Ronaldinho:Der Ball ist seine Freundin

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Die Wahl von Ronaldinho zu Europas Fußballer des Jahres ist auch ein Lohn dafür, dass der Artist seine Mitspieler zur Bestform inspiriert.

Ronald Reng

Als er den schönen, strahlenden Sieger geben wollte, schickten sie Ronaldinho erst einmal wieder nach Hause. Er solle doch bitte die Garderobe wechseln, überzeugten ihn Angestellte seines Klubs FC Barcelona. Im Jogginganzug hatte Ronaldinho zum Fototermin der Zeitschrift France Football erscheinen wollen, die seit einem halben Jahrhundert jedes Jahr Europas Fußballer des Jahres kürt und vor einigen Tagen, in aller Heimlichkeit, den diesjährigen Gewinner im Hotel Princesa Sofia zu Barcelona für die kommende Ausgabe abbilden wollte.

Eigentlich immer gut gelaunt: Ronaldinho (Foto: Foto: AP)

Es war jedoch nur noch das Geheimnis, das alle kannten, das auf der Gala am gestrigen Montag in Paris gelüftet wurde: Wie hätte es einen anderen Sieger als Ronaldinho geben können?

Er trug letztlich ein weißes Hemd beim Fotoshooting. Vielleicht war es auch Gedankenlosigkeit gewesen, dass er direkt nach dem Training einfach im Jogginganzug losziehen wollte - es sagt jedenfalls viel über Ronaldinhos Selbstverständnis.

Er ist - in Zeiten, da die Grenzen zwischen Sporthelden, Popstars und Sexsymbolen gefallen sind - ein purer Fußballer geblieben, Ronaldinho aus Porto Alegre, Brasilien, 25, Weltmeister 2002, Bandenchef dieser spektakulären Elf des FC Barcelona, von der man noch in Jahrzehnten reden wird.

"Nur dank des Balls habe ich ein erfülltes Leben", sagt er, "Wenn ich spazieren gehe, wenn ich fernsehe, wenn ich schlafe: Immer habe ich einen Ball an meiner Seite. Der Ball ist meine Freundin, mein Kumpel, er ist alles für mich. Wenn ich könnte, würde ich den Fußball essen!"

Mit dem großen Zeh

So viele großartige Namen sind in Stein gemeißelt in der Siegertafel von Europas Fußballer des Jahres, Stanley Matthews, der 1956 der erste war, Gerd Müller, Marco van Basten, Franz Beckenbauer, 1996 zum bisher letzten Mal ein Deutscher, Matthias Sammer.

Einen passenderen Sieger als den zum 50. Jubiläum kann es trotzdem nicht gegeben haben. Ronaldinho ist ein Spieler, für den Preise wie dieser erfunden wurden: Seine Außergewöhnlichkeit ist für jeden erkennbar. Wenn er, menschgewordene Elektrizität, drei Spieler umdribbelt, wenn er, Wahnsinn mit Genialität verbindend, den Ball mit dem großen Zeh in hohen Bogen ins Tor schießt, wenn er, eine Liebeserklärung an seine Freundin, den Ball auf der Brust tanzen lässt und dabei einem Gegner wegläuft, muss man nichts von Fußball begreifen, um zu verstehen: Hier ist ein Phänomen.

Einen, Maradona, vielleicht zwei, Pelé, wie ihn hat es je gegeben. "Jetzt ist mein Thron wieder besetzt", sagt Maradona. So ist es. Ist es also paradox, ist es verrückt, trotzdem hinter all den Elogen leise zu zweifeln, ob Ronaldinho wirklich die richtige Wahl ist?

Der Zweifel ist, aus fachlicher Sicht, nur korrekt. Wenn France Football nicht den außergewöhnlichsten Spieler dieser Epoche ehren wollte, sondern tatsächlich den Spieler, der 2005 hindurch überragte, dann hat es falsch gewählt.

Die 20 Trainer der spanischen Erstligisten zum Beispiel fanden in Ronaldinhos Mannschaft zwei, die mehr zur Spanischen Meisterschaft beitrugen: Als die Trainer den besten Ausländer der Saison 04/05 wählten, stimmten neun für Samuel Eto'o, acht für Deco - und zwei für Ronaldinho.

Auch Frank Lampard vom FC Chelsea hat 2005 konstanter auf höchstem Niveau gespielt, mehr Spiele entschieden als Ronaldinho.

Skandalöse Kandidatenliste

Aber dafür sind solche Preisverleihungen vor allem da: das Publikum zum Diskutieren über die Auswahl zu animieren. Und, das muss am Rande gesagt sein, die Kandidatenliste von France Football war skandalös, die Auswahl einer Redaktion, die offenbar ausschließlich Champions League schaut: Sieben Spieler von Juventus Turin waren nominiert, aber wo war der stärkste niederländische Fußballer des Jahres, Danny Landzaat vom AZ Alkmaar, wo ein einziger Akteur des Uefa-Cup-Siegers ZSKA Moskau?

Sonntag, der Tag vor der Gala, war schon ein Fest und auch ein kleiner Protest gegen die Wahl. Barça machte aus dem Ligaspiel gegen Racing Santander eine Aufführung, 4:1, der achte Sieg in den vergangenen acht Spielen, eines war ein klassisches Ronaldinho-Tor: von der Mittellinie losgerannt, alle umdribbelt und mit eiskalter Präzision den Ball ins Tor gejagt - bloß dass der Schütze Eto'o war. Neben ihm diktierte Deco den Rhythmus, als wollten die beiden France Football noch mal zeigen: Wie könnt ihr uns übergehen?

2005 war nicht Ronaldinhos bestes Jahr. Nur in den jüngsten Wochen, pünktlich zur Preisverleihung, ist er wieder in einer Form, aus der Sagen entstehen. Und doch verdeutlichte gerade Eto'os und Decos Gala am Abend vor der Gala am besten, warum Ronaldinho so einzigartig ist: Er ist nicht nur gut, er macht die Mitspieler besser.

Jeder - jeder - in Barças Team spielt den Fußball seines Lebens, seit er da ist, Ronaldinho, der nur auf dem Platz besonders sein will, der unaufhörlich freundlich und respektvoll ist. Wer hätte an seiner Wahl gezweifelt? Nur er selbst. Als er den Trainingsanzug gegen das weiße Hemd getauscht hatte und zum geheimen Fotoshooting zurückkam, fragte er: "Ihr veräppelt mich doch nicht, oder?"

© SZ vom 29.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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