Ringer Leipold bei der EM:Motivierende Ungewissheit

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Der Ringer Alexander Leipold hat sich von seinem Schlaganfall erholt - wie gut wird er bei der Europameisterschaft zeigen müssen. Danach will er ins Shaolin-Kloster.

Von Christina Warta

Manchmal spürt Alexander Leipold noch ein Kribbeln in der linken Hand. "Dann horcht man in sich hinein", sagt der Ringer, "viel mehr als früher. Man geht schneller zum Arzt." Bluttests und Kernspintomographien - sie gehören seit einem Jahr ebenso zum Leben des 34-Jährigen wie das Mattentraining. Im August 2003 erlitt der frühere Welt- und Europameister einen Schlaganfall.

Am Freitag kehrt der nicht unumstrittene Leipold auf die internationale Bühne zurück: Er kämpft bei der Europameisterschaft der Freistilringer in Ankara (Türkei), "frohen Mutes", sagt der Unterfranke, "aber nicht als Titelaspirant". Der erfolgreichste deutsche Ringer war ein Vorzeigeathlet, 15 Medaillen hat er bei Welt- und Europameisterschaften gewonnen. Bis zu den Spielen 2000: Mitten in die Party des Olympiasiegers Leipold platzte die Nachricht von der positiven Dopingprobe.

Leipold wies die Vorwürfe zurück, doch die B-Probe brachte das gleiche Ergebnis: stark erhöhte Nandrolon-Werte. Er wurde für ein Jahr gesperrt und musste die Goldmedaille zurückgeben. 2001 startete er sein Comeback, wurde 2002 Deutscher Meister und ein Jahr darauf EM-Zweiter. Vier Monate später dann der Schlaganfall.

Einen Trainingsaufenthalt in Usbekistan brach Leipold wegen Taubheitsgefühlen und Kribbeln in den Armen ab, er wurde in eine Spezialklinik eingewiesen und rechtzeitig behandelt. "Ich habe unter Null angefangen", sagt Leipold, "von der Trage in den Rollstuhl und von dort wieder auf die Beine." Und jetzt auf die Matte - es klingt, als staune Leipold selbst darüber.

Aufs Pech anderer angewiesen

"Ich bin froh, bei einer EM kämpfen zu können", sagt Leipold denn auch. EM schön und gut, doch sein Ziel ist eigentlich ein anderes: die Olympischen Spiele in Athen, es wären seine fünften. Doch es gibt da ein Problem: Wegen seines Schlaganfalls hat Leipold alle Qualifikationsturniere verpasst.

"Da war ich noch mitten in der Reha", sagt er. Damit Leipold trotzdem in Athen dabei sein könnte, hat der deutsche Ringerbund beim internationalen Verband um eine Wildcard gebeten.

Doch die gibt es nur für Athleten aus Ländern, in denen sich noch kein einziger Ringer qualifiziert hatte. Das ist nicht der Fall, denn Sven Thiele und David Bichinaschwili, die ebenfalls bei der EM starten, haben sich die Starterlaubnis für Athen bereits erkämpft. Selbst wenn Leipold in Ankara Europameister würde, qualifizierte ihn das nicht für Athen.

Er hat es nicht mehr selbst in der Hand, sondern ist abhängig vom Pech anderer Ringer. Erst wenn ein Athlet seinen Startplatz kurz vor den Olympischen Spielen zurückgeben würde, bekäme Alexander Leipold noch eine Chance. "Ich muss warten", sagt er, "notfalls bis kurz vor dem Wiegen in Athen." Deshalb tut Alexander Leipold im Moment so, als hätte er seinen Startplatz sicher: trainiert, kämpft und verhält sich, als würde er den August in Griechenland verbringen.

Die ständige Ungewissheit frustriert ihn nicht, im Gegenteil. "Dass es noch eine Chance gibt, motiviert mich für das Training." Auch wenn die Chance nicht sonderlich groß ist. 50:50 vielleicht? "Eher weniger", gibt er zu. Doch er verweist auf den Ungarn Ryszard Wolny, auch der wurde 1996 nachnominiert - und gewann prompt die Goldmedaille. Doch so weit, an einen Olympiasieg gar, will Leipold nicht denken.

Er spüre noch, sagt er, die Folgen seines Schlaganfalles. "Es fehlen Winzigkeiten in Kondition und Schnelligkeit, das kann kampfentscheidend sein." Vielleicht ist der Auftritt bei der EM sogar sein letzter internationaler Einsatz. Leipold tritt im Ligabetrieb kürzer und wird nicht mehr für seinen bisherigen Verein ringen, den neunmaligen Mannschaftsmeister VfK Schifferstadt, sondern für den Drittligisten AC Goldbach.

In Goldbach hat Leipold begonnen, dort hat er in den achtziger Jahren seine ersten Erfolge erlebt. Außerdem ist der Industriekaufmann finanziell nicht vom Sport abhängig. "Ich habe eigentlich keine Lust aufzuhören", sagt er, ohne pathetisch zu werden, "ich bewege mich immer noch gerne." Trotzdem - nach der Europameisterschaft wird er in jedem Fall eine Pause einlegen: Dann zieht sich Alexander Leipold für zwei Wochen in ein Shaolin-Kloster zurück - um zu meditieren und in sich hineinzuhorchen.

© SZ vom 22.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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