Rolls Voice:Der Oberaffe, unser Angstgegner

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Jeder hat genau den Angstgegner, den er verdient. Und jeder macht sich diesen Angstgegner selbst unbesiegbar. Es gibt deswegen Unbesiegbare in allen Spiel- und Altersklassen.

Evelyn Roll

Immer wenn ich mit meinem alten Freund Christoph auf die Runde gehe, spiele ich schlechter als normalerweise, deutlich schlechter. Dabei würde ich gerade ihm so gerne zeigen, was ich inzwischen draufhabe. Dieser Mann kann aber auch so was von provozierend lässig und gut gelaunt an den Abschlag kommen, selbstverständlich ohne sich vorher eingeschlagen zu haben. Er muss dann mit diesem siegesgewissen Christoph-Gesichtsausdruck nur noch Sachen sagen wie: Eigentlich hast du ja nur vier vor, aber ich gebe dir sechs, wenn du einverstanden bist, weil ich, ehrlich gesagt, schon wieder kurz davor bin, mich zu unterspielen. Dann ist es schon vorbei, bevor ich den Driver überhaupt ausgepackt habe.

(Foto: Illustration: Rita Berg)

Nein, noch schlimmer: Eigentlich ist es schon vorher vorbei. Er muss solche Sachen gar nicht sagen. Er muss gar nichts tun oder sagen. Gegen Christoph gewinne ich einfach nie, obwohl ich es schon mit kinesiologischem Mentaltraining versucht habe, mit Zen- Golf-Übungen, mit grenzwertigen Störmanövern und kindlichem Voodoo. Und wenn ich dann nach der Runde doch wieder das Bier bezahlen muss und mich beschwere, dass es wie verhext ist, weil ich immer, wenn ich mit ihm spiele, viel schlechter bin als normalerweise, sagte er: "Das kommt nur, weil du so unbedingt gewinnen und es mir zeigen willst. Hör einfach damit auf". "Und du? Willst du vielleicht nicht gewinnen?" "Doch, natürlich."

Golf ist nun einmal zu 90 Prozent Psychokram

Jeder hat genau den Angstgegner, den er verdient. Und jeder macht sich diesen Angstgegner selbst unbesiegbar. Es gibt deswegen Unbesiegbare in allen Spiel- und Altersklassen. In Familien ist es gerne die große Schwester, in Mannschaften fast immer der Clubmeister. Und für die Giganten im Profigolf heißt der große unbesiegbare Angstgegner Tiger Woods.

Golf ist nun einmal zu 90 Prozent Psychokram. Verhaltensforscher erklären das Phänomen von der Unbesiegbarkeit des Angstgegners als rangabsichernden Trick der Evolution: Solange es dem einst stärksten, aber möglicherweise längst schwächelnden Oberaffen einer Horde gelingt, sich so selbstbewusst aufzuführen, als wäre er noch der Stärkste, wird der jüngere, stärkere Affen nicht einmal wagen, ihn ernsthaft anzugreifen. Im Gegenteil: Er resigniert sogar noch eine Weile, nachdem längst für alle erkennbar ist, dass er der Stärkere ist.

Die Kanadierin Jennifer Brown hat im vergangenen Jahr an der Universität in Berkeley/Kalifornien eine erstaunliche Untersuchung vorgelegt. Sie hat, wie im Wirtschaftsteil der FAZ zu lesen war, den Universitätsrechner mit allen Ergebnissen der besten Profigolfer aus allen Turnieren eines Jahres gefüttert und herausgefunden, dass alle Profigolfer nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv schlechter spielen, sobald sich Tiger Woods im Teilnehmerfeld befindet. Und zwar um 0,8, also fast einen Schlag in jeder Runde. Brown nennt das den Superstar-Effekt, der die Konkurrenz nicht etwa dazu bringt, sich mehr anzustrengen, um dem Oberaffen seine Grenzen aufzuzeigen, sondern im Gegenteil, Leistungsabfall und Resignation evoziert. Und genau damit wird klar, warum die Amerikaner gerade und nur ohne Tiger Woods den Ryder Cup nach Hause holen konnten. Wirtschaftsforscher haben Browns Ergebnisse inzwischen vom Golfplatz auf das System von Beförderungen in der freien Wirtschaft übertragen: Enorme Lohnunterschiede zwischen einzelnen Hierarchiestufen sind demnach als Leistungsanreiz wenig sinnvoll.

Plötzlich schnappt die Psychofalle zu

Zur Psychopathologie des Golfspielens gehört, dass man sich sogar den eigenen Golflehrer zum Angstgegner machen kann. Ich zum Beispiel kann das. Und das geht so: Ich habe fleißig geübt, spiele neuerdings Runden von vier bis fünf Schlägen unter meinem Handicap, will aber noch besser spielen und verabrede deswegen eine Runde mit dem besten Golflehrer von allen. Wenn die erste Idee am Abschlag jetzt heißt, nun will ich ihm aber mal zeigen, was ich dazu gelernt habe, schnappt die Psychofalle zu und wir können eigentlich gleich ins Clubhaus gehen.

Offenbar findet wirklich jeder einen Angstgegner, den er sich selbst unbesiegbar macht. Wirklich jeder. Bis auf den Tiger natürlich. Gestern, nach einer sehr harmlosen Frauenrunde, sagte eine der Golf- Freundinnen zu mir: "Immer wenn ich mit dir spiele, spiele ich viel schlechter als sonst". Und ich? Ich hörte mich oberäffisch sagen: "Das kommt nur, weil du so unbedingt gewinnen und es mir zeigen willst. Hör einfach auf damit".

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