Robert Huth:"The Berlin Wall"

Lesezeit: 3 min

Mit harter Hand und eisernem Fuß: Robert Huth, der Koloss in der deutschen Abwehr, teilt mit dem Bundestrainer die Leidenschaft für den englischen Fußball.

Von Christoph Biermann

Sebastian Deisler nickte demonstrativ, als Jürgen Klinsmann den Schmerzensbringer lobte. Schon in den Tagen vor dem Länderspiel, so berichtete der Nationaltrainer, "habe ich gedacht: Ich möchte nicht Adriano oder Ronaldo sein". Da nämlich schaute Klinsmann ziemlich begeistert zu, wie Robert Huth im Training zu Werke ging. "Energisch, selbstbewusst und aggressiv" sei der erst 20 Jahre alte Verteidiger vom FC Chelsea aufgetreten, und Deisler nickte immer noch.

AUA! - Gestatten: Huth, Robert Huth. (Foto: Foto: dpa)

"Ich würde auch nicht gerne gegen ihn spielen", sagte der Mittelfeldspieler über seinen Abwehrkollegen und erzählte staunend, wie Huth dem brasilianischen Angreifer Adriano auf zehn Schritten fünf Bodychecks verpasst hätte. Es tut offensichtlich richtig weh, gegen den 1,87 Meter großen Abwehrkoloss aus Berlin-Marzahn spielen zu müssen, den sie in England "The Berlin Wall" nennen.

Der Schmerzensbringer

Dass der Mauermann an der Seite von Frank Fahrenhorst die Innenverteidigung gegen den Weltmeister bildete, war dennoch die Überraschung beim ersten Heimspiel unter Leitung von Jürgen Klinsmann. Eine gelungene. Huth sagte zwar, "es war sehr aufregend", aufgeregt wirkte er aber kaum. Ziemlich abgebrüht sorgte er beim Gegner nicht nur für körperlichen Schmerz, sondern überzeugte auch durch ein gutes Stellungsspiel, Schnelligkeit und Ausstrahlung.

Dass Klinsmann scheinbar einen Narren an Huth gefressen hat, mag auch mit der gemeinsamen London-Erfahrung zu tun haben. Während der Bundestrainer jedoch erst im fortgeschrittenen Profileben sein Glück bei Tottenham Hotspur fand, wechselte Huth schon mit 16 Jahren von Union Berlin zu Chelsea. Von einem Scout der Londoner war er bei einem U15-Länderspiel in Dublin entdeckt worden, schon mit 17 debütierte er in der Premier League.

Letzte Saison kam Huth zu immerhin 20 Einsätzen in einem Team, bei dem man vor lauter Stars die Kabinentür kaum zubekommt. Längst ist er ein Fan des englischen Fußballs: "Es liegen Welten zwischen einem deutschen und einem englischen Spitzenspiel, Manchester United gegen Arsenal ist was ganz anderes als Bayern gegen Dortmund", hatte Huth er schon vor einiger Zeit geschwärmt. Auch die Härte hat Huth in England geprobt: "Da geht es anders ab", sagte er und tippte auf ein paar Narben an Stirn und Augenbrauen.

Narben an Stirn und Augenbraun

Die Entscheidung für Huths Quasi-Debüt - er hatte beim 3:1 in Österreich nur vier Minuten gespielt - lieferte aber auch weitere Rückschlüsse auf das Fußballverständnis des neuen Bundestrainers. "Wir wollen den Spielern die Stärke auf den Positionen geben, für die sie eingeplant sind", sagte Klinsmann. Frank Baumann, der erwartet wurde, sieht er nicht als Kandidaten für die Innenverteidigung, sondern als defensiven Mittelfeldspieler.

Der Bremer wird fortan "den Konkurrenzkampf mit Torsten Frings suchen müssen", sagte Klinsmann. Huths Einsatz illustrierte überdies noch einmal seine Idee von einem vorwärts gerichteten Stil. Einer klassischen Fußballweisheit folgend basiert der Erfolg einer Mannschaft auf einer guten Defensive. Oft wird sie jedoch insofern missverstanden, dass man gegen starke Gegner weit hinten nur genug Leute zusammenhalten muss, um wenig Chancen zuzulassen.

In der Nationalmannschaft der Post-Völler-Ära sieht man jedoch schon in der hintersten Reihe, dass die Vektoren des Spiels nach vorne gerichtet sind. Man hätte durchaus verstanden, wenn Huth und Fahrenhorst häufiger der Neigung nachgegeben hätten, sich tiefer und gestaffelter aufzustellen. Es treibt schließlich jedem Verteidiger den Angstschweiß auf die Stirn, wenn er neben sich Ronaldo und hinter sich 30 Meter freien Raum bis zum eigenen Tor hat.

Noch kein Traumduo

Dennoch schoben sich die beiden Novizen in der Innenverteidigung brav immer wieder der Mittellinie entgegen, verkleinerten damit für die Brasilianer die zu bespielende Fläche und erzeugten die Enge im Mittelfeld, in der die Deutschen ihnen vor allem im ersten Spielabschnitt die Bälle immer wieder abjagten. "Die Jungs sollen ruhig Fehler machen", rief Klinsmann fast schon euphorisch aus. Vor allem Fahrenhorst nutzte die Gelegenheit dazu anfangs reichlich, wogegen Huth kleinere Fehler mit harter Hand und eisernem Fuß gleich wieder ausbügelte.

Allerdings fehlt auch ihm das, was allen anderen Kandidaten für die Innenverteidigung abgeht: die Fähigkeit zum eröffnenden Pass. Leider sah man von Huth und von Fahrenhorst wenige richtig gute Anspiele. Fiel ihnen gar nichts mehr ein, wuchteten sie die Bälle nach vorne, verloren sich aber zumindest nicht in ermüdenden Querpässen.

Das neue Traumduo in der Abwehr sind Huth und Fahrenhorst noch nicht. "Aber alle, die jetzt dabei sind, verschaffen sich einen Vorteil gegenüber denjenigen, die fehlen", sagte Klinsmann. Für seine ersten beiden eigenen Zöglinge dürfte das besonders gelten. Nur muss Huth beim FC Chelsea demnächst "Herrn Mourinho", wie er seinen Trainer nannte, endlich davon überzeugen, ihn überhaupt mal wieder einzusetzen.

In dieser Saison hat Huth in seinem Klub bislang nämlich nur in der Reserve gespielt. Aber die Referenz, gegen den Weltmeister gut ausgesehen zu haben, dürfte doch selbst im Reich von Abramowitsch etwas zählen.

© SZ vom 10.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: