Rudi Völler:Optimist im Notstand

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Der Teamchef der Nationalmannschaft tröstet sich über Kloses Verletzung und die Formschwäche seiner Spieler hinweg: Es könnte viel schlimmer sein.

Von Philipp Selldorf

Rudi Völler wählte die Konferenzschaltung, als er am Sonntag Abend im Hotel der Nationalmannschaft in Bergisch-Gladbach die beiden Sonntagsspiele der Bundesliga schaute.

Deswegen war er live dabei, als Miroslav Klose durch einen wirklich schönen Kopfballtreffer den schlimmsten Fluch brach, der einen Angreifer befallen kann: den der Erfolglosigkeit vor dem Tor. Bis zu jenem Moment glich die Torlosigkeit der deutschen Nationalstürmer einer nicht endenden Wüstenei.

Entsetzliche Dürre, horrende Ödnis, tiefe Verlorenheit, mittendrin vier Männer: Fredi Bobic, 464 Minuten ohne Erfolgserlebnis; Kevin Kuranyi, 723 Minuten; Oliver Neuville, 349 Minuten - und bis zur 53. Minute der Partie zwischen Hamburg und Kaiserslautern auch Miroslav Klose, 964 Minuten.

Protokoll des Schreckens

Computerhirne haben ermittelt, dass die Sturmreihe der Nationalmannschaft somit 1 Tag, 17 Stunden und 41 Minuten ihre Bestimmung verfehlt hatte. Ein Protokoll des Schreckens vor dem Testspiel am Mittwoch in Köln gegen Belgien, zweieinhalb Monate vor dem Start der Europameisterschaft. Rudi Völler hat sich natürlich mit Miroslav Klose, einem seiner Lieblingsspieler, über das Tor gefreut. Aber das Vergnügen wendete sich schon im nächsten Moment in Sorge und am nächsten Tag in baffes Entsetzen.

Denn am Montag bestätigte sich die Beobachtung des Teamchefs, dass sich Klose bei der Landung vom Kopfballflug verletzt hatte. Knie verdreht, "die Tendenz ist, dass er einige Wochen ausfällt", sagte Völler, und ein Seufzen begleitete diesen Satz. Welch böse Ironie - Operation gelungen, Patient tot. Klose zog sich einen Teileinriss des Innenbandes im rechten Knie zu, erhielt eine Gips-Manschette und wird fünf bis sechs Wochen ausfallen.

Völler will die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben. "Man muss das Positive aus dieser Geschichte rausziehen", erklärte er, und auf diesen Aspekt waren die Zuhörer bei der Pressekonferenz nun angemessen gespannt. Völler sagte: "Es hätte noch schlimmer kommen können." Zur Schlussphase der Saison und zur EM, so erwartet der Teamchef, wird Klose wieder gesund sein.

Auch in Leverkusen-Quettingen, wo sich der im hessischen Hanau geborene Völler niedergelassen hat, glaubt man an das Kölner Prinzip des "et hät noch immer jot jejange". Völler hat es dieser Tage notgedrungen erweitert: Es könnte alles noch viel übler sein. An dieser trotzigen Lehrmeinung richtet er sich auch auf, wenn er den Leistungsstand seiner Kandidaten betrachtet. Von denen befinden sich etliche in einem dermaßen bodenlosen Formtief, dass ihre Vereinstrainer sie kurzerhand zu Ersatzspielern degradiert haben - Bobic, Neuville, Rau, Nowotny haben ihren Stammplatz mittlerweile auf der Bank, auch Jeremies ist in München öfter Zuschauer als Akteur.

Ein paar Probleme

Von Michael Ballacks Unglück beim FC Bayern ganz zu schweigen. Über diese Tatsachen kann der Teamchef nicht hinwegsehen, "im Moment sind's einige zu viel, die ein paar Probleme haben", gibt er zu und redet sich doch wieder Mut zu: "Aber auch hier gilt meine Devise: Lieber jetzt als in zwei Monaten."

Viel Verständnis und Einfühlungsvermögen wendet der Teamchef auf, um ein freundlicheres Licht auf das bedauerliche Geschehen zu setzen. Am Beispiel Jens Nowotnys, dem er weiterhin und auch im Spiel gegen Belgien eine Schlüsselrolle im Deckungszentrum anvertrauen will, räsoniert er den seltsamen Lauf der Dinge in diesem Sport.

"Manchmal ist es im Fußball ungerecht", beginnt also Völler seine Ausführungen über Nowotnys Pech, in jener Phase der Leverkusener Stammformation angehört zu haben, als Bayer in sechs Spielen bloß einen Punkt holte. Nun hat Leverkusen drei Partien hintereinander gewonnen - ohne Nowotny. Aber Völler versichert: "Sie hätten die Spiele auch mit Jens gewonnen, davon bin ich überzeugt, da lehne ich mich aus dem Fenster."

Weil die guten Nachrichten aus seiner Mannschaft rar sind, weist Völler Festlegungen über die Besetzung seines EM-Kaders ausdrücklich zurück. Der 35 Jahre alte Martin Max darf sich also ermutigt fühlen, auch weiterhin für Hansa Rostock ins Tor zu treffen, "das Thema ist nicht beendet", ruft ihm Völler zu.

Noch im Gespräch

Max, zur Zeit der erfolgreichste deutsche Angreifer in der Bundesliga, kennt das schon: Vor der WM in Asien feierte er mit 33 Jahren sein Debüt als Nationalspieler, sieben Minuten lang in der Partie gegen Argentinien (0:1).

Auch Thomas Brdaric, der damals ebenfalls eine Außenseiterchance hatte, ist noch im Gespräch. Völler sieht ihn im Aufwind bei Hannover 96 und hält Brdaric zugute, dass er auch am Samstag gegen Dortmund ins Tor getroffen hätte - "wenn ihm der Mahdouni nicht das Tor geklaut hätte".

Dieser vermaledeite 26. Bundesligaspieltag hat Völler aber auch Freude bereitet. Vom 4:4 des VfB gegen Bremen hat der Teamchef genug gesehen, um "richtig begeistert" zu sein. Hätte doch nur Kuranyi eines der vielen Tore erzielt, "aber vielleicht trifft er ja gegen Belgien", sagt Völler, der Optimist im Notstand.

© SZ v. 30.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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