Reservist Mario Götze:Beste Sicht aufs Spektakel

Lesezeit: 2 min

Das BVB-Tor zeigt, warum BVB-Trainer Tuchel derzeit nicht auf Mario Götze setzt - andere sind halt dynamischer.

Von Philipp Selldorf, Dortmund

Der Reichtum von Thomas Tuchel hatte seinen Platz genau dort, wo Reichtümer üblicherweise gelagert werden: auf der Bank. Dort saßen beim Anpfiff der Partie gegen Leipzig vier wahrhaftige Weltmeister beieinander. Matthias Ginter, Mario Götze, André Schürrle und Roman Weidenfeller mögen für diesen Abend mehr erwartet haben, immerhin hatten sie ihrem Kollegen Gonzalo Castro etwas voraus: Sie erhielten Zugang zur Reserve, Castro dagegen, in den vorigen Spielen in der Startelf, bekam, offenbar leicht erkrankt, bloß ein Tribünenticket. Dies wird in Dortmund aber weniger als Politikum denn als Eigenheit des Trainers gesehen, der immer wieder radikale Rotationen anordnet und das auch ganz normal findet.

Götzes Zuschauerrolle hingegen ist ständiges Debattenthema bei der Borussia. Das neue Jahr hat der auf Betreiben der Klubführung heimgeholte Alt-Borusse wieder weitgehend im Standby-Modus begonnen. Zwanzig Minuten gönnte ihm Tuchel vorige Woche in Mainz, und gegen Leipzig musste Götze doppelt und dreifach erfahren, dass der Trainer ihn zurzeit für entbehrlich hält. Zunächst durfte er zuschauen, wie Ousmane Dembelé im offensiven Mittelfeld die Leipziger durcheinanderwirbelte, und als der 19 Jahre alte Franzose nach einer Stunde angeschlagen vom Feld musste, da brauchte Tuchel nicht lange zu überlegen, wen er nun einsetzen würde: Energisch orderte er die Nummer 22 herbei, den 18 Jahre alten Christian Pulisic.

Dieser brauchte bloß ein paar Minuten, um den Vorzug zu rechtfertigen. Mit einer Dynamik, die einst auch den jungen Götze in Dortmund auszeichnete und den FC Bayern animierte, ihn nach München zu entführen, eroberte Pulisic den rechten Flügel. Zweimal fehlten ihm nur Kleinigkeiten zur perfekten Torvorlage für Pierre-Emerick Aubameyang. Götze hatte, während er in der Aufwärmgruppe hinter dem Leipziger Tor vorschriftsmäßig die Muskeln dehnte, die beste Sicht auf das Spektakel.

Mancher Dortmunder Zeitzeuge findet es nicht fair, wie Tuchel mit Götze verfährt; um die prominente Personalie wird im kalten Konflikt hinter den Kulissen heftig gerungen. Aber das Geschehen im Spiel gegen Leipzig gibt dem Trainer recht. Dembelé entfaltete viel Wirkung auf jenem Posten im halbrechten offensiven Mittelfeld, der nicht seine gewohnte Heimat ist. Seine Läufe und sein Tempo waren Gift für die etwas steif erscheinende Leipziger Deckung. Das Bemühen um "strukturiertes Spiel" habe seine Überlegungen um Dembelé beeinflusst, sagte Tuchel später: "Wir wollten schnell eine Ordnung finden."

Diese akademische Erklärung für den Spezialeinsatz des eher unakademisch veranlagten Dembelé ist durchaus bezeichnend. Sie lässt sich kaum als Versprechen für ein baldiges furioses Comeback von Mario Götze interpretieren und auch nicht als freundliche Geste an den Klubchef Hans-Joachim Watzke, der neulich erklärte, in Sachen Götze müssten bald "einige Abbitte leisten". Für Tuchel war Götze am Samstag im Übrigen kein erwünschtes Thema: "Nach dem Spiel ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden", befand er.

Eines wäre tatsächlich nicht fair: Götze mit Dembelé zu vergleichen. Dembelés Solo, das dem 1:0 vorausging, war einer der Höhepunkte des Abends. Seine Schritte waren so schnell, dass man ihnen mit bloßem Auge kaum folgen konnte, ähnlich einem Tranchiermesser in den Händen eines japanischen Oberkellners. Erst ließ er Marvin Compper stehen, dann Willy Orban, der sich im Luftzug des schnellen Mannes um sich selbst drehte wie ein Wetterhahn auf der Kirchturmspitze. Abschließend die punktgenaue Flanke - fertig war das Meisterstück. Allein diese Szene zeigte wohl, was Tuchel meint, ohne es offen sagen zu können: So eine Dynamik besitzt Götze, warum auch immer, nicht mehr. Für Götze wurde es dann auch kein schöner Stadionbesuch mehr. Als zweiten Einwechselspieler wählte Tuchel den defensiv stabilen Ginter aus, schließlich brachte er noch den jungen Passlack. Und während die anderen den Sieg feierten, schloss Götze seinen Reservisten-Abend ab, indem er an Shinji Kagawas Seite zum Auslaufen antrat. Nicht schwer, in diesem Schlussbild ein Symbol zu sehen.

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: