Rennsport: Stirling Moss:Sir Speed

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Keinen Rennfahrer lieben die Briten so sehr wie Stirling Moss, der in der Formel 1 vier Jahre hintereinander Zweiter wurde und sich einmal gar für seinen Konkurrenten einsetzte, damit der Weltmeister wurde. Bis vor kurzem fuhr er noch Rennen und Rallyes. Nun hat der große Gentleman-Raser seinen Rücktritt erklärt. Mit 81 Jahren.

Jeanne Rubner

Der Vergleich mag unfair sein, aber er drängt sich auf, wenn man vor Shepherd Street Nummer 44 steht. Würden Michael Schumacher oder Lewis Hamilton hier wohnen? In diesem Klinkerbau mit der bescheidenen Sprechanlage aus den Siebzigern, in einer Straße mit kleinbürgerlichem Touch?

Schneller Gentleman: Stirling Moss im Maserati, mit dem Juan Emmanuel Fangio im Jahr 1957 den Grand Prix in Monaco gewonnen hatte. (Foto: AP)

Sicher, die Shepherd Street liegt im Herzen Londons, in Mayfair, doch das luxuriöse Viertel hat mit Savile Row oder Grosvenor Square wahrlich herrschaftlichere Ecken zu bieten als die Shepherd Street mit ihren Pubs und kleinen Lebensmittelläden.

Natürlich würden ein Schumacher oder ein Hamilton hier nie wohnen, die Formel-1-Helden von heute verdienen die Millionen wie andere die Tausender, sie können sich Villen am Genfer See oder in den Hügeln der Cotswolds leisten. Stirling Moss aber, Englands Rennfahrer-Legende und Hausbesitzer in der Shepherd Street, stammt aus einer längst verblühten Ära des Motorsports, als Bernie Ecclestone noch nicht das Geschäft mit den Boliden beherrschte und die Formel 1 noch viel Sport war und wenig Business.

Damals war Stirling Moss der schnellste und beste aller Fahrer, zumindest im Vereinigten Königreich. "Who do you think you are - Stirling Moss?" pflegten Polizisten zu fragen, wenn sie Autofahrer mit ein paar Meilen zu viel auf dem Tacho anhielten: Für wen halten Sie sich - etwa für Stirling Moss?

Doch der Held des Tempos ist müde geworden. Stirling Moss will sich nicht mehr hinter ein Rennlenkrad setzen, das hat er kürzlich angekündigt. Bis vor kurzem war er noch privat Rennen und Rallyes gefahren. Beruflich feierte er seine Triumphe in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, ein furchtbarer Unfall auf der südenglischen Rennstrecke Goodwood beendete seine Karriere 1962, da war er erst 32 Jahre alt.

Und doch blieb Moss ein Volksliebling. Er verkörpert jene Ära, in der das Vereinigte Königreich noch eine Weltmacht war und Sport noch Sport . Mit 16 Jahren hat er seine Karriere begonnen, mit 81 Jahren stellte er nun fest, dass die Geschwindigkeit ihm Angst macht.

Er spricht von einer "Schrecksekunde", die er kürzlich in Le Mans hatte. Großbritanniens Zeitungen haben ihm zum Abschied Zeilen voller Respekt gewidmet. "Stirling Moss was a bit special", schrieb der Guardian liebevoll. Er sei eigen gewesen - und etwas Besonderes.

Und jetzt? Was macht ein Mensch, der sein Leben lang durch die Gegend gerast ist, wenn er sich zur Ruhe setzt?

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In der Shepherd Street 44 öffnet Stirling Moss selbst die Tür. Er ist kleiner, als er auf den Fotos wirkt. Die berühmte Glatze fällt sofort auf, genau wie die Hosenträger, die er immer anhat. Zur Begrüßung gibt es einen festen Händedruck, dann geht es durch den engen Hausflur, für den kaum Platz ist. Moss braucht nach wie vor zwei Garagen, eine für seinen Roller (sein schnellstes Auto für die Stadt, wie er sagt), die andere für den Porsche, den Osca und einen Smart.

Sir Stirling Moss beim Verlassen des Buckingham Palace. Wenn Menschen in England von der Polizei gestoppt werden, dann werden sie häufig gefragt: "Was glauben sie, wer Sie sind? Stirling Moss?" (Foto: REUTERS)

Fährt er noch gerne? Nein, gewöhnliches Autofahren sei kein sportliches Vergnügen wie ein Autorennen, sondern eine Notwendigkeit, sagt er. Für ihn müsse ein Auto nicht mehr schnell sein, sondern bequem: "Eine Straße ist doch etwas ganz anderes als der Nürburgring."

Moss hängt seine Jacke über den abgewetzten Lehnstuhl, seine Frau Suzie serviert Tee mit Gummihandschuhen. Sie macht gerade den Haushalt. Moss' Büro mit dem braunen Resopalschreibtisch ist klein und vollgestopft mit Insignien aus seiner Zeit als Rennfahrer.

An der Wand hängt ein großes Bild von Lewis Hamilton mit Widmung: "An den Größten, Quelle meiner Inspiration". Noch immer bekommt Stirling Moss täglich um die 20 Briefe, noch immer beantwortet er jeden eigenhändig. Seine Nummer steht im Telefonbuch, jeder kann ihn anrufen.

Der Mann ist authentisch geblieben, Allüren hat der Sohn eines Zahnarztes, der in einem Außenbezirk von London aufwuchs, nie gezeigt. Den klangvollen Vornamen hat seine fahrbegeisterte Mutter ausgewählt, nach ihrer schottischen Heimatstadt. Für seine Bescheidenheit und sein sportliches Talent lieben britische Motorsportfans Moss bis heute wie keinen anderen Rennfahrer.

Sein fahrerisches Talent zeigte sich damals vor allem auf Strecken, bei denen es weniger auf starke Autos als auf Fahrtechnik ankam - auf der legendären Mille Miglia etwa. 1600 Kilometer zwischen Brescia und Rom, in zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden. Inklusive Tankstopps kam Moss auf ein Durchschnittstempo von gut 157 Kilometer pro Stunde. Das ist Rekord, bis heute, auch weil die Mille Miglia seit 1957 kein Rennen mehr ist.

Das italienische Rennen hat Moss berühmt gemacht, doch Weltmeister ist er trotz seiner 194 Siege nie geworden, bei der Formel 1 blieb er immer Zweiter. Was auch daran lag, dass Moss mit Vorliebe britische Autos fuhr, die weniger zuverlässig waren als Mercedes und Maserati. 1958 etwa gewann Moss vier Rennen, sein Rivale Mike Hawthorn im Ferrari nur eins.

Hawthorn hatte aber fünf zweite Plätze zu verzeichnen und wurde mit einem Punkt Vorsprung Weltmeister. Als Hawthorn nach dem Grand Prix von Portugal disqualifiziert werden sollte, setzte sich Moss für ihn ein - und verzichtete so auf den Sieg. Auch dafür lieben ihn seine Fans: für sein Fair Play und den nonchalanten Umgang mit Titeln.

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Held und Außenseiter zugleich, das mögen die Briten. Trotz seines WM-Titels erreichte Hawthorn nie die Popularität von Moss. Der hat damals auf viel verzichtet, auch viel Geld - würde er das heute wieder tun? "Es war fair, ja, ich würde es wieder tun", sagt er. Am wichtigsten sei ihm der Respekt der anderen Fahrer.

Heute hingegen verderbe das Sponsoring den Sportsgeist. Echten Sportgeist, ist er überzeugt, gebe es vielleicht noch beim Polo, aber sonst nirgendwo mehr. Als damals bei einem Rennen in Australien ein Auto kaputtging, hat Moss von seinem schärfsten Rivalen, Jack Brabham, dessen Ersatzauto bekommen. Das sei noch "echte Kameradschaft" gewesen. "Heute wäre es doch unvorstellbar, dass Michael Schumacher Jenson Button ein Fahrzeug leiht."

Insgesamt 529 Rennen in 106 verschiedenen Autos: Stirling Moss hat den Rennsport in jeder Hinsicht auf die Spitze getrieben. Heute fährt man in einer Saison nur ein Auto und vielleicht 16, 17 Rennen pro Saison. Maximal kommen die Fahrer in ihrer Karriere so auf vielleicht 150 Rennen, sagt Moss. In seinem besten Jahr, 1961, gewann er allein 56 Rennen und war der bestbezahlte Fahrer. Dann kam der Unfall von Goodwood.

Moss fuhr damals gegen eine Wand, die Rettungsleute brauchten 30 Minuten, um ihn aus dem Wrack seines Lotus herauszuschneiden. Sechs Wochen lag er im Koma. Als er erwachte, waren das Rennen und der Crash wie aus seinem Gehirn gelöscht. Nur an den Abend zuvor, bei dem er eine schöne Südafrikanerin kennengelernt hatte, erinnerte er sich.

Noch im Rollstuhl, ein paar Tage später, verkündete er, bald wieder Rennen fahren zu wollen. Doch daraus wurde nichts. Moss litt an Lähmungen und lange Zeit an Konzentrationsstörungen. "Mir ist damals die Leichtigkeit des Fahrens abhanden gekommen", sagt er heute. Er gab seine Karriere auf, vermutlich auch deshalb ist er überhaupt so alt geworden. Seine Kollegen von damals sind fast alle tot, viele bei Rennunfällen gestorben.

Geld hat Moss seit seinem Ausstieg aus dem Rennberuf mit Immobilien verdient und mit dem geschickten Marketing seines Namens; böse Zungen sagen, sein Vorname laute in Wirklichkeit "Sterling", wie das britische Pfund. Auf jeden Fall ist er Geschenken nicht abgeneigt. Bei der Anfrage nach einem Interview hatte sein Pressemann zurückgeschrieben, Moss möge Weißwein, besonders Chardonnay. Ob man, wenn man käme, nicht einige Flaschen mitbringen könne?

Auch ohne eigene Rennen ist Stirling Moss dem Sport erhalten geblieben. Er lässt sich in Goodwood blicken, am Nürburgring, bei der Ennstal-Classic Rallye. Solche Besuche sind gut fürs Image. Ein wenig kokettiert er damit, dass er die moderne Renntechnik nicht mehr verstehe. Eine gewaltige Übertreibung, denn Stirling Moss ist auch ein Tüftler.

In seinem Haus hat er sich einen superleichten Lift aus Carbon einbauen lassen, und an der Wand hinter seinem Schreibtisch ist eine Knopfleiste befestigt. Mit einem der Knöpfe kann er den Wasserhahn im Bad betätigen und dort die Wanne füllen. Bis vor kurzem hat er noch die Waschmaschinen seiner Mieter repariert.

Stirling Moss hat beides geschafft: Er hat seine volkstümliche Art gepflegt und zugleich seine Präsenz in den Schlagzeilen. Mal schrieben die Zeitungen über ihn, weil ihm wieder wegen zu schnellen Fahrens der Führerschein abgenommen wurde, mal, weil er mit einem hübschen Mädchen unterwegs war. Seine zwei ersten Ehen haben nicht lange gehalten, zwischendurch pflegte er etliche Affären.

Mit seine heutigen Frau Suzie ist er seit 30 Jahren verheiratet. Stirling Moss ist ruhiger geworden. Was nicht heißt, dass er den Rummel um seine Person nicht ab und zu noch genießt. Sein liebste Anekdote handelt davon, dass ein Ordnungshüter auch ihn einmal angehalten und gefragt hat, ob er sich denn für Stirling Moss halte. "Es wäre ja schlimm", sagt er, "wenn niemand mehr wüsste, wer Stirling Moss ist, oder?"

© SZ vom 21.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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