Rücktritt des Formel-1-Weltmeisters:Mutig - oder unbegreiflich?

Lesezeit: 3 min

Der letzte Moment ist der größte: Nico Rosberg nimmt in Wien seine Weltmeister-Trophäe entgegen. (Foto: dpa)

Die Branche ist sich nicht einig über den überraschenden Schritt von Nico Rosberg, seine Karriere nach dem WM-Gewinn zu beenden. Mercedes fragt sich derweil: Wer übernimmt das Cockpit?

Von René Hofmann, München

Die Reaktionen reichen von Bewunderung bis zu Unverständnis. "Respekt" zollte Formel-1-Fahrer Nico Hülkenberg seinem Kollegen Nico Rosberg nach dem überraschenden Rückzug aus der höchsten Motorsportkategorie, nur fünf Tage nach dem Gewinn des WM-Titels. "Großen Respekt", richtete Kevin Magnussen aus, der aktuell für Renault in der Serie Runden dreht, "größten Respekt" sogar Sauber-Fahrer Marcus Ericsson. "Gut gemacht", lobte Damon Hill, der Weltmeister des Jahres 1996 und wie Rosberg Sohn eines Weltmeister-Vaters. Als "sehr mutig" bezeichnete der einstige Formel-1-Fahrer Juan Pablo Montoya den Schritt, als Champion abzutreten, für Jean Todt, den Präsidenten des Automobilweltverbandes, ist er sogar "ungeheuer mutig".

Aber es gibt auch Szenekenner, die es anders sehen. "Unbegreiflich" nennt der einstige Rennstallmanager Flavio Briatore den Entschluss; dem Italiener, der in dem Geschäft selbst viele kuriose Volten geschlagen hat, kommt die Entscheidung "wirklich sehr seltsam vor". Überhaupt nicht nachvollziehbar ist sie für Hans-Joachim Stuck. "Wenn ich einen Titel gewonnen habe, dann muss ich den auch verteidigen. Das ist, wenn man ein Rennfahrer mit Herz und Leib und Seele ist", sagte der 65-Jährige, als ihn die Zeitung Die Welt erreichte und schob noch eine Frage nach: "Wo ist die Passion, wo ist die Leidenschaft?"

1500 Angestellte warten auf den Nachfolger

Nun, wenn man Nico Rosberg glaubt, dann war seine Passion fürs Rennfahren zuletzt so groß, dass er sich nun erst einmal erschöpft anderen Leidenschaften zuwenden möchte. An erster Stelle der für seine Familie. Der Stammsitz in Monte-Carlo, der Nebensitz auf Ibiza: Wo die Reise des 31-Jährigen hingeht, ist klar. Weniger klar ist, wo seine "Racing-family" nun hinsteuert, wie Rosberg das Mercedes-Team selbst nennt. Das beschäftigt an den Standorten Brixworth und Brackley 1500 Angestellte, und die bringt Rosberg mit seinem Entschluss "in eine schwierige Situation", wie er selbst weiß und in seinen Abschiedsworten auch betonte.

Dass ein Weltmeister seinen Vertrag nicht erfüllen mag, kommt selten vor. Alain Prost, der als letzter Champion keine Lust mehr hatte, weiterzufahren, tat seinen Ausstieg 1993 schon drei Rennen vor dem Finale kund. Das Williams-Team konnte sich früh nach Ersatz umschauen. Es engagierte schließlich einen dreimaligen Weltmeister: den Brasilianer Ayrton Senna. Für Rosberg einen Nachfolger ähnlichen Kalibers zu finden, wird für die Mercedes-Gewaltigen nun schwer.

"Die Lücke von Nico zu schließen, ist unmöglich", sagt Niki Lauda, der als Chef des Team-Aufsichtsrats einer von zwei Suchenden ist. Als Rosberg in der vergangenen Woche Lauda seinen Entschluss mitteilte, wollte der deshalb wissen, ob er sich zu hundert Prozent sicher sei. Rosbergs Antwort: Nein. "Zu tausend Prozent."

Wehrlein? Bottas? Alonso?

Der Zweite, der sich nun auf die Suche begibt, ist wie Lauda Österreicher: Toto Wolff. Unter seiner Führung schwang sich Mercedes in den vergangenen drei Jahren zum Seriensieger auf. "Etwas unerwartet", so Wolff, habe ihn Rosbergs Wunsch erreicht, den Vertrag nicht erfüllen zu wollen, der noch zwei Jahre hätte laufen sollen. Niemand hatte erwartet, dass das Fahrer-Karussell noch einmal Fahrt aufnehmen würde. Lauda grantelte am Samstag bei Sky: "Nico hätte uns ja vorwarnen können: 'Wenn ich Weltmeister werde, dann höre ich auf.' Aber das hat er nicht getan." Wie überraschend die Nachricht auch für die unmittelbar Betroffenen kam, lässt sich auch daran ablesen, dass Wolff und Lauda sich nun noch nicht einmal einig sind, wie schnell ein neuer Chauffeur gefunden sein soll. Wolff will sich "die notwendige Zeit nehmen und alle Varianten prüfen", für Lauda dagegen ist klar: "Das müssen wir bis Weihnachten entscheiden." Wolff sagte am Samstag in Sindelfingen augenzwinkernd: "Es haben sich zwei Fahrer nicht gemeldet: (Daniil) Kwjat und (Kimi) Räikkönen." Drei Kandidaten fielen aus: Max Verstappen und Daniel Ricciardo von Red Bull und Sebastian Vettel von Ferrari, seien gebunden. "Alle anderen müssen wir analysieren."

Ernsthaft gehandelt werden etliche Piloten: der Deutsche Pascal Wehrlein, 22, DTM-Champion des Jahres 2015. Der Finne Valtteri Bottas, 27, der von einer Agentur betreut wird, die mit Wolff verbandelt ist, und der bisher für das Williams-Team fährt, das von Mercedes Motoren bezieht. Oder gar der zweimalige Weltmeister Fernando Alonso, 35, der bei McLaren alles andere als glücklich ist. Der allerdings rieb sich bei McLaren einst schon einmal an Lewis Hamilton auf, dessen Ego durch zwei Titel mit Mercedes seitdem noch einmal enorm gewachsen ist.

Lauda und Wolff müssen daran interessiert sein, Hamilton einen Kollegen zur Seite zu stellen, der den 31 Jahre alten Briten konstant fordert. Schon in diesem Jahr waren Hamiltons Leistungen nicht durchweg glänzend. Das dürfte 2017 aber nötig sein, um den Konstrukteurstitel zu verteidigen. Denn im Winter ändern sich die Regeln deutlich, was den Verfolgern die Chance zum Aufholen gibt. Und Rosberg ist vielleicht nicht der Letzte, der das Erfolgsteam verlässt.

Der Vertrag von Teamchef Paddy Lowe läuft aus. Der 54-jährige Brite gilt als eine der Schlüsselfiguren am Kommandostand. Er wird mit Ferrari in Verbindung gebracht. Zu den Gerüchten wollte er sich in der Nacht von Rosbergs Titelgewinn nicht äußern. "Heute sollte es um Nico gehen", fand Lowe, als in Abu Dhabi das Abschlussfeuerwerk zur Saison 2016 in den Himmel stieg. Sehr bald wird es auch um ihn gehen.

© SZ vom 04.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: