Reiten:Von Walen lernen

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„Wie hochbegabte Kinder“: Jessica von Bredow-Werndl, Deutsche Meisterin im Dressurreiten, setzt im Training mit ihren Pferden auf das Prinzip der positiven Verstärkung. (Foto: Stefan Lafrentz/imago images)

Jessica von Bredow-Werndl beschreibt in ihrem Buch ihre Herangehensweise an das Reiten - die von gängigen Glaubenssätzen abweicht.

Von Sabine Neumann

Jessica von Bredow-Werndl hat kürzlich auf dem familieneigenen Reitgut Aubenhausen nahe Rosenheim ihr neues Buch vorgestellt. In "Das Glück der Erde" erzählt sie ungewöhnlich offen, was sie prägte, wie sie sich persönlich und sportlich weiterentwickelt hat, was ihr wichtig ist und wie sie Muttersein und Spitzensport vereinbart. Und natürlich geht es um ihre Pferde. Bemerkenswert dabei ist, dass die Dressurreiterin - die mit der Mannschaft Welt- und Europameisterin wurde - und ihr ebenfalls international erfolgreicher Bruder Benjamin in puncto Haltung, Ausbildung und Training einiges anders machen, als vielleicht von Sportreitern erwartet.

Von Bredow-Werndl, 34, wirbt in ihrem Buch für einen Sport, der Leistung und Spaß vereinbart, für eine artgerechte Haltung von Sportpferden und für das Prinzip der positiven Verstärkung. Sie will, dass "Pferde glücklich sind". Mit dieser Affirmation hat Bredow-Werndl manche bisher als unumstößlich geltende Glaubenssätze ihres Sports außer Kraft gesetzt. In Aubenhausen gehen alle Pferde täglich auf die Koppel. Im Turniersport eher die Ausnahme. Den Werndl-Geschwistern liegt am Herzen, dass ihre Pferde sich wälzen, in der Sonne dösen, grasen, losrennen oder buckeln dürfen. Angst vor Verletzungen? Im Gegenteil. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Pferde weniger Verletzungen haben, wenn sie jeden Tag rauskommen", sagt die Weltranglistendritte.

Seit fünf Jahren öffnen die Geschwister regelmäßig ihre Stall- und Hallentüren für Besucher zu Führungen, Trainingsdemonstrationen und geben Anregungen. Ihre "Lerngeschenke" gibt von Bredow-Werndl nun auch in ihrem Buch weiter. Wesentliches Trainingsprinzip ist die positive Verstärkung: "Ich konzentriere mich auf die Stärken der Pferde und belohne sie, so oft es sich irgendwie anbietet und sie etwas gut machen." Ihre Arbeitsweise beschreibt sie als spielerische Konsequenz. Darunter verstehe sie, "dass ich versuche, in jeder einzelnen Trainingseinheit das Bestmögliche aus uns beiden herauszuholen. Ich motiviere mein Pferd und mich, unsere Grenzen Stück für Stück zu verschieben."

Ihre Pferde sind für von Bredow-Werndl "wie hochbegabte Kinder". Die Pferdeausbildung, in der Regel sechs bis acht Jahre bis zum Grand Prix, verläuft selten geradlinig - wie die Kindererziehung. "Grundsätzlich geben uns die Pferde die Dauer der Ausbildung vor. Wir dürfen sie nicht in ein Schema pressen und meinen, dass sie dies oder das in einem ganz bestimmten Alter können müssen", schreibt sie.

Dass sich von Bredow-Werndls Buch teils wie ein Coaching-Buch liest, ist gewollt. Für das Thema interessiert sie sich seit langem. Als Jugendliche, so schreibt sie, hatte sie in einer wichtigen Prüfung einen Blackout und begann, mit verschiedenen Mentaltrainern zu arbeiten. Ihr zwei Jahre älterer Bruder stand dieser Sache lange Zeit kritisch gegenüber. "Erst als ich gesehen habe, dass Jessi immer besser wird, habe ich es ausprobiert", erzählt er während der Buchvorstellung. Über ihre Mutter Micaela Werndl fanden die Geschwister zum Yoga. Atemübungen gehören mittlerweile zur Prüfungsvorbereitung: "Mein Pferd spürt, wie ich atme. (...) Tatsächlich kann ich mit meinem Atem den des Pferdes beeinflussen, er synchronisiert sich."

Häufig ist im Buch davon die Rede, wie Niederlagen und Defizite die Deutsche Meisterin im Grand Prix Special mit TSF Dalera BB anspornen. "Ich kann mich doch nicht als Profisportlerin bezeichnen, wenn ich nicht in der Lage bin, ein richtig schwungvolles Pferd ausbalanciert zu sitzen", habe sie sich vor Jahren geärgert und deshalb beschlossen, etwas für ihre eigene Fitness zu tun. "Sei selbst so fit, wie du es von deinem Pferd erwartest" ist inzwischen zum Programm geworden. Die Werndl-Geschwister und ihr Fitnesstrainer Marcel Andrä haben 2019 einen Online-Kurs für Reiter herausgebracht, der Rumpfstabilität, Beweglichkeit, Koordination und Grundkondition verbessern soll.

Die Werndls waren keine "Pferdeleute". Ein Handicap, weil kein tradiertes Wissen und keine Erfahrungen vorhanden waren. Gleichzeitig aber auch ein Vorteil, weil die Familie nicht von Pferden leben musste und die Geschwister irgendwann so manchen Grundsatz kritisch hinterfragten - und nun auf der Suche nach Inspiration auch über die eigene Disziplin hinausschauen. Grundlage ihrer Methode ist Ken Blanchards "Whale done", der in dem Buch das Training mit Walen beschreibt. Von Bredow-Werndl hat diese Herangehensweise für Pferde adaptiert: "Ich bin davon überzeugt, dass die positive Verstärkung, also Anerkennung in Form von Lob und Zuspruch, die beste Trainingsmethode ist, um Pferde weiterzuentwickeln." Von Bredow-Werndls Buch könnte mit diesem Ansatz dazu beitragen, dass manches Pferd zufriedener wird.

© SZ vom 14.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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