Reaktionen:"So grausam"

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Vorbildliche Führungskraft: Stefan Henze, selbst Medaillengewinner, kümmerte sich um seine Kanuten - wie hier noch in Rio um Katja Frauenrath. (Foto: imago)

Der Unfall-Tod des deutschen Kanu-Trainers Stefan Henze erschüttert die deutsche Sportwelt. Das IOC setzte am Dienstag auf Wunsch des DOSB alle deutsche Fahnen an den Olympia-Stätten auf Halbmast. Im Deutschen Haus liegt ein Kondolenzbuch aus.

Von René Hofmann

Das Deutsche Haus in Rio trägt Trauer. Und schon daran, wie es diese trägt, lässt sich erkennen, wie unvermittelt der Tod des Kanu-Trainers Stefan Henze die Mannschaft traf. Das deutsche Olympia-Team ist ein Meister der Organisation. Darauf aber, dass es mit einem Mitglied weniger heimkommen würde - darauf war selbst es nicht vorbereitet. Das Deutsche Haus ist ein strohgedeckter Dreizack direkt am Strand. Der Zaun, der es von der nicht-olympischen Welt trennt, wurde mit weißen Bannern geschmückt, in die in den deutschen Farben Blumenmuster eingewirkt sind. Leuchtendes gelb und strahlendes rot auf weißem Grund - das wirkt hell und freundlich. Seit Dienstag prägt nun aber ein anderer Farbton den Anblick: Schwarze Bänder wurden als Trauerflor an den Zaun geknüpft. Weithin sichtbar flattern sie im Wind.

Stefan Henze war einst selbst Olympia-Sportler. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen trat er mit Marcus Becker, seinem Mannschaftskollegen vom Böllberger SV Halle, im Zweier-Canadier im Kanu-Slalom an und gewann die Silbermedaille. Nachdem er die Qualifikation für die Sommerspiele 2012 in London verpasst hatte, beendete Henze seine Karriere - seinem Sport aber blieb er erhalten. Seit 2013 war er als Bundestrainer für den Deutschen Kanu-Verband tätig. In dieser Funktion war er nun auch in Rio. Unter anderem betreute er die Augsburgerin Melanie Pfeifer.

Die Slalom-Wettbewerbe im Wildwasser-Kanal waren am Donnerstag vergangener Woche zu Ende gegangen. Am frühen Freitagmorgen wurden Henze und der Sportwissenschaftler Christian Käding, mit dem er in einem Taxi unterwegs war, in einen Unfall verwickelt. Käding, der auch zum Team der Slalom-Kanuten gehört, wurde leicht verletzt. Henze trug schwere Kopfverletzungen davon. Er wurde zunächst in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht, das als Referenzklinik für Olympia ausgewiesen ist. Dieses, so berichtet es zumindest Der Spiegel, verfüge aber seit vier Jahren über keine Neurochirurgie-Abteilung mehr; im Zuge von Sparmaßnahmen sei diese geschlossen worden.

Henze wurde weitertransportiert und in einer weiter entfernt liegenden Klinik notoperiert. Zweifeln, die Erstversorgung hätte besser funktionieren können, trat der DOSB umgehend vehement entgegen. Die Rettungskette hätte "extrem schnell geklappt", lobte Olympia-Chefarzt Professor Bernd Wolfarth, die Versorgung habe deutschem Standard entsprochen. Wolfarth und ein weiterer Arzt des deutschen Olympia-Teams, der Unfallchirurg Caspar Grimm, hielten fortan den Kontakt zu den behandelnden Ärzten.

Henzes Verletzungen waren unmittelbar lebensbedrohlich. Am Sonntagvormittag informierte DOSB-Generalsekretär Michael Vesper, dass Henzes Eltern und sein Bruder in Rio gelandet seien. Am Montagabend teilte der Verband mit, Henze sei verstorben. Auf die Veröffentlichung weiterer medizinischer Details werde auf Wunsch der Familie ausdrücklich verzichtet.

Sportler, Funktionäre, Politiker: Die Meldung von Henzes Tod löste umgehend viele Reaktionen aus. "Die Nachricht hat mich schwer erschüttert", teilte der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit. IOC-Präsident Thomas Bach sprach von der Trauer "um einen wahren Olympier". "Wir sind unendlich traurig", erklärte DOSB-Präsident Alfons Hörmann: "Worte können nicht annähernd beschreiben, was wir im Olympia-Team nach diesem schrecklichen Verlust empfinden." Tischtennis-Profi Timo Boll, der Fahnenträger der deutschen Mannschaft bei der Eröffnungsfeier, teilte seine Betroffenheit nach der Halbfinal-Nieder- lage gegen Japan per Twitter mit: "Was zählt unsere Niederlage gegen das Leben von Kanu-Trainer Stefan Henze? R.I.P."

Ein besonderes Wechselbad der Gefühle erlebt Dressur-Reiterin Isabell Werth, die am Montag mit ihrer Silber-Medaille im Einzel zur erfolgreichsten Olympia-Reiterin aufstieg. "Die Nachricht hat mich seit Freitag schon beschäftigt", sagte die 47-Jährige, "es ist so grausam und furchtbar." Im Deutschen Haus, wo ansonsten die Sieger gefeiert werden, war die Stimmung am Montagabend gedämpft. Der deutsche Chef de Mission Michael Vesper sprach von "einem schwierigen Abend" und erklärte das Haus zum "Ort der Begegnung", um auch gemeinsam die Trauer über den Tod verarbeiten zu können.

Das IOC setzte am Dienstag auf Wunsch des DOSB alle deutschen Fahnen an den Olympia-Stätten auf halbmast. Im Deutschen Haus liegt ein Kondolenzbuch aus. Stefan Henze wurde nur 35 Jahre alt. Die Fahnen am Deutschen Haus hätten die Organisatoren auch gerne abgesenkt. Das geht aber nicht. Auch an sie wurde deshalb Trauerflor geknüpft.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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