Real-Talent Ödegaard:Bloß kein Wunderkind sein

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Der einst hochgelobte Martin Ödegaard spielt nun für Heerenveen. Und lernt, was es heißt, Profifußballer zu sein.

Von Christopher Gerards, München

Der 18-Jährige, den sie einst Wunderkind nannten und den neuen Messi, hatte nun also die Chance. Freitagabend, es lief die 42. Minute, Martin Ödegaard dribbelte durch den Strafraum von Willem II Tilburg, den Ball eng am Fuß, der Körper aufrecht, der Blick Richtung Rückraum. Zwei, drei Sekunden dribbelte er, da lief ihm ein Mitspieler entgegen. Ödegaard sah ihn, er passte, und jetzt würde er endlich seine nächste Vorlage geben, die Diskussionen um sich eintüten, wenigstens ein bisschen. Dann schoss sein Mitspieler Sam Larsson Richtung Tor, aber unterwegs überlegte der Ball es sich anders, er hielt es für eine gute Idee, sich auf der Linie noch aufhalten zu lassen. Kein Tor für den SC Heerenveen. Keine Vorlage für Martin Ödegaard.

Andererseits: War das nicht ein Fortschritt, dass er so nah dran war an einer Vorlage? Dass er in dieser 42. Minute überhaupt auf dem Platz stand?

Es ist gar nicht lange her, da galt Ödegaard, 1998 geboren im norwegischen Drammen, als einer der angesagtesten Bubis im europäischen Fußball. Er tat Sachen, die in seinem Alter kein anderer tat. Er war 14, als er bei Strömsgodset IF mit der ersten Mannschaft trainierte. Er war 15, als er in Norwegens erster Liga spielte. Er war der bis dahin jüngste Spieler, der je in einem EM-Qualifikationsspiel auflief, 15 Jahre und 300 Tage alt - in solchen Fällen zählen die Menschen immer sehr genau. Das Time-Magazin nahm ihn auf die Liste der 30 einflussreichsten Teenager der Welt. Er konnte sich aussuchen, zu welchem Klub er gehen würde, er machte Probetrainings beim FC Bayern, bei Manchester United. Dann ging er zu Real Madrid, im Winter 2015 war das. Und ab da nahm Ödegaards Geschichte eine entscheidende Wendung: Dem Wunderkind gelangen kaum noch wunderliche Dinge. Ödegaard wurde zum Fallbeispiel, an dem sich zeigt, was Erwartungen, Etiketten mit einem jungen Spieler machen können.

Ödegaard für Ronaldo: der neue Galaktische rein, der alte raus?

Aber von vorne: Sein Vertrag sicherte dem damals 16-Jährigen zu, bei Real mit der ersten Mannschaft zu trainieren, mit Ronaldo, Bale oder Modric. An den Wochenenden spielte Ödegaard hingegen mit der zweiten Mannschaft in der dritten spanischen Liga. Doch die Schlagzeilen über ihn handelten nun nicht zuallererst von Heldentaten auf dem Platz. Es ging zum Beispiel darum, dass er mit Trainer Zinédine Zidane stritt. Im Mai 2015 spielte Ödegaard zwar das erste Mal für die Profis, beim 7:3-Sieg gegen Getafe wechselte der damalige Real-Trainer Carlo Ancelotti ihn ein: in der 58. Minute, für Cristiano Ronaldo. Der alte Galaktische geht raus, der neue kommt, diese Symbolik steckte in dem Wechsel. Aber in seiner Biografie ordnete Ancelotti diesen später ein, von "PR-Gründen" sprach er, Real-Präsident Florentino Pérez habe das von ihm verlangt. Danach spielte Ödegaard nur noch in der zweiten Mannschaft. Seine Bilanz: 62 Spiele, 5 Tore, 8 Vorlagen.

Es gibt viele Geschichten von Fußballern, die als große Talente gehandelt wurden, aber dann vergleichsweise gewöhnliche Karrieren erlebten. Freddy Adu etwa, der 14 war, als er fürs US-Nationalteam debütierte. Endlich sollten die USA auch ihren Soccer hero haben, hieß es weiland. Dann aber tingelte Adu von Klub zu Klub, ohne groß aufzufallen. Oder Bojan Krkic, der einst bei Barcelona als neuer Messi angetreten war. Und der jetzt, mit 26, an Mainz 05 ausgeliehen ist, wo er bis zu seinem Tor in München an diesem Samstag wenig zeigte. Und Ödegaard?

"Ein Wunderkind? Ich bin ein ganz normaler Junge" - diesen Satz hat er kürzlich selbst gesagt, im Januar war das, als er beim SC Heerenveen vorgestellt wurde. Ödegaard war gerade 18 geworden, deshalb durfte Real ihn ausleihen. Die niederländische Eredivisie schien passend für einen wie ihn, einen Techniker mit viel Gefühl im Fuß. Andererseits hat er in den vergangenen Monaten gelernt, dass man den Ruf des Wunderkinds mit einem Satz nicht einfach los wird. Er hat 13 Mal gespielt, sieben Mal von Anfang an, er hat drei Vorlagen gegeben. Das ist eine durchschnittliche Bilanz, aber bei einem wie ihm wird Durchschnitt schnell mal als Scheitern interpretiert. Anfang März hatte eine spanische Zeitung berichtet, Heerenveen müsse jedes Mal 40 000 Euro an Real zahlen, wenn Ödegaard nicht spielt, obwohl er fit ist. Unsinn, haben sie in Heerenveen gesagt. Aber die Geschichte war jetzt in der Welt.

"Er braucht Zeit", sagen die Wegbegleiter

Sie wissen selbst, dass Ödegaard derzeit noch kein Spieler ist, der zwingend in der Startelf stehen muss. "Er kann es besser, denke ich. Er muss entscheidend sein auf dem Platz, kreativ und mehr Überzahlsituationen schaffen", sagt sein Trainer Jurgen Streppel. "Andererseits: Das ist der schwierigste Aspekt des Fußballs." André Bergdölmo, Norweger wie Ödegaard, einst bei Ajax Amsterdam, findet zumindest, bei Heerenveen habe Ödegaard "erst gelernt, was es heißt, Profifußballer zu sein".

Es ist ja so: Wenn es darum geht, Ödegaards Entwicklung zu beurteilen, kommt es immer auch darauf, woran man ihn misst. Daran, dass er mit 15 für die Nationalelf gespielt hat, dass er als größtes Versprechen in Europa galt? Oder daran, dass er immer noch erst 18 ist? Und dass es nicht so viele andere Spieler in seinem Alter gibt, die regelmäßig in einer der ersten europäischen Ligen spielen?

Martin Ödegaard ist noch immer ein junger Spieler, und er ist noch immer ein wahnsinnig begabter junger Spieler, das zeigen seine Dribblings, seine Pässe. Aber für ihn geht nun es vor allem um eines: um Zeit. Sein Mitspieler Reza Ghoochannejhad sagt: "Wir müssen ihm vor allem die Zeit geben, um sich zu akklimatisieren. Er hat enorme Qualitäten, das sieht man im Training." Sein Trainer Streppel sagt: "Er braucht Zeit, um sich anzupassen." Und Ödegaard selbst sagte neulich einer Lokalzeitung: "Ich merke, dass ich hier ein besserer Spieler werde." Und: "Es ist keine Krise, meine Zeit kommt noch." Es klang ein bisschen so, als müsse er es nur mal erwähnen, damit es auch eintrifft.

© SZ vom 23.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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