Reimann-Sperre:Die Rambo-Frage

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Warum Eintracht Frankfurts Trainer fünf Spiele nicht in den Innenraum darf.

Von Detlef Esslinger

Ernst und getragen ist die Stimme des Anklägers, wie beim Staatsanwalt im richtigen Gericht, wenn schwere Körperverletzung verhandelt wird, ein Messerstich in den Bauch zum Beispiel.

"Reimann stieß Schriever so heftig mit den Handflächen gegen die Brust", trägt also Horst Hilpert vor, der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses, "dass dieser mehrere Meter zurückweichen musste." Mehrere Meter! Und weiter: "Er stieß ihn dann nochmals mit den Handflächen so heftig gegen die Brust, dass er circa einen Meter zurückweichen musste."

Berechtigt geflogen

Solche Sachen sind passiert, am vergangenen Samstag beim Spiel Dortmund gegen Frankfurt (2:0), nachdem ein Frankfurter Spieler berechtigterweise vom Platz geflogen war. Der Trainer Reimann hatte an seinem Handeln zunächst wenig Schlimmes erkennen können und die vorgeschlagene Strafe nicht akzeptiert - worauf der fußballinteressierte Teil des Landes tagelang sein Thema hatte und für Mittwochabend die mündliche Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht angesetzt wurde.

Wie in einem normalen Gerichtssaal geht es hier zu, beinahe zumindest: Vorn in der Mitte nehmen der Vorsitzende und die zwei Beisitzer Platz, auf der rechten Seite der Ankläger, auf der linken der Angeklagte mit seinem Verteidiger. Dass jedoch der Parkettboden mit Perserteppichen ausgelegt ist, dass selbst die Zuschauer auf Lederstühlen sitzen und Kaffeegeschirr, Villeroy & Boch, vor sich haben (wenn auch keinen Kaffee) - das hebt den Tagungsraum 3 im Frankfurter DFB-Haus doch erheblich vom, sagen wir, Landesarbeitsgericht des Saarlandes ab, dessen Präsident der Ankläger Hilpert bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren war.

Der Anwalt liest in Ich-Form

Willi Reimann lässt bereuen. Sein Verteidiger Christoph Schickhardt trägt eine Persönliche Erklärung des Trainers vor, in Ich-Form. Darin steht, dass dieser sein Verhalten "ausdrücklich bedauert", dass ihm in Wahrheit bereits direkt nach dem Spiel klar gewesen sei, was für einen Fehler er beging - er also in der Pressekonferenz den vierten Schiedsrichter Thorsten Schriever nicht auch noch hätte "Rambo" nennen sollen.

Er hätte besser geschwiegen. Er sei nun auch bereit zu akzeptieren, an den nächsten fünf Spieltagen den Innenraum des Stadions nicht betreten zu dürfen und 25000 Euro Strafe zahlen zu müssen. Eintracht Frankfurt müsse sich auf den Kampf gegen den Abstieg konzentrieren, nicht auf die Verteidigung des Trainers. Das Gericht möge auf eine Beweisaufnahme verzichten. Der Vorstandsvorsitzende der Eintracht, Heribert Bruchhagen, wird später sagen, man habe für eine solche Erklärung Zeit gebraucht; daher erst jetzt.

Der Vorsitzende Rainer Koch ist ein freundlicher Mann. Beim Hereinkommen hat er seinen Angeklagten mit Handschlag begrüßt. Sowieso verfügt er am Sportgericht über mehr Freiheiten als am Oberlandesgericht München, wo er im Zivilleben Strafrichter ist. Mitglieder des Sportgerichts sind "nur dem geschriebenen und ungeschriebenen Recht des Sports und ihrem Gewissen unterworfen", so freigiebig ist die DFB-Rechtsordnung. "Können Sie in ein, zwei Sätzen erklären", fragt Koch, "wie es zu einer solchen Situation kommen konnte?"

Als Schweiger bekannt

"Das ist mit ein, zwei Sätzen äußerst schwierig", antwortet Reimann. Er ist ja eher als Schweiger bekannt, auch als einer, zu dem Ausrasten nicht passt, eigentlich. "Deshalb möchte ich nochmal bitten, auf der Grundlage meiner Persönlichen Erklärung zu entscheiden." "Können Sie verstehen", fährt der Vorsitzende Koch fort, "was im Kopf von vielen tausend Schiedsrichtern vorgegangen ist, als Sie Herrn Schriever einen Rambo nannten?" Dieser freundliche Richter will auch gar nicht mehr ein, zwei Sätze. "Zwei, drei Worte der Erläuterung würde ich schon gut finden."

"Ich habe ja erklärt", sagt Reimann, "dass ich besser geschwiegen hätte und mich telefonisch entschuldigt habe."

Es geht dann alles recht schnell. Kurz wird noch Thorsten Schriever hereingerufen, der es mit seinen 28 Jahren am Samstag für seine Aufgabe gehalten hatte, den wild gewordenen Trainer zu verfolgen und sich ihm mit ausgebreiteten Armen in den Weg zu stellen. "Gut, ich hab' die Entschuldigung halt auch angenommen", sagt Schriever, "unabhängig von dem, was passiert ist."

"Verfrühtes Ostergeschenk"

Dann spricht Hilpert sein Plädoyer, nennt seinen Strafantrag ein "verfrühtes Ostergeschenk", da eigentlich nur eine Sperre von zwei Monaten in Betracht komme. Dann ziehen sich die Richter zurück, zehn Minuten später verkündet Koch das Urteil.

Das Geständnis, die Entschuldigung, das untadelige Vorleben des Angeklagten, das sind die Gründe, weshalb es bei Innenraumverbot und Geldstrafe bleibt. Trotz eines Vorfalls, wie es ihn in 41 Jahren Bundesliga nie gab. "Ich gehe davon aus", sagt Richter Koch, "dass er sich anschließend auch in öffentlichen Äußerungen noch einsichtig zeigen wird." Damit ist die Sitzung zu Ende. Willi Reimann aber geht schweigend an allen Mikrofonen vorbei.

© SZ v. 26.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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