sich lauthals Kommandos zu. Immer wieder gleitet der Rugbyball jemandem durch die Hände oder landet im Nirgendwo. Mit verschränkten Armen schaut Umberto Re seinen Jungs beim Trainingsspiel zu, von Zeit zu Zeit rückt er seine Kappe zurecht und unterbricht das Gewusel auf dem Grün. Dann hebt er seine Arme, gestikuliert, und sagt Dinge wie: "Augen auf, Ohren auf, Mund auf!" Oder: "Uno, due, links und rechts! Communication, Jungs." Re ist Trainer des Rugby-Union-Clubs Studentenstadt in München. In den Neunzigern spielte er für die italienische Rugby-Nationalmannschaft, seit 2012 coacht er die Männermannschaft im Münchner Norden. "Er ist immer mit dem Herzen dabei und liebt diesen Sport - genauso wie wir", lobt Jugendleiter Ian Dawson.

Mit Re ging es sportlich stetig bergauf. StuSta, wie die Mannschaft sich selbst nennt, hat sich in der zweiten Rugby-Bundesliga etabliert, scheiterte zuletzt jedoch zweimal in Serie in den Play-Offs um den Aufstieg. Seit Anfang September läuft die neue Zweitliga-Saison. Der Start ist geglückt. Den souveränen 40:0-Auftaktsieg gegen Unterföhring garnierten die Studentenstädter am zweiten Spieltag mit einem Heimerfolg gegen Stuttgart. Beim 50:22 im Englischen Garten fehlte Trainer Re. Der Grund: Er war auf eine Hochzeit eingeladen. Für den zweiten Saisonsieg samt Bonuspunkt reichte es trotzdem. Am Samstag steht in der ersten Runde des DRV-Pokals das Duell mit dem Berliner RC an.

Satt sind sie in der Studentenstadt noch lange nicht. Ein Titel, ein Erfolg zum Anfassen soll endlich her - und der Aufstieg steht sowieso ganz oben auf dem Wunschzettel. Nicht eine einzige bayerische Mannschaft spielt in der Bundesliga Süd-West. Dort geben Teams aus Heidelberg, Pforzheim und Frankfurt den Ton an. Alleine aus der Rugby-Hochburg Heidelberg kommen vier Erstligisten. Deren Vereinsstrukturen und Jugendförderung sind den Münchner Klubs noch einen Schritt voraus. Für Dawson ist die erste Liga trotz des Rückstandes "der nächste logische Schritt". Als der Schotte nach München kam, wollte er eigentlich nur ein sechswöchiges Praktikum absolvieren. Mittlerweile ist er sechs Jahre hier. Gehalten hat ihn die Freude am Rugby. "Wir sind wie eine Familie, jeder hat Respekt vor dem anderen. Das lernt man durch diesen Sport."

Respekt und Rugby? Wirklich? Rugby ist doch brutal, ein Spiel für ungezügelte Rabauken, die sich zum Raufen treffen. Solcherlei Irrtum ist weit verbreitet und zu einem trügerischen Klischee geronnen, das dem Sport Unrecht tut. Dawson sagt: "Klar ist der Sport körperbetont, aber keiner von uns spielt Rugby, um anderen weh zu tun." Vielmehr bestehe die große Faszination darin, dass für jeden Körpertyp eine Rolle vorgesehen ist. "Rugby ist ein Spiegel des Lebens - oder, wie es sein sollte. Jeder wird gebraucht." Längst zählen nicht mehr nur Muskelmasse und rohe Kraft. Schnelligkeit und gute Reflexe sind mindestens genauso wichtig. Und die Spieler müssen miteinander sprechen, um Spielzüge vorbereiten und ausführen zu können.

Ob das in der Multikulti-Truppe der Studentenstädter ein Problem ist? Schließlich setzt sich die Mannschaft aus verschiedensten Nationalitäten zusammen: Kanadier, Briten, Südafrikaner, Australier, fast alle Kontinente sind vertreten. "Es gibt bei uns keine Sprachbarriere", sagt Dawson. Der Sport helfe eher, sich zu integrieren, da die Kommunikation auf dem Platz fast ausschließlich auf Deutsch ablaufe. Somit strenge sich jeder umso mehr an, die Sprache zu lernen. "Wo du herkommst, ist völlig egal, solange du Rugby liebst und lebst, bist du dabei." Geld spielt hier keine Rolle. Die Spieler betreiben den Sport vollkommen unentgeltlich. "Darum geht es uns auch gar nicht", stellt der Schotte klar.

Von diesem besonderen Team-Spirit lassen sich immer mehr Jugendliche anstecken. Mittlerweile stellt StuSta in jeder Altersstufe eine 15er-Mannschaft. "Das wird uns auf eine ganz neue Ebene heben", sagt Dawson. Abteilungsleiter und StuSta-Präsident Georges Besenius freut sich schon darauf, wenn "Leute aus der heutigen U8 bei uns mitspielen. Die sind mit Rugby aufgewachsen und geben richtig Gas." Ziel ist es, eine zweite Mannschaft aufzubauen, die ausschließlich der eigenen Nachwuchsschmiede entstammt.

Eine große Bühne bekommt der Sport am letzten Wiesn-Wochenende beim "Oktoberfest-7s". Am 29. Und 30. September kommen die besten Siebener-Rugby-Nationalteams der Welt im Olympiastadion zusammen und tragen ein Turnier aus. Doch auch in der zweiten deutschen Liga - im Schatten der Rugby-Granden wie Neuseeland oder Fidschi - sei das Niveau hoch. "Wir spielen nach den gleichen Regeln wie die Profis, verfolgen dieselbe Taktik. Natürlich fehlen manchmal Genauigkeit und Handlungsschnelligkeit, aber wir haben uns überragend entwickelt", sagt Besenius, der auch als Präsident noch spielt.

Nach der Partie gegen Stuttgart am zweiten Spieltag kamen beide Teams zusammen. Abgekämpft waren sie. Jeder zweite hatte eine offene Risswunde am Ellenbogen, einer blutete am Auge. Keiner jammerte. In einem Spalier standen sich Stuttgarter und Münchner gegenüber, sie applaudierten. Dem Gegner, dem Schiedsrichter, sich selbst. Es ist ein Ritual, das nach jeder Partie zelebriert wird - eine Hommage an ihren Sport.

Über Rugby sagte der Schriftsteller Oscar Wilde, es sei "ein unsittliches Spiel, das von Gentlemen gespielt wird". Genau danach sah es aus.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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